Sie war 20. Sie hatte noch keinen einzigen journalistischen Text geschrieben. Sie wollte ein Praktikum bei uns machen. Und sagte, da war das Gespräch keine sieben Minuten alt, ohne erkennbaren inhaltlichen Zusammenhang, diese zwei Sätze: "Ich möchte mal kurz klarstellen, dass ich nur zusagen kann, wenn ich in meinen Texten gendern darf. Alles andere passt nicht zu meinem Selbstverständnis. Und nein, darüber möchte ich auch nicht diskutieren."
Kurzes Schweigen.
Ich war verwirrt. Über die Tatsache, dass sich die Studentin keine fünf Minuten lang watson.de angesehen haben konnte. Dann hätte sie bemerkt, dass wir in jedem Text gendern. Es gibt auf unserer Seite sogar einen Erklärtext dazu. Vielmehr aber über die Forschheit. Das Selbstbewusstsein. Die Unverfrorenheit. Nennt es, wie ihr wollt.
Ich gebe zu: Das Beispiel ist das extremste dieser Art, das ich in einem Bewerbungsgespräch bisher erlebt habe. Aber es steht sinnbildlich für viele Calls, die man mit potenziellen Neuzugängen der Gen Z führt, in denen man sich als Führungskraft fragt: Wer ist hier eigentlich gerade Bewerber:in – du oder ich?
Vielleicht ist meine Einstiegserzählung ein wenig irreführend. Ich finde diese Entwicklung gut. Für mich sind, ausreichende Qualifikation vorausgesetzt, Unterhaltungen mit möglichen Verstärkungen ohnehin längst ein gegenseitiges verbales Abtasten: Was willst du? Was wollen wir? Was hast du und was haben wir anzubieten? Und glauben wir beide, dass wir am Ende an einem Strang ziehen werden, sodass beide Seiten zufrieden sind?
Zu diesem Vorgehen gehört die Erkenntnis, dass Führungskräfte endlich erkennen sollten, dass die Zeit der Arroganz endgültig vorbei ist. Nein, natürlich muss man sich auch von Bewerber:innen nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Aber: Wer schon im Bewerbungsprozess keine Ehrlichkeit verträgt, wird seine Mitarbeitenden auch nie auf Augenhöhe führen.
Ich nutze das Wort "Bewerbungsgespräch" im gelernten Sprachgebrauch noch immer zu oft, streiche es aber mittlerweile mehr und mehr deshalb aus meinem Wortschatz. Weil es "Kennenlerngespräch" irgendwie besser trifft. Zumindest im ersten Schritt. Natürlich muss man als Führungskraft im Prozess herausfinden, ob ein Mensch fachlich und inhaltlich ins Team passt, ob die journalistischen Fähigkeiten vorhanden sind, um in unserer Redaktion erfolgreich arbeiten zu können.
Doch mittlerweile beginne ich immer mit einem ersten Kennenlernen – vor einem weiteren Gespräch oder Treffen. 30 bis 60 Minuten, in denen es um die Rahmenbedingungen geht. Teamstruktur, Homeoffice, Arbeitszeiten, Gehaltsvorstellungen, Work-Life-Balance, die Vorstellung vom perfekten Job, die Anforderungen meinerseits.
Ich bin in diesen Unterhaltungen so transparent wie nur irgendwie möglich, bei positiven und komplizierten Aspekten gleichermaßen. Ich halte nichts davon, gute Bewerber:innen unter Vortäuschung falscher Versprechungen in ein Unternehmen zu locken, nur um dann zu sehen, dass der oder die Neue nach acht Wochen schon frustriert in der Ecke sitzt.
Im Umkehrschluss bringt es niemandem was, wenn Kandidat:innen zu allem Ja und Amen sagen, nur um den Job irgendwie zu bekommen. Dann fangen sie an und packen nach kurzer Zeit nie besprochene Sonderwünsche aus. Das wird nicht funktionieren. Weshalb ich mir auch von Bewerber:innen wünsche, dass sie brutal direkt sind.
Bei einigen meiner Kennenlerngespräche ist relativ schnell klar, dass wir nicht zusammenfinden werden. Man hat sich getroffen, man fand sich interessant, aber man merkt, dass die Vorstellungen über die Rahmenbedingungen nicht zusammenpassen. So ist das Leben. No hard feelings.
Zumal mir bewusst ist, dass gerade der Journalismus eine anstrengende Branche ist. Wir quetschen unsere Kolleg:innen nicht aus wie eine Zitrone. Wir achten darauf, dass hier nicht andauernd Überstunden geschoben werden. Aber im Nachrichtengeschäft sind Flexibilität, Zeitdruck und Hektik nicht zu vermeiden. Wer bei uns arbeiten möchte, bei einem Medium, das ausschließlich digital und ohne Bezahlschranke existiert, darf keine Probleme mit dem Rhythmus eines (digitalen) Newsrooms haben.
Oft merke ich aber auch: Manche Bewerber:innen haben Angst davor, offen ihre Vorstellungen oder Bedingungen zu kommunizieren, weil auch in der Gen Z nicht jeder Mensch vor Selbstvertrauen platzt oder schlechte Erfahrungen mit Ehrlichkeit in Vorstellungsgesprächen gemacht hat. Und sind dann überrascht, dass gewisse Dinge relativ einfach zu managen sind.
Mein Lieblingsbeispiel ist da die junge Frau, die sich zwingend auf einen Tag festlegen möchte, an dem sie Punkt 15 Uhr den Stift fallen lassen kann, um zur Therapie zu können. Ich war von ihrer Offenheit beeindruckt, ihre Depression ehrlich anzusprechen. Sie war von meiner Reaktion darauf angetan. Und wir merkten beide schnell: An diesem Punkt wird eine Zusammenarbeit definitiv nicht scheitern.
Das Selbstbewusstsein der Gen Z, die klaren Vorstellungen zur Work-Life-Balance, die Ansprüche an Arbeitgeber – ja, man fühlt sich als Führungskraft manchmal selbst wie ein:e Bewerber:in. Oder: Ja, man ist mittlerweile auch selbst Bewerber:in bei der schwierigen Suche nach gutem Personal.
Ich versuche, darin das Positive zu sehen: Wer Wünsche der Gen Z und die eigenen Bedürfnisse unter einen Hut bekommt, findet junge, hervorragende Verstärkungen. Die durchaus zu schätzen wissen, dass man auf ihre Bedürfnisse auch eingeht – und deshalb hoffentlich lange Teil des Teams bleiben.