Sinti und Roma in Deutschland: Warum ihnen die Gen Z Hoffnung macht
Was weißt du über Sinti und Roma? Und was glaubst du, sicher zu wissen? Diese beiden Fragen stellt Jill Strüber immer zu Beginn ihrer Workshops. Sie arbeitet als Bildungsreferentin bei der Niedersächsischen Beratungsstelle für Sinti und Roma. Menschen, die Diskriminierung erfahren, können sich bei Strüber und ihren Kolleg:innen melden. Gleichzeitig bietet der Verein rassismuskritische Workshops für Unternehmen und Behörden an.
Strübers Erkenntnis aus dieser Bildungsarbeit fällt ernüchternd aus: "Das Unwissen ist leider sehr groß". Auf die erste Frage bekäme sie teils gar keine Antworten, der Wissensstand liege oft bei "null". Die Antworten auf die zweite Frage seien dafür häufig mit Klischees verknüpft. "Da gibt es teils wilde Zuschreibungen, die meistens mit Kriminalität zu tun haben", sagt Strüber gegenüber watson.
Oder es sei das komplette Gegenteil und es finde eine Romantisierung statt: "Dann geht es um Menschen, die Musik machen, am Feuer sitzen, in Wohnwagen leben und reisen und ein vermeintlich sorgloses Leben ohne Verpflichtungen führen".
Vorurteile über Sinti und Roma sind weit verbreitet
Der positive Rassismus stamme oft aus Kinderbüchern, Hörspielen, älteren Fernsehserien oder Filmen. Zuschreibungen über Kriminalität und prekäre Wohnverhältnisse fänden sich dagegen häufig in Presseberichten wieder. Und die werden wiederum von Politiker:innen aufgegriffen.
Erst Ende September saß der ehemalige SPD-Politiker Thilo Sarrazin beim TV-Sender Welt. Er war Gast in einer Sendung zum Thema "Sozialleistungsbetrug in Deutschland: NRW macht Razzien in Schrott-Immobilien".
Hintergrund der Sendung war eine groß angelegte Durchsuchung von Wohnungen in Nordrhein-Westfalen, die "vorwiegend von Menschen aus Südosteuropa bewohnt werden". 19 davon wurden wegen "untragbarer Zustände" geräumt.
In diesem Zusammenhang erklärte Sarrazin mit Blick auf die Stadt Duisburg: "Dort leben 27.000 Sinti und Roma geballt. Sage und schreibe 13 Prozent von ihnen gehen einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nach, der Rest sind Aufstocker und am Ende leben sie alle vom Staat". Vom Moderator gab es dazu keine Nachfrage. Dementsprechend blieb unklar, woher diese Zahlen überhaupt stammen – und ob sie wahr sind.
Zweifelhaft sind sie allemal: Denn wer den Gruppen von Sinti und Roma angehört, wird in Deutschland aus gutem Grund nicht mehr erfasst. Dass Sarrazin also unwidersprochen Migrant:innen aus Südosteuropa mit Sinti und Roma gleichgesetzt hat, die seit Generationen hier leben, scheint möglich. Dabei sind diese beiden Gruppen mitnichten identisch.
"Selbst wir wissen nicht, wie viele Sinti und Roma genau in Deutschland leben, geschweige denn in Duisburg", meint Mario Franz, Geschäftsführer der Beratungsstelle. Die Zahl 27.000 sei eher zutreffend für eine größere Region, aber sicherlich nicht für eine einzige Stadt.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes geht davon aus, dass zwischen 80.000 und 140.000 Sinti und Roma in Deutschland leben. Insofern sind die Zahlen, auf die sich Sarrazin beruft, mehr als fragwürdig. Dennoch bleiben sie nicht folgenlos.
Diskriminierung gegen Sinti und Roma nimmt weiter zu
Solche Aussagen würden nämlich Z-Projektionen, also rassistische Zerrbilder über Sinti und Roma, befördern, erklärt Franz. "Das hat Einfluss auf unsere Gesellschaft. Das sind unsere Nachbarn, unsere Lehrer, das ist der Bäcker von gegenüber." Diese Beobachtung lässt sich auch durch Zahlen belegen.
Für das Jahr 2024 berichtete die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) von einem deutlichen Anstieg der Angriffe, Drohungen und Diskriminierungen gegenüber Sinti und Roma in Deutschland. Demnach wurden im vergangenen Jahr bundesweit 1678 antiziganistische Vorfälle registriert, 2023 waren es 1233 – ein Plus von 36 Prozent.
"Die Statistik ist nur die Spitze des Eisbergs", sagt Strüber. Die Dunkelziffer sei noch einmal weit höher. Das hat aus ihrer Sicht gleich mehrere Gründe: Zum einen koste es Überwindung, solche Fälle von Diskriminierung zu melden. Erst recht am Arbeitsplatz oder bei Behörden, wo Betroffene in einem Abhängigkeitsverhältnis stünden.
Zum anderen sei die Diskriminierung normalisiert worden, sodass es für viele Sinti und Roma Alltag war (und immer noch ist). "Uns wurde lange eingeredet, dass wir überreagieren und überall Rassismus sehen, der gar nicht da ist. Dem ist aber nicht so", sagt Strüber.
Die Diskussion ums Z-Schnitzel: Das sagt ein Sinto
Anders als Antisemitismus sei Rassismus gegenüber Sinti und Roma nie "absolut geächtet" gewesen. "Es ist immer salonfähig geblieben", ist die Bildungsreferentin überzeugt.
Das sieht man auch daran, dass das Z-Wort, also die rassistische Fremdbezeichnung für Sinti und Roma, weiter in unserem Sprachgebrauch existiert; ein Blick in die Speisekarte einiger Restaurants genügt. Dort findet sich manchmal immer noch das Z-Schnitzel.
Obwohl man auch von einem Paprika-Schnitzel sprechen könnte, beharren viele auf der alten Bezeichnung. Darf man denn gar nichts mehr sagen, heißt es dann.
"Ich kann diese Position nicht nachvollziehen", sagt Franz. Er lehnt das Z-Wort entschieden ab. "Da fühlen sich viele beim Diskriminieren diskriminiert. Aber nur weil man immer diskriminieren konnte, heißt das nicht, dass es richtig ist und man immer weitermachen kann".
Sinti und Roma: Bedenken wegen AfD-Erfolgen
Doch diese Meinung teilen nicht alle. Gerade Parteien wie die AfD versuchen, von solchen Debatten zu profitieren. In Umfragen zur nächsten Bundestagswahl liegt die in Teilen rechtsextreme Partei aktuell bei 26 Prozent – und ist damit gleichauf oder sogar vor der CDU. In Sachsen-Anhalt könnte die AfD nach den Landtagswahlen im kommenden Jahr zum ersten Mal einen Ministerpräsidenten stellen.
Angst habe sie bisher noch nicht, aber Bedenken, wie es weitergeht, sagt Jill Strüber im watson-Gespräch. Falls die AfD wirklich in Regierungsverantwortung kommt, werden sie wahrscheinlich nicht direkt Maßnahmen gegen Sinti und Roma ergreifen. Aber:
Trotzdem versucht sie, nicht die Hoffnung zu verlieren. Selbst wenn 26 Prozent der Bevölkerung AfD wählten, gebe es immer noch drei Viertel, die das nicht täten.
Diskriminierung: Hoffnung durch die Gen Z
Denn zumindest mit Blick auf die jüngeren Generationen beobachtet Jill Strüber eine positive Entwicklung: "In den letzten vier, fünf Jahren sind viele Leute sprachsensibler geworden. Gerade junge Menschen achten darauf, inklusiv zu sein und keine rassistischen Begriffe mehr zu nutzen".
Das sieht auch Mario Franz so. Er glaubt, dass die jüngere Generation gerade eine wichtige Veränderung anstoße:
Und auch die jüngeren Sinti und Roma würden sich nicht mehr verstecken, sondern vermehrt offen und stolz zu ihrer Identität stehen, ergänzt Strüber. Viele seien mutiger geworden, Diskriminierung öffentlich anzusprechen.
Mit Blick in die Zukunft zeigt sie sich optimistisch: "Ich glaube wirklich daran, dass unsere Gesellschaft weltoffen ist und 1933 nicht mehr wiederkommt. Deutschland ist unsere Heimat und das wird sie auch immer sein".
