Meine Mutter und ich haben immer mal wieder unsere Hartz-IV-Momente. Die können ganz unterschiedlich aussehen und fühlen sich für uns beide wahrscheinlich auch ganz unterschiedlich an.
Oft haben sie etwas mit Geld zu tun – und der Tatsache, dass ich ab und zu vergesse, dass meine Mutter schlicht nicht so viel davon hat. Da ich in Vollzeit arbeite, muss ich mir keine Gedanken machen, ob der Joghurt jetzt zehn Cent billiger ist beim Discounter oder nicht.
Meine Eltern haben schon Sozialhilfe und Hartz IV bezogen, als ich noch zur Schule ging. Zwischendurch haben sie ganz normal in Vollzeit gearbeitet, dann wieder den Job verloren – es war ein ewiges Hin und Her. Mein Vater ist schließlich gestorben, als ich 18 war. Meine Mutter hat dann noch ein wenig gearbeitet und wieder ihren Job verloren, weil ihr Arbeitgeber pleite ging. Mit Ende 50 hat sie keine neue Vollzeit-Stelle mehr gefunden, Endstation: Hartz IV.
Das ist nun fast sechs Jahre her. Seitdem hat sich einiges verändert: Ich schloss mein Studium ab, fing an zu arbeiten, wurde finanziell unabhängig. Meine Mutter schloss mit dem Arbeitsmarkt ab, hörte nahezu auf zu arbeiten, wurde finanziell abhängig.
Und auch, wenn mir manchmal das Verständnis für ihre Situation fehlt, weil meine Lebensrealität so anders aussieht: Es tut weh. Es tut weh, wenn ich merke, was zwischen uns liegt, nur weil sie arbeitslos ist. Wirtschaftliche Faktoren sollten doch keinen Riss innerhalb einer Familie provozieren?
Es tut auch weh, wenn ich manchmal merke, dass mir die Sensibilität fehlt. Dass ich mir manchmal nicht mehr vorstellen kann, was fehlendes Geld bedeutet – obwohl ich es in der Kindheit miterlebt habe. Ich erinnere mich noch wage an dieses Gefühl – aber wie sehr es an die Substanz gehen kann, vergesse ich langsam.
Ich bin manchmal geradezu genervt von dem Stillstand, den Hartz IV provoziert. Die mangelnden Möglichkeiten – beruflich, denn wer findet so knapp vor der Rente schon eine Vollzeitstelle? Aber auch sozial, weil Freizeit nun mal durchaus auch Geld kosten kann. Kaffeetrinken, Kino oder Wegfahren ist eben meist nicht drin.
Und ich will, dass meine Mutter weiß, dass ich nicht wegen ihr genervt bin. Sondern einfach wegen ihrer Situation. Und wegen meiner Hilflosigkeit, weil ich sie nicht wirklich unterstützen kann. Natürlich kann ich für sie da sein, mit ihr reden, ihr zuhören, sie auf einen Kaffee einladen.
Am liebsten würde ich ihr irgendwo ein kleines Häuschen kaufen und ihr alles Geld geben, das sie braucht, um sich ein schönes Leben zu machen. Und das kann ich aber nicht.
Schön ist allerdings, dass wir trotzdem noch eine Familie sind – so viel kann Hartz IV uns dann doch nicht anhaben.