Australien ist für viele ein Traumziel. Aber es kommt nicht jeder reinBild: Shutterstock / Art studio G
Die Auswanderin
Unsere Kollegin Franziska Wohlfarth hat bei watson gekündigt, weil sie nach Australien ausgewandert ist. Ganz weg ist sie aber nicht: Sie berichtet in ihrer Kolumne "Die Auswanderin" einmal im Monat von ihren Erlebnissen aus Down Under.
23.10.2023, 08:0205.12.2023, 10:18
Etliche Backpacker:innen und Urlauber:innen reisen jedes Jahr nach Australien, verlieben sich hier in die wunderschönen Strände, pulsierenden Städte und "no worries"-Attitüde der Locals. Viele von ihnen träumen davon, Deutschland zu verlassen und einen Neuanfang in Down Under zu starten. Dabei gibt es jedoch eine nicht ganz so unbeachtliche Hürde: das passende Visum.
Als EU-Bürger:in ist man es gewohnt, in anderen Ländern mit Kusshand und ganz ohne viel bürokratischen Aufwand in Empfang genommen zu werden. Doch in Australien ist das leider nicht ganz so einfach. Auch für mich nicht – und das, obwohl ich mit einer australischen Person verheiratet bin.
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Auswandern nach Australien: Oft scheitert es am Visum
Als Tourist:in nach Australien zu reisen, geht für Deutsche völlig problemlos. Das Visitor-Visum kann online beantragt werden, ist für drei Monate gültig, komplett kostenlos und wird normalerweise innerhalb von nur einem Tag bewilligt. Easy.
Etwas komplizierter wird das ganze, wenn man vorhat, für einen längeren Aufenthalt zu bleiben. Die naheliegendste Option hierfür ist das Working Holiday Visa, mit dem man ein Jahr lang unbegrenzt durch Australien reisen und nebenher arbeiten kann. Naja, fast unbegrenzt. Erstmal muss man knapp 400 Euro für das Visum hinblättern, darf nicht älter als 35 Jahre und auch nur sechs Monate bei einem Arbeitgeber angestellt sein.
Wer ein weiteres Jahr in Down Under verbringen möchte, muss drei Monate lang "specified work" in ländlichen Teilen Australiens verrichten. Für die meisten Reisenden heißt das: Knochenharte Farmarbeit fernab der Zivilisation. Wer nach einem zweiten Jahr in Australien immer noch nicht die Schnauze voll hat, kann seit Neuestem sogar ein drittes Jahr bleiben – insofern man weitere sechs Monate mit Obstpflücken im Nirgendwo verbringen möchte.
Farmarbeit bei über 30 Grad – das nehmen viele Backpacker:innen in Kauf, um länger in Australien bleiben zu dürfen.bild: pexels/Zen Chung
Neulich habe ich mich mit einer Freundin aus Großbritannien unterhalten, die momentan für ein Jahr durch Australien reist und am liebsten gar nicht mehr in ihr Heimatland zurückkehren möchte. Dabei bemerkte sie scherzhaft, dass sie ja "einfach nur einen Australier heiraten müsse, um für immer hier bleiben zu können". Das ist ein Vorurteil, das viele Leute haben und mich zugegebenermaßen ein bisschen wütend macht. Denn ganz so einfach ist es nicht.
Verheiratet sein reicht nicht
Obwohl ich seit drei Jahren mit einer australischen Person verheiratet bin, habe ich noch lange kein Anrecht darauf, im gleichen Land wie mein:e Partner:in zu leben. Wo kämen wir denn da hin? Stattdessen muss ich mich zunächst auf das Partnervisum bewerben – und das ist eine echte Tortur. Denn in Down Under gilt die Floskel "no worries" nur dann, wenn man auch hier geboren wurde. Alle anderen müssen sich dem roten Kontinent erstmal als würdig erweisen.
"Liebe allein reicht nicht aus, um eine glückliche Beziehung in Australien zu führen – du musst erstmal privilegiert genug sein, um dir diese Liebe auch leisten zu können."
Und das macht man, indem man erstmal 8850 Dollar hinblättert. Das sind umgerechnet etwas über 5000 Euro. 5000 Euro, die nicht jede:r einfach so auf dem Sparbuch rumliegen hat und für die manche Leute, insbesondere Studierende und jene, die von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck leben, jahrelang sparen müssen. 5000 Euro, die man nicht zurückerstattet bekommt, falls das Visum abgewiesen wird. Zum Vergleich: Das deutsche Ehegattennachzugsvisa (was ein Zungenbrecher!) kostet 75 Euro.
Wer nach Australien auswandern möchte, muss viel Zeit und Geld mitbringen.bild: pexels/Omar Markhieh
Neben dem offensichtlichen Klassismus, steckt hinter dieser absurden Gebühr außerdem eine ganze Menge Rassismus. Denn Europäer:innen und Nordamerikaner:innen haben viel eher die nötigen Mittel, um 5000 Euro anzusparen. Für Leute aus ökonomisch schwächeren Ländern wie Indien, wo das durchschnittliche Monatsgehalt nur etwa 200 Euro beträgt, ist diese Menge an Geld nochmal eine viel höhere Hausnummer. Liebe allein reicht also nicht aus, um eine glückliche Beziehung in Australien zu führen – du musst erstmal privilegiert genug sein, um dir diese Liebe auch leisten zu können.
Die Regierung will es ganz genau wissen
Für das Partnervisum braucht es nicht nur eine ganze Menge an Geld, sondern außerdem viel Zeit. Ein weiteres Privileg, das viele Leute nicht haben. Denn es braucht schon etwas mehr als eine Heiratsurkunde, um die Legitimität der eigenen Beziehung zu beweisen. Paare müssen stattdessen vor der australischen Regierung komplett blank ziehen und alle ihre intimsten Angelegenheiten offenlegen.
Gemeint sind damit Fotos, Chatverläufe, geteilte Rechnungen und Mietverträge, Briefe, ein gemeinsames Bankkonto, Stellungnahmen von Freund:innen und Familie, in denen die Echtheit der Beziehung bestätigt wird, Gesundheitschecks (denn ein bisschen Ableismus darf natürlich auch nicht fehlen) und polizeiliche Führungszeugnisse. Alles, was irgendwie beweisen kann, dass man in einer ernsthaften Beziehung steckt, muss zusammengesammelt werden. Eine äußerst langwierige und mühsame Aufgabe.
Das Partnervisum ist mit viel Bürokratie verbunden.bild: pexels/Ketut Subiyanto
Ich stecke momentan mittendrin im Bewerbungsprozess und gelange immer wieder an den Punkt, an dem ich selbst die Glaubwürdigkeit meiner Beziehung in Frage stelle. Fast so, wie wenn man durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen läuft und auf einmal Panik schiebt, dass man vielleicht doch aus Versehen eine Bombe im Handgepäck versteckt hat. Oder wenn man aus dem Supermarkt läuft, ohne etwas gekauft zu haben und sich dabei so fühlt, als würde man gerade eine Straftat begehen.
So wie mir geht es auch einigen anderen, die das Partnervisum beantragen. Die Angst davor, während des Bewerbungsprozesses irgendeinen Fehler zu begehen und womöglich 5000 Euro in den Sand zu setzen, ist so groß, dass viele sich juristischen Rat einholen und dafür nochmal mehrere tausend Euro hinblättern.
Abwarten und Tee trinken
Nachdem man also Monate damit verbracht hat, Geld anzusparen, Dokumente zusammenzusammeln und Statements zu verfassen, ist die Bewerbung endlich abgeschickt. Von hier an kann es doch nur noch leichter werden, oder? Falsch. Denn jetzt ist Warten angesagt. Wie lange? Keine Ahnung. Bis das Visum genehmigt (oder abgelehnt) wird, können im besten Fall Monate oder und im schlimmsten Fall Jahre vergehen.
"Die australische Regierung nimmt einen nur dann gerne auf, wenn man als Backpacker:in einreist und die Farmarbeit übernimmt, auf die Locals keinen Bock haben."
Glücklicherweise darf man während der Wartezeit auf dem sogenannten Bridging Visa in Australien bleiben. Die Krux hierbei: Bis der Visa-Prozess abgeschlossen ist, sitzt man in Down Under fest und darf nur mit einer speziellen Genehmigung das Land verlassen. Ob man die Familie im Heimatland besuchen darf, ist also von der Kulanz der Behördenmitarbeiter:innen abhängig.
Halten wir also fest: Die australische Regierung nimmt einen nur dann gerne in ihrem Land auf, wenn man als Backpacker:in einreist, die Farmarbeit übernimmt, auf die Locals keinen Bock haben und dann wieder geht. Wer länger im Land bleiben möchte, muss hohe Hürden überwinden und wird dazu auch noch mit Klassismus, Rassismus und Ableismus konfrontiert.
Optimistischer Blick in die Zukunft
Ich beneide jene Paare, die sich keine Sorgen darüber machen müssen, ob sie nächstes Jahr noch im selben Land wie ihr:e Partner:in leben dürfen. Ich bin es Leid, dass meine Zukunft und die meiner Beziehung von 5000 Euro und der Gutmütigkeit irgendeines Johns aus dem Immigration Department abhängig ist.
Internationale Paare haben es nicht immer leicht.bild: pixabay/Mohamed_hassan
Doch gleichzeitig weiß ich auch, dass ich alle Kriterien für das Partnervisum erfülle und es eigentlich keinen ersichtlichen Grund dafür gäbe, mich des Landes zu verweisen. Klar, die ganze Bürokratie ist ätzend. Doch ich bin dankbar dafür, überhaupt die Möglichkeit zu haben, in Australien leben zu können – und das ganz ohne monatelanges Obstpflücken.
(fw)