
Viele Deutsche haben sich bereits an die Arbeit im Homeoffice gewöhnt.Bild: Westend61 / Westend61
Leben
03.06.2021, 09:5703.06.2021, 09:57
Die Arbeitswelt von morgen erschien für die meisten
Menschen bis zum Frühjahr 2020 als reine Utopie. Und wurde dann
schlagartig Realität: Binnen weniger Tage drängte die Corona-Pandemie
zu Beginn der Krise Millionen Arbeitnehmer ins Homeoffice. Inzwischen
haben sich viele an die Heimarbeit gewöhnt. Angestellte wie Firmen
haben die Vorteile zu schätzen gelernt. Einen Weg zurück in eine
jahrzehntelang typische Fünf-Tage-Bürowoche dürfte es vielerorts auch
nach der Pandemie kaum geben. Etliche Unternehmen haben ihren
Mitarbeitern schon flexiblere Arbeitsmodelle für die Zukunft
zugesichert – einige gehen noch weiter und wollen das Homeoffice
dauerhaft als neue Normalität etablieren.
Zu sehen ist das besonders in der IT-Branche. So versucht Europas
größter Softwarekonzern SAP, der seinen Beschäftigten schon vor der
Pandemie die Möglichkeit von bis zu vier Homeoffice-Tagen pro Woche
einräumte, nochmals an Flexibilität zuzulegen. "Bei den meisten
SAP-Mitarbeitern spielt es keine Rolle, von wo aus sie arbeiten. Wenn
es die Tätigkeit nicht zwingend verlangt, an einem bestimmten Ort
präsent zu sein, haben die Mitarbeiter bei der Wahl ihres Standorts
alle Freiheiten", sagt Cawa Younosi, der als Deutschland-Personalchef
bei dem Konzern für rund 25.000 Beschäftigte zuständig ist.
Homeoffice wird zum Standard
Noch etwas weiter geht das IT-Unternehmen Hewlett Packard Enterprise
(HPE). Bei der US-Firma, dessen deutscher Ableger in Böblingen rund
2000 Mitarbeiter beschäftigt, wird das Homeoffice generell zum neuen
Standard-Arbeitsort für die meisten Mitarbeiter erklärt. Sofern es
die Tätigkeit erlaubt, sollen die Beschäftigten künftig möglichst
immer von daheim arbeiten, wenn sie nicht gerade unbedingt im Büro
anwesend sein müssen. Sie müssen dieser Umstellung laut HPE vorab
jeweils zustimmen. Im Zuge des Konzepts sollen auch die Büros optisch
umgestaltet werden – zu Orten "der Begegnungen und des Austauschs",
wie es heißt. "Man geht dort also vor allem hin, um an Besprechungen,
Team-Meetings, Workshops, Trainings oder Feiern mit Kollegen, Kunden
und Partnern teilzunehmen", sagt ein HPE-Sprecher. Man wisse aus
Mitarbeiterumfragen, dass ortsunabhängige Arbeit von einer großen
Mehrheit nicht nur sehr geschätzt werde, sondern obendrein zu einer
höheren Produktivität führe.
SAP-Personalchef Younosi sieht es ähnlich und argumentiert im
dpa-Interview auch mit einer gestiegenen Erwartungshaltung junger
Talente auf dem Arbeitsmarkt. "Während viele Firmen vor der Pandemie
möglicherweise Bedenken hatten, ob es funktionieren kann, wenn jemand
regelmäßig von ganz woanders als im Büro arbeitet, ist die Sache doch
jetzt klar: Ja, es funktioniert für viele Berufe." Nach den positiven
Erfahrungen in der Pandemie habe ein Betrieb, in dem Homeoffice von
der Tätigkeit her generell möglich ist, doch "gar keine Argumente
mehr, wenn er einem talentierten Mitarbeiter jetzt sagt: Wenn du für
uns arbeiten willst, musst du aber von Berlin zum Beispiel nach
Schwäbisch Hall umziehen, weil da unsere Firma sitzt".
Wunsch nach Flexibilität
Der Wunsch nach flexibleren Modellen ist in der Arbeitnehmerschaft
ausgeprägt. Vier von fünf Beschäftigten, die bisher regulär im Büro
arbeiten, wollen einer Erhebung des Beratungsunternehmens EY zufolge
künftig zumindest einen Teil ihrer Arbeitszeit im Homeoffice
verbringen. 38 Prozent möchten pro Woche nur noch drei- bis viermal,
36 Prozent nur noch ein- bis zweimal ins Büro.
Hannah Schade vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der
Technischen Universität Dortmund führt das auch auf eine gestiegene
Job-Zufriedenheit der meisten Arbeitnehmer im Homeoffice zurück. Das
liege zu einem Großteil daran, dass die Menschen sich ihre Arbeit
daheim besser einteilen könnten als im Büro. Zudem sende eine Firma
durch freimütige Homeoffice-Angebote Signale des Vertrauens und der
Wertschätzung. "Man fühlt sich doch gleich viel ernster genommen,
wenn man weiß: Mein Arbeitgeber traut mir und stellt mich nicht unter
einen Generalverdacht, wonach ich vielleicht nicht genug arbeite,
wenn man mich im Büro quasi nicht überwacht."
Auch Autobranche verändert sich
Längst nicht nur in der IT-Welt setzt sich das Homeoffice dieser Tage
durch. Auch in der bei Arbeitszeitmodellen mitunter als gestrig
verschrienen Autobranche bewegt sich einiges. Beim Stuttgarter
Sportwagenbauer Porsche können die Mitarbeiter beispielsweise künftig
an bis zu zwölf Tagen im Monat mobil arbeiten, wenn sie nicht gerade
in Bereichen wie der Produktion arbeiten. Vor der Pandemie waren
monatlich nur zwei Homeoffice-Tage erlaubt. Auch bei Porsches
Mutterkonzern Volkswagen gibt es Überlegungen, die
Homeoffice-Möglichkeiten auszuweiten. Eine Sprecherin erklärt, VW
strebe ein kombiniertes Modell aus Präsenz und mobilem Arbeiten an.
Personalvorstand Gunnar Kilian äußerte zuletzt, die neue Arbeitswelt
zeichne sich durch "weitaus mehr Freizügigkeit und Selbstbestimmung"
als bisher aus.
In anderen Branchen wird das ähnlich gesehen. Die Deutsche Bahn teilt
mit, Ziel sei es, mobiles Arbeiten dort möglich zu machen, "wo es die
bestehenden Arbeitsanforderungen erlauben". Beim Technologiekonzern
Siemens soll das mobile Arbeiten laut einer Sprecherin "dauerhaft als
Standard etabliert" werden – mit dem Ziel, dass alle Beschäftigten
weltweit im Schnitt stets zwei bis drei Tage pro Woche mobil arbeiten
können. Und zwar immer dann, "wenn es sinnvoll und machbar" sei.
Auch beim Bosch-Konzern soll es mehr hybride Arbeitsmodelle – also
eine Mischung aus Büroarbeit und mobilem Arbeiten – geben. "Im Fokus
steht das Ergebnis, nicht die Präsenz", sagt Arbeitsdirektorin und
Geschäftsführungsmitglied Filiz Albrecht. Ein Sprecher ergänzt,
ungeachtet aller Vorteile im Homeoffice hätten interne Umfragen aber
auch gezeigt, dass die Nähe und der direkte Austausch unter den
Kollegen "live und in Farbe" zurzeit fehlten.
Auch Kritik an Homeoffice
Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter sehen den Hype ums
Homeoffice nicht unkritisch, zumal das Arbeiten von zu Hause leichter
zu unbezahlten Überstunden führen könne. Auch könnten neue
Homeoffice-Modelle zu verstärkten Einsparungen bei
Firmenräumlichkeiten führen, was vielen Mitarbeitern bei Bedarf den
Weg zurück ins Büro erschweren könnte. VW-Betriebsratschefin Daniela
Cavallo sagte zuletzt etwa, Volkswagen verbinde die Frage, "wo wir
künftig arbeiten, durchaus auch mit einer möglichen Reduzierung von
Büroraum und dem Einsparen von Kosten".
Obendrein lässt sich auch der Gesundheitsschutz der Mitarbeiter im
Homeoffice schlechter sicherstellen. Das Thema war schon in der alten
Arbeitswelt wichtig – und dürfte es in der neuen bleiben. Denn wer
wann und wie lange arbeitet, lässt sich bei mobiler Arbeit oft gar
nicht mehr überprüfen. Wissenschaftlerin Schade sieht hier eine
Gefahr, zumal die im deutschen Arbeitsleben "stark verankerte"
Präsenzkultur im Homeoffice-Zeitalter keineswegs überwunden sei.
"Auch wenn sich die Art und Weise ändert: Der Arbeitgeber freut sich
weiter, wenn er weiß, dass seine Arbeitnehmer am Platz sind. Und
viele Arbeitnehmer freuen sich weiter, wenn sie beweisen können, dass
sie präsent und produktiv sind", sagt Schade. Ihre Omnipräsenz
könnten Mitarbeiter künftig etwa verstärkt dadurch demonstrieren,
"dass sie sofort auf eine E-Mail antworten – sogar abends, sogar am
Wochenende". Im Endeffekt bleibe die Erholung auf der Strecke, sagt
Schade. "Im besten Fall gibt es klare, verbindliche Absprachen mit
dem Arbeitgeber, wann man das Recht dazu hat, nicht erreichbar zu
sein."
(pas/ dpa)
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