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Wo Menschenhandel in Deutschland existiert: Bauwesen, Pflege und Prostitution

Stressed despair staff in logistic business sittng in container box at shipyard
Ausbeutung von Menschen geschieht auch hierzulande. Bild: iStockphoto / interstid
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Menschenhandel in Deutschland: Woran du Opfer erkennen kannst

28.01.2023, 12:32
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Der Handel mit Menschen ist ein globales Problem. Das offenbart ein aktueller Bericht der UN, der zeigt, dass insbesondere der Klimawandel Millionen Menschen zur Flucht bewegt und damit einem "hohen Ausbeutungsrisiko" aussetzt.

Doch auch in Deutschland gibt es Opfer von Menschenhandel und jeder von uns hat unter Umständen bereits von ihrer Arbeit profitiert, ohne es zu wissen. Denn Menschenhandel existiert nicht nur im Rotlichtmilieu, sondern auch in der Pflege, auf dem Bau und in der Gastro.

"Auch Deutsche sind von Menschenhandel und Ausbeutung betroffen."
KOK-Referentin Nadine Rosenkranz

Erfasste Ausbeutungen betrafen in 96 Prozent der Fälle Frauen und Mädchen, das zeigte eine KOK-Bericht Ende 2022. Der Bundesweite Koordinierungskreis gegen Menschenhandel – KOK e.V. ist ein Zusammenschluss von 42 Organisationen.

KOK-Referentin Nadine Rosenkranz erklärt für watson, woran du Opfer erkennen kannst und wie man bei einem Verdacht wirklich hilft.

Pflege, Bau, Bordell: Wo Menschenhandel existiert

Wo in Deutschland Menschenhandel auftritt, lässt sich nicht sicher sagen, da die Datenlage mangelhaft ist. Bislang sei die einzig fundierte Statistik das Bundeslagebild Menschenhandel des BKA. Der KOK sammelt seinerseits Fälle, erklärt Nadine Rosenkranz: "Beiden Berichten zufolge ist Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung die am häufigsten identifizierte Form in Deutschland." Die Menge ergäbe sich aber auch, weil polizeiliche Kontrollen im Bereich der Sexarbeit besonders häufig seien.

Besonders anfällige Branchen seien zudem:

  • Bau- und Reinigungsgewerbe
  • Gesundheits- und Pflegewesen (zum Beispiel die 24-Stunden-Pflege)
  • Landwirtschaft (vor allem migrantische Saisonarbeiter:innen)
  • fleischverarbeitende Industrie
  • Gastronomie
  • Privathaushalte

Oft sei die Aufdeckung extrem kompliziert, zum Beispiel bei Pflege- oder Haushaltskräften, da der Zugang zu den Betroffenen erschwert sei. Rosenkranz fasst zusammen:

"Nach bisherigen Erfahrungen sind Branchen besonders anfällig für ausbeuterische Tätigkeiten, in denen es einen hohen Personalbedarf gibt, geringe Anforderungen an die Qualifikation bestehen, geringe Sprachkenntnisse ausreichen, schnelle Einarbeitung möglich ist und [Tätigkeiten] auslagerbar sind, zum Beispiel an Subunternehmerketten."

Zu wissen, in welchen Bereich überall Menschenhandel existiert, sei wichtig, denn da "wo Sensibilisierung besteht, werden auch häufiger Fälle von Menschenhandel identifiziert."

16.05.2022, Mecklenburg-Vorpommern, Stralsund: Der Angeklagte h�lt sich im Sitzungssaal im Landgericht Stralsund einen Aktenordner vor das Gesicht. Am Landgericht Stralsund beginnt der Prozess gegen d ...
2022 kam es in Stralsund zu einem Prozess um Menschenhandel in der Gastronomie.Bild: dpa / Stefan Sauer

In der öffentlichen Debatte würde Menschenhandel zudem oft mit Schleusung gleichgesetzt. Ein Missverständnis: "Schleusung bedeutet die irreguläre Überquerung nationaler Grenzen, dabei wird Profit aus der Beförderung, und nicht durch Ausbeutung einer Person erzielt." Die KOK-Mitarbeiterin:

"Menschenhandel liegt erst dann vor, wenn Personen sexuell oder zum Zweck der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft instrumentalisiert und missbraucht werden. (...) Auch Deutsche und in Deutschland lebende Menschen sind von Menschenhandel und Ausbeutung betroffen."

Wie Täter ihre Opfer an sich binden

Sich zu befreien, ist auf mehreren Ebenen schwierig für die Opfer, weil die Täter:innen sie an sich binden. "Häufig werden Betroffene in eine Zwangslage gebracht oder eine bestehende Zwangs- oder Notlage wird ausgenutzt, auch mittels Druck, Drohungen sowie psychischer und physischer Gewalt", berichtet Nadine Rosenkranz gegenüber watson.

Das Abhängigkeitsverhältnis würde erzeugt, indem Personen ihre Papiere, Kommunikationsmittel und eigene Geldmittel abgenommen, Angehörige bedroht oder auch eine Liebesbeziehung vorgespielt würde. Auch Aberglaube spiele manchmal eine Rolle.

"Bei Betroffenen aus Nigeria kommen Glaubenssysteme und Rituale zur Wirkung, wie das Juju-Ritual, bei welchen Betroffene Schwüre ablegen. Täter:innen machen sich den Glauben an die Wirkung eines Rituals zunutze, um Betroffene gefügig zu machen, da sie negative Konsequenzen für sich oder ihre Angehörigen fürchten."

Auch "Scham, Schuldgefühle oder andere emotionale Bindungen können dazu beitragen, dass Betroffene in der Situation verharren", sagt die Referentin. "Fehlende Sprach-, Orts- und Rechtskenntnisse machten es zudem besonders für Betroffene aus dem Ausland schwer, sich Hilfe zu holen."

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Ein aktueller Bericht der KOK zeigt, dass Menschenhändler:innen zunehmend auch die Digitalisierung für ihre Zwecke nutzten. Opfer würden online angeworben und bedroht und mithilfe von Tracking-Funktionen kontrolliert.

"Betroffene geben selten von sich aus Hinweise darauf, dass sie ausgebeutet werden."
KOK-Referentin Nadine Rosenkranz

Vielen Betroffenen wird eingebläut, dass sie sich zu ihrem eigenen Schutz nicht an die deutsche Polizei wenden dürften, erklärt Rosenkranz weiter: "Bei Arbeitsausbeutung wird die Androhung von Strafverfolgung als Druckmittel genutzt, wenn die Betroffenen zum Beispiel keine Arbeitspapiere oder Aufenthaltstitel haben." Die Opfer befürchteten, "für die unter Zwang begangenen Straftaten bestraft zu werden."

Wie du Opfer von Menschenhandel erkennst

Es gibt eine Reihe von Indikatoren, die Hinweise auf Menschenhandel sein können. "Bezogen auf Dienstleistungen können überlange Arbeitszeiten, überhöhte Vermittlungsgebühren und Lohnvorenthalt Hinweise sein", sagt Nadine Rosenkranz, ebenso fehlende Verträge.

Als weitere Warnsignale nennt sie:

  • Arbeitgeber:innen oder Dritte beschaffen Wohnung, Kleidung und Transport, übernehmen Reisekosten und Verpflegung
  • Arbeitgeber:innen oder Dritte sind im Besitz der Dokumente der Personen
  • Die Person bekommt keinen oder zu wenig Lohn und/oder hat keinen direkten Zugang zum Verdienst
  • Die Person wirkt abhängig von Dritten und/oder steht unter ständiger Beobachtung
  • Die Person begegnet staatlichen Behörden mit Angst
  • Die Person ist in großer Sorge um ihre Kinder oder Familie

Generell sei das Erkennen von Menschenhandel aber schwierig, gibt die Expertin zu: "Betroffene geben selten von sich aus Hinweise darauf, dass sie ausgebeutet werden, auch aus Angst vor den Täter:innen."

Don't: Versehentlich Menschenhandel nutzen

Die wenigsten wollen Menschenhandel unterstützen, doch manchmal tut man es doch – auf der Suche nach dem günstigsten Preis. Wichtig sei daher ein "bewusster und verantwortlicher Konsum", sagt Nadine Rosenkranz dazu. Spottbillige Produkte sind oft nur durch ausbeuterische Arbeitsbedingungen im Ausland möglich.

Auch hierzulande kann man auf Fairness achten. Zum Beispiel, wenn man eine Dienstleistung, wie Pflege- oder Haushaltshilfe, in Anspruch nimmt: "Nicht selten gibt es unseriöse Vermittlungsagenturen, die selbst Teil der Ausbeutung sind", mahnt die Referentin. Einige Projekte, wie zum Beispiel FairCare, informieren über seriöse Vermittler. Rosenkranz:

"Man sollte sich bewusstmachen, dass bestimmte Beschäftigungsmodelle, beispielsweise 24-Stunden-Pflege, generell nicht wirklich fair sein können."

Wer aktiv gegen Menschenhandel helfen will, kann sich in Beratungsstellen und Verbänden engagieren, spenden oder die politische Advocacy-Arbeit unterstützen und Aufklärung betreiben, "um dem Thema mehr Beachtung im öffentlichen Diskurs zu geben."

So kannst du helfen

Ein vermeintliches Opfer ist ein mündiger Mensch, dessen individuelle Zwangslage keiner kennt. Nur in akuten Notfällen sollte daher über den Kopf des Betroffenen hinweg die Polizei eingeschaltet werden.

Detail of the uniforms of the German police in the European Union.
Wenn Gefahr droht, gehört die Polizei informiert. Bild: iStockphoto / picturesd

Ansonsten gelte, immer mit dem Einverständnis der Person zu handeln. Wenn möglich, solle man in Kontakt treten und erklären, dass es anonyme, kostenlose und muttersprachliche Fachberatungsstellen gibt, die helfen.

Auf keinen Fall sollte man vermeintliche Heldenaktionen starten! "Da hinter dem Menschenhandel häufig gut organisierte Netzwerke oder organisierte Kriminalität stehen, ist es keinesfalls ratsam, zu versuchen, potenziell Betroffene allein und selbstständig aus der Ausbeutungssituation zu 'befreien'", warnt Rosenkranz deutlich. Damit könne man nicht nur sich selbst, sondern auch der betroffenen Person schaden.

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