Es gibt diese Tage, an denen fühlt man sich unbesiegbar. Die Frisur sitzt, das Outfit passt und man strahlt geradezu von innen heraus. Der letzte Freitag war für mich nicht so ein Tag. Im Gegenteil.
Ich hatte nicht nur meine Periode – inklusive Unterleibskrämpfen und Stimmungsschwankungen, sondern auch noch Lippenherpes. Meine Comfort Zone endete also mit meiner Bettkante. Und trotzdem habe ich genau an diesem Tag beschlossen, ins Schwimmbad zu gehen. Oben ohne.
Warum ich mir das antue? Ich erkläre es kurz: Verboten war es für Frauen eigentlich nie, ohne Bikini-Oberteil schwimmen zu gehen. Trotzdem wurde es des Öfteren zum Problem – erst im Dezember wurde eine Frau im Schwimmbad Berlin-Kaulsdorf vom Aufsichtspersonal dazu aufgefordert, ihre Brüste zu bedecken. Sie hat sich geweigert. Und wurde prompt des Schwimmbads verwiesen.
Die 33-Jährige reichte eine Beschwerde ein und wies darin darauf hin, dass die Haus- und Badeordnung der Bäderbetriebe überhaupt keine geschlechtsspezifischen Festlegungen trifft. Im März haben die Berliner Bäder dann auf die Beschwerde reagiert und offiziell verkündet: "Das Schwimmen 'oben ohne' ist für alle Personen gleichermaßen erlaubt."
Ich frage mich allerdings, ob wirklich Personen jedes Geschlechts in Berlin oberkörperfrei baden gehen können, ohne angestarrt zu werden. Oder ob dieses Privileg letztendlich doch nur Männern zuteilwird. Also habe ich es ausprobiert.
Weil die Sonne schien und ich den baldigen Sommerbeginn manifestieren wollte, habe ich mich für einen Besuch im Freibad entschieden. Und da ich in Neukölln wohne, bin ich ins Columbiabad gegangen – die Höhle des Löwen. Denn im letzten Sommer kam es hier so oft zu Schlägereien und Auseinandersetzungen, dass die Berliner Zeitung das Columbiabad als "das härteste Freibad Berlins" bezeichnete.
Als ich am Schwimmbad ankomme, erwartet mich allerdings etwas ganz anderes: Ruhe. Es ist immerhin erst Anfang Mai und nur wenige Menschen vertrauen ihrem Immunsystem so weit, dass sie sich schon ins Freibad wagen. Das kommt mir zugute. Denn die Nervosität steigt mit jedem Schritt, den ich den Umkleidekabinen näher komme.
Obwohl ich dort nur von Frauen umgeben bin, halte ich mir zunächst das Handtuch vor, um meinen Oberkörper zu verdecken. Denn ich fühle mich ziemlich komisch damit, obenrum nackt zu sein. Von den vielen Saunabesuchen im Winter sollte ich eigentlich gerüstet sein für diesen Moment. Aber die Tatsache, dass ich die einzige Frau bin, die kein Oberteil trägt, macht die Situation heikel.
Mit einem mulmigen Gefühl laufe ich zum Schwimmbecken. Bis zur letzten Sekunde halte ich mein Handtuch vor der Brust fest. Am Beckenrand lege ich es ab und steige ins kalte Wasser. Und dann passiert etwas Unerwartetes: Das Wasser gibt mir Schutz – und Mut.
Ich ziehe meine Bahnen und weiß, dass gerade niemand auf meine Brüste schaut. Das gibt mir die Gelegenheit, mich auf die Situation einzulassen. Das kühle Wasser fühlt sich gut an auf meinem beinahe nackten Körper. Und auf einmal fühle ich mich total stark. Denn um mich herum sind mittlerweile einige Menschen – und ich schwimme trotzdem oben ohne.
Wenn ich Pausen mache, verstecke ich meinen Oberkörper nicht unter Wasser, sondern setze ihn der Sonne aus. An der Sommerbräune kann man schließlich nicht früh genug anfangen zu arbeiten. Manche Leute schauen kurz zu mir herüber, aber kein Blick bleibt so lange an mir haften, dass es mir unangenehm wird.
Als zwei Teenager-Jungs in meine Nähe kommen, halte ich ein bisschen den Atem an. Erstens, weil mir Teenager-Jungs schon immer Angst gemacht haben und zweitens, weil ich denke, sie könnten einander dazu ermutigen, mir einen blöden Spruch zu drücken. Aber das passiert nicht. Auch die Jungs gehen wortlos an mir vorbei.
Nach dem Baden lege ich mich eine Weile auf die Wiese und genieße die warmen Sonnenstrahlen. Um mich herum liegen Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts – keiner interessiert sich offenbar für mich und meine Brüste. Ich glaube, ich habe es selten so sehr genossen, keine Aufmerksamkeit zu bekommen.
Völlig normal fühlt es sich für mich zwar bis zum Schluss nicht an, mit nackten Brüsten durch das Schwimmbad zu spazieren, aber es ist weitaus weniger angsteinflößend, als ich erwartet habe. Und die kaum merklichen Reaktionen der Badegäste freuen mich – denn es sollte keinen Unterschied machen, ob eine Person, die schwimmen geht, ihren Oberkörper bedeckt, oder nicht. Völlig unabhängig vom Geschlecht.
Als ich das Bad verlasse, bin ich stolz auf mich. Ich habe aus diesem schlechten Tag etwas Gutes gemacht und mich, ganz nebenbei, für Gleichberechtigung eingesetzt. Nimm das, Bettkante!