Der weibliche Körper ist keine Privatsache. Im Gegenteil, er wird schon seit Jahrhunderten von der Gesellschaft genauestens beäugt und bewertet. Schönheitsideale wandeln sich ständig und setzten Frauen unter Druck: In den 50ern sollte eine weibliche Figur so kurvig wie die von Marilyn Monroe aussehen, in den 60ern dann so burschikos und schlank wie bei Twiggy.
Und heute? Im Zeitalter der plastischen Chirurgie, kann sich jeder so formen lassen, wie er will – egal, mit welcher Figur er geboren wurde.
Durch Promis wie Kim Kardashian, für die Schönheits-Operationen wohl so selbstverständlich sind wie der Gang ins Fitnessstudio, wird diese Fixierung auf den Körper immer extremer. Nun richtet sich der Blick also auch auf die Form der Schamlippen. Mittlerweile gibt es den geläufigen, abfällig verwendeten Begriff "Cameltoe", zu Deutsch Kamelzehe. Damit ist der Abdruck der Vulva durch enge Hosen wie Leggins gemeint.
Um so etwas zu vermeiden, lassen sich manche Frauen die Vulva operieren. Viele Websites für Intim-Chirurgie werben mit plastisch-chirurgischen Eingriffen in der Intimzone, für die "perfekte" Vulva. Bei einer Praxis heißt es beispielsweise:
Dieses "befreiende, bestärkende" Gefühl wollen scheinbar immer mehr Frauen. 2017 bezeichnete die internationale Gesellschaft für ästhetische und plastische Chirurgie (ISAPS) Schamlippenkorrekturen als schnellstwachsenden Trend im Bereich der Schönheitsoperationen. Zwar sind die Zahlen lange nicht so hoch wie in Amerika – doch auch in Deutschland scheint der Trend anzukommen.
Nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für Ästhetische und Plastische Chirurgie (ISAPS) wurden im Jahr 2017 global 73,3 Prozent mehr Schamlippen-Korrekturen durchgeführt als noch 2015. Für Deutschland gibt es eine Steigerung von circa 35 Prozent zwischen 2019 und 2021 mit 10.556 Eingriffen. Neu dabei sind in diesem Jahr die Verjüngung, sprich Verengung der Vulva mit 1457 Operationen.
Doch was ist überhaupt eine schöne Vulva und was eine hässliche? Während viele Menschen früher nicht einmal wussten, dass es verschieden Formen der Vulva gibt, gibt es heutzutage klare Vorgaben. "Kulturell entstanden ist das Ideal, dass das Geschlecht oder die Vulva möglichst klein und versteckt sein soll", erklärt die Psychologin Ada Borkenhagen im Gespräch mit watson. "Eine sehr stark ausgeprägte Vulva löst häufig bei Männern Angst vor starken, gierigen Frauen aus."
Eine "schöne" Vulva im "Scham"-Bereich muss also zurückhaltend sein, ordentlich verstaut und zahm: Dazu passt es, dass laut Borkenhagen die Schamlippenverkleinerungen die häufigste Operationsart im Bereich der Intim-Chirurgie ist. Laut Idealvorstellung sollen hierfür die äußeren Schamlippen die inneren verdecken.
Andere mögliche Eingriffe sind die verjüngende Vaginalstraffung, die Venushügel- oder Klitoriskorrektur sowie die Aufspritzung des G-Punkts. Manchmal sind die Eingriffe medizinisch notwendig, wenn Frauen beispielsweise Schmerzen beim Sex haben. Eine weitere Begründung ist die Steigerung des weiblichen Lustempfindens. Dennoch sind die meisten Vulva-Operationen rein ästhetischer und nicht medizinischer Natur.
Die Schönheitsvorstellung für die weibliche Vulva entwickelten sich laut Borkenhagen, als sich "die Teilrasur der Schamhaare als Modephänomen, also als Trend bei den unter 30-jährigen Frauen, durchgesetzt hat". Plötzlich war die Vulva sichtbar und musste dementsprechend auch gestaltet werden.
"Dass der weibliche Schambereich sichtbar wurde, kann man auch als emanzipative Entwicklungen positiv sehen." Die weibliche Anatomie in Schul- und auch medizinischen Lehrbüchern wurde lange Zeit sträflich vernachlässigt. "Die Vulva war wissenschaftlich tabuisiert und das hat sich in Deutschland nicht geändert." Denn es gebe bestimmte Auflagen: "Wenn die Vulva sehr ausgeprägt gezeigt wird, gilt das schnell als Pornografie, also wurde da viel wegretuschiert."
Wo man die Vagina also zur Genüge und in Nahaufnahme sah, waren Pornos, die sich in den 1960er-Jahren mit der sexuellen Revolution verbreiteten. Borkenhagen sieht in der Pornoindustrie einen wesentlichen Auslöser der Ausbildung von Idealvorstellungen eines weiblichen – aber auch männlichen – Idealbilds.
Sie erklärt:
Sobald ein weiblicher Körperteil sichtbar wird, muss es perfektioniert werden:
Wie viele Frauen sich wegen dieser Idealvorstellungen in Deutschland wirklich unters Messer legen lassen, um ihre Vulva operativ zu verändern, ist jedoch schwer feststellbar. Denn in Deutschland darf theoretisch jede:r Ärzt:in eine Schönheitsoperation machen, wie Kerstin Ark, Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie erklärt.
"Es ist gesetzlich nicht geregelt, wer ästhetische Eingriffe machen darf." Außerdem handelt es sich dabei meist um Privatleistungen, die nicht einheitlich und durchgehend erfasst werden.
Sogar der Gynäkologe, der Hausarzt oder der Internist dürfe, solange es nicht zu häufig ist, eine intim-chirurgische Operation vornehmen. Eine Rechtslage, die Gefahren birgt. Erst 2021 starben zwei Patientinnen in Düsseldorf bei einer Po-Vergrößerung durch einen Internisten.
In Österreich ist die ästhetische Chirurgie laut Borgenhaken 2013 besser reguliert – laut der Leitlinien nach Körperregionen: Der Gynäkologe darf im Brust- oder Intimbereich operieren, der Kieferchirurg im Gesicht.
Auch in Amerika sei ein solcher Eingriff sicherer:
Mag sein, dass sich der Trend zur "kleinen" Vulva irgendwann dreht. Immerhin beschwerte sich Khloe Kardashian, man solle doch mehr Stoff in die Mitte der Sporthosen-Leggings der Marke "Skims", die ihrer Schwester Kim Kardashian gehört, vernähen. Khloe zählt sich selbst als Mitglied des "big p***y club" und macht sich selbstbewusst über ihren "Cameltoe" lustig.
In einer Sendung des amerikanischen TV-Senders Hulu im April 2022 fragte sie ihre Schwester neckisch, ob das Design so entworfen wurde, um "nur meine Klitoris zu bedecken?" Sie sagte, die Hose würde ihr Schmerzen beim Tragen bereiten und erklärte gegenüber Kim: "Die Vagina braucht ein bisschen mehr Stoff." Und Kim entwarf prompt ein neues Modell für ihre Schwester.