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Prostituierte vs. Lauterbach: Darum geht es im Corona-Streit

Eine Prostituierte wartet am 12.07.2017 auf ihrem Zimmer in einem Bordell in Frankfurt am Main (Hessen) auf Kundschaft. (zu dpa
Wie hoch ist das Infektionsrisiko in Bordellen? Darüber gibt es ganz unterschiedliche Ansichten.Bild: dpa / Andreas Arnold
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Bedeutet Corona das Aus für die Prostitution? Darüber streiten auf watson Sexarbeiterinnen und Lauterbach

28.05.2020, 15:0829.05.2020, 11:35
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Geschlossene Bordelle, leere Zimmer, keine Frauen und Männer, die am Straßenrand auf Kundschaft warten – die Corona-Pandemie hat die Prostitution in Deutschland komplett lahmgelegt. Offensichtlich, dass vorrangig Sexarbeiterinnen in einer Pandemie, in der soziale Distanz das oberste Gebot ist, erst einmal nicht arbeiten können. Doch mittlerweile kommt eine Lockerung nach der anderen, Gastronomen, Friseure und Kosmetiker kehren an ihren Arbeitsplatz zurück und so stellt sich die Frage: Wann folgen ihnen die Sexarbeiterinnen?

Wenn es nach einer Gruppe von 16 Politikern aus Union und SPD geht: gar nicht. Die Abgeordneten, allen voran SPD-Politiker Karl Lauterbach, fordern in einem Brief an die Länder, die Corona-Krise zum Anlass zu nehmen, Prostitution gänzlich zu verbieten. Ihr Argument: Es handle sich um eine menschenunwürdige Tätigkeit, die zudem virologisches Superspreader-Potenzial habe.

Was ist dran an dieser These? Im Interview mit watson gibt Mediziner und Gesundheitswissenschaftler Lauterbach zwar zu, dass es noch keine Studie gebe, die die Verbreitung des Coronavirus im Bordell oder Straßenstrich untersucht – "aber dazu brauchen Sie auch keine Studie, das sagt der gesunde Menschenverstand", so Lauterbach. "Der Austausch von Körperflüssigkeiten und der enge und anonyme Kontakt bei der Prostitution erhöhen die Gefahr der Übertragung enorm." Studien würden das für andere übertragbare Krankheiten belegen – "warum sollte das bei Corona anders sein?"

"Das ist eine Lüge"

Der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen e.V. sieht das ganz anders und wehrt sich in einem offenen Brief gegen die Vorwürfe. Die Öffnung des Rotlichtmilieus sei auch unter Corona-Richtlinien möglich, heißt es darin, die ganze Branche werde durch die "rückwärtsgewandte, moralinsaure, herabwürdigende und respektlose, um Aufmerksamkeit heischende Politik" diskreditiert. "Wir haben momentan keine Ahnung, wie es mit uns weitergeht und fühlen uns durch die Äußerungen dieser Politiker stark diskriminiert", sagt die Berliner Bordellbesitzerin Elke Winkelmann im Interview mit watson.

Superspreader-Potential sieht Winkelmann in der Prostitution nicht. "Wir haben klar gesagt, das ist eine Lüge", sagt die Bordellbesitzerin:

"Da geht wohl die Fantasie durch mit den Leuten, die die Branche nicht kennen. Von wegen Orgien… Es ist meistens so, dass die Frauen ihre Stammgäste haben und Termine mit denen vereinbaren, da geht es um Eins-zu-Eins-Kontakt. Und sowohl der Kunde als auch die Prostituierte haben großes Interesse an ihrer eigenen Gesundheit, das ist doch logisch."

Und Johanna Weber aus dem Vorstand des Berufsverbands für erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (BesD) betont gegenüber watson: "Selbst das Gesundheitsamt sieht infektionstechnisch keinen Unterschied zwischen einer normalen Massage und einer erotischen. In unserer Branche kommen auch nicht solche Menschenmassen zusammen wie in der U-Bahn."

Weber hält die Corona-Krise ohnehin nur für einen Vorwand, mit dem die Politiker versuchen, ein Verbot der Prostitution durch die Hintertür durchzusetzen. "Dieselben Politiker haben schon früher ein Problem mit unserem Berufsstand gehabt", sagt sie zu watson.

"Für mich ist klar: Den Politikern, die sich da zusammengetan haben, geht es nicht um Corona, sondern generell um die Abschaffung der Prostitution. Als seriöser Politiker sollte man solche Motive aber – gerade in Krisen-Zeiten – aus der Arbeit raushalten."

Tatsächlich macht zumindest SPD-Politiker Lauterbach keinen Hehl daraus, dass er die Prostitution ganz allgemein abschaffen will. "Das verheimliche ich überhaupt nicht und diese Meinung habe ich auch schon vor der Corona-Krise vertreten", so Lauterbach. "Die Krise ist dafür also kein Vorwand, sondern eine Gelegenheit. Wenn Prostituierte nun sowieso für längere Zeit nicht arbeiten könne, wäre das der richtige Moment, das umzusetzen."

Nur: Welche Folgen hätte ein Verbot der Prostitution für die Sexarbeiter, denen damit die Lebensgrundlage genommen wird? Lauterbach schlägt vor, die Frauen so lange finanziell zu unterstützen, bis sie einen existenzsichernden Beruf erlernt haben. Weber hält Umstiegsprojekte für diejenigen, die tatsächlich aufhören möchten, auch für grundsätzlich richtig und wichtig. "Aber dafür braucht es dann auch entsprechende Fachleute und jede Menge Geld", sagt sie.

Keine Hygiene in der Illegalität

Dennoch sind sich Winkelmann und Weber sicher, dass ein generelles Verbot die Sexarbeiter lediglich in die Illegalität treiben würde – und die Prostitution im Dunkeln weiterhin stattfinden würde. "Dann haben die Frauen nicht mehr die Möglichkeit, ihre Rechte so durchzusetzen, wie es jetzt in einem geschützten Rahmen möglich ist." Auch die Hygiene sei dann nicht mehr gesichert.

Bordellbesitzerin Winkelmann hält ohnehin wenig von vermeintlich gut gemeinten Verboten:

"Die Politiker äußern sich nach dem Motto: Diese Frauen müssen von klügeren Leuten an die Hand genommen werden, wir müssen ihnen das Gewerbe verbieten – als ob Sexarbeiter nicht selbst denken könnten, keine erwachsenen Frauen wären, als wären wir dumm. Das ist wirklich sehr verletzend!"

Weber schlägt statt eines Prostitutions-Verbots deshalb konkrete Maßnahmen für einen ansteckungsfreien Bordellbesuch vor: So solle der Kunde beispielsweise vorab telefonisch einen Termin ausmachen und dann von der Prostituierten an der Tür abgeholt werden. "Im Zimmer gelten die Hygienerichtlinien: Hände waschen, während des Vorgesprächs 1,5 Meter Abstand halten und dann darf während der Dienstleistung der Mund-Nase-Schutz auch nicht abgesetzt werden."

Bordelle hätten in der Regel ohnehin gute Reinigungskonzepte, die erweitert werden könnten: "Lüften, Türklinken desinfizieren, intensiv zwischen den Besuchen putzen." Zudem sollten Kunden Handynummer, E-Mail und Datum und Uhrzeit ihres Besuchs notieren und in einen Briefumschlag stecken. "Sollte dann tatsächlich ein Corona-Fall auftreten, könnte man sofort nachvollziehen, wer miteinander in Kontakt war und den Freier kontaktieren."

(ftü)

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