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Der Chef ganz ehrlich

Chef ganz ehrlich: Wenn der beste Mitarbeiter fragt, ob er den Job kündigen soll

"Kündigen? Du? Wirklich?" Manche Dinge sieht man als Führungskraft einfach nicht kommen.
"Kündigen? Du? Wirklich?" Manche Dinge sieht man als Führungskraft einfach nicht kommen. Bild: Shutterstock / studiostoks
Der Chef ganz ehrlich

Wie es sich anfühlt, wenn einer deiner besten Mitarbeiter fragt, ob er kündigen soll

Swen ist Chefredakteur von watson. Er findet seinen Job so gut, dass er jetzt auch noch eine Kolumne über ihn schreibt. Hier berichtet er von schönen, traurigen und kuriosen Erlebnissen. Denn man mag es kaum glauben: Auch Führungskräfte machen sich Gedanken. Und haben manchmal Gefühle.
30.01.2023, 07:3830.01.2023, 07:40
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Als Rob mich um ein spontanes Gespräch bat, hatte ich zuerst an etwas Harmloses gedacht. Vielleicht ein spontaner Urlaubswunsch oder eine neue Idee für ein Format. Ich sollte mich täuschen.

Rob war Anfang bis Mitte 20, seit ein paar Jahren schon bei uns im Unternehmen, seit knapp zwölf Monaten Teil meines Teams. Er war einer meiner besten Leute, extrem steile Lernkurve, bei allen beliebt, immer einen frechen Spruch auf den Lippen. Ein Mensch, von dem du als Chef:in denkst: Mach bitte einfach immer so weiter.

Doch dann sagte Rob diesen Satz, den ich nicht hatte kommen sehen: "Ich wollte dich fragen, ob ich kündigen soll." Ich schaute ihn kurz verdattert an.

Aus dem Leben einer Führungskraft
Wie führt man Menschen der Generation Z und die jüngere Hälfte der Generation Y modern und erfolgreich? Seit mehreren Jahren versuche ich, das herauszufinden, weil die allermeisten meiner Kolleg:innen 18 bis 35 Jahre alt sind. In meiner Kolumne "Der Chef ganz ehrlich" möchte ich meine Erfahrungen und Gedanken zum Leben als Vorgesetzter teilen. Subjektiv und direkt, durch die Brille einer Führungskraft. Alle Namen sind natürlich anonymisiert. Und nicht jedes Erlebnis stammt aus der watson-Redaktion. Feedback, Gedanken und Themenvorschläge gerne jederzeit an swen.thissen@watson.de.

Rob skizzierte in Kürze, dass ungefragt ein Angebot auf seinem Tisch gelandet war. Bezahlung, Position, möglicher Arbeitgeber – das klang schon alles ziemlich gut. Er kam nicht, um mir die Pistole auf die Brust zu setzen und Forderungen zu formulieren, um seine Kündigung zu verhindern. (Wobei ich das ohnehin für einen Katastrophenmove halte, zu dem ich immer "Nein" sagen würde. Mehr dazu vielleicht mal in einer anderen Kolumne.)

"Nie im Leben hätte ich den Mut gehabt, meine Führungskraft zu fragen, ob das Angebot der Konkurrenz besser für mich ist."

Er wollte meinen ehrlichen Rat. "Ich kenne niemanden, von dem ich glaube, dass er besser einschätzen kann, ob das für mich der richtige Schritt ist."

Im ersten Moment war ich von seiner Direktheit beeindruckt bis verwirrt. Nie im Leben hätte ich den Mut gehabt, meine Führungskraft zu fragen, ob das Angebot der Konkurrenz besser für mich ist. Mit ein wenig Abstand war ich gerührt, weil ich sein Vertrauen als unglaublich großes und ehrliches Lob empfunden habe. Heute sage ich: Es war – zumindest in unserer Konstellation – ein ziemlich intelligenter Schritt von ihm. Denn klar ist: Hätte er das Gefühl gehabt, ich sei nicht ehrlich, wäre er gegangen. Natürlich. Niemand bleibt bei lügenden Vorgesetzten, wenn man eine andere Option in der Hinterhand hat.

Also tat ich das, was ich immer versuche: Ich war so ehrlich und authentisch wie irgendwie möglich.

Und riet ihm, das Angebot abzulehnen.

"Chef, hier ist meine Kündigung." Das ist einer jener Sätze, die man als Führungskraft sehr selten gerne hört.
"Chef, hier ist meine Kündigung." Das ist einer jener Sätze, die man als Führungskraft sehr selten gerne hört.Bild: pexels / craig aderlay

Ich reagierte spontan mit einer kurzen Einschätzung, bat Rob dann aber um ein paar Stunden Zeit, um die Frage sacken zu lassen. Ich wusste, dass ich ihm eine möglichst perfekte Antwort schuldig war.

Ich erklärte ihm abends, warum ich glaubte, dass dieser Wechsel der falsche sei. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, aber in Kurzform war mein Fazit: Wenn du bei uns deine Entwicklung noch ein Jahr durchziehst, findest du bald etwas deutlich Besseres als das, was jetzt möglich wäre. Und: Beim potenziellen neuen Arbeitgeber hätte er nicht die Chance gehabt, sich wirklich so weiterzuentwickeln, wie es bei ihm möglich war. Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. Aber langfristig betrachtet eine Nummer zu klein.

Rob schlief noch eine Nacht darüber und schrieb mir am nächsten Morgen, dass er bleibt.

Exakt ein Jahr später hat er dann tatsächlich gekündigt. In den Monaten dazwischen habe ich übrigens keine besonderen Anstrengungen unternommen, ihn zu halten. Weil wir beide wussten, dass er der Typ Mitarbeiter:in ist, der nach ein paar Jahren einfach mal einen anderen Laden von innen sehen will. So war ich vor zehn Jahren auch. Es gab in diesem Fall nichts, was ich ihm hätte anbieten können, um ihn an uns zu binden.

"Ich habe den Eindruck, dass junge Menschen mit vielen Themen einfach unverkrampfter umgehen."

Einen Denkfehler hatte ich allerdings: Als Rob mich damals um Rat gefragt hatte, dachte ich, das sei enorm ungewöhnlich. In der Zwischenzeit habe ich ein solches Gespräch schon viermal geführt. Alle vier Personen waren um die 25 Jahre alt. Ich habe den Eindruck, dass junge Menschen mit vielen Themen einfach unverkrampfter umgehen. Und das gilt ganz offensichtlich auch für die Frage, ob man mit eigenen Vorgesetzten ein fremdes Angebot besprechen kann.

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Zweimal habe ich am Ende meine eigenen Mitarbeiter:innen aufgefordert, zu kündigen. Das ist ein seltsames Gefühl. Aber manchmal muss man als Chef:in einsehen, dass man den Kampf um die besten Leute nicht immer gewinnen kann.

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