Wer sich Fotos auf Dating-Apps anschaut, staunt oft, was für Supermenschen da draußen so unterwegs sind: lauter Extremsportler, Naturschönheiten und reiselustige Jungmillionäre.
Klar, wer sich gerade erst kennenlernt, zeigt sich von seiner Schokoladenseite. Und wer sich zwischen hunderten Singles durchsetzen will, muss ein bisschen Selbstmarketing betreiben. Balzverhalten war schon immer nach diesem Prinzip ausgelegt, nun ist es eben oft digital.
Doch: Wo verläuft die Grenze zwischen etwas Schönmalerei und dreister Lüge? Ist es fair, ein Foto hochzuladen, dass 2018 geschossen wurde? Oder beim Treffen zu behaupten, man esse quasi vegan, wenn das Lieblingsgericht doch Wiener Schnitzel ist?
Wir sprachen darüber mit Vera Matt. Sie ist Paartherapeutin und hat eine psychotherapeutische Praxis in Brandenburg.
Um diese Frage angemessen zu beantworten, müsse man erst einmal differenzieren, in welchem Zusammenhang und mit welchem Ziel geflunkert wird, sagt die Expertin.
"Wenn es um eine Affäre geht, vielleicht sogar ein rein erotisches Abenteuer, würde ich da nicht so streng sein", sagt Vera Matt. "Da geht es um Abenteuer und Fantasie und nicht das Offenlegen alltäglicher Marotten." Sie führt aus:
Wer offen auf der Suche nach reinem Sex ist, kann also guten Gewissens nur einen Ausschnitt seiner selbst präsentieren oder sich devoter oder wilder geben, als er es im Alltag ist. "Das gehört ein wenig zum Spiel", so die Therapeutin. "Das würde ich noch nicht als problematische Lüge bezeichnen."
Allerdings, und das ist der Knackpunkt: Sobald jemand auf der Suche nach einer Beziehung ist, rät die Expertin zu "ehrlichem Marketing".
Du kochst toll? Dann ist ein Dinner zu Hause eine gute Idee. Und warum nicht das Urlaubsfoto hochladen, auf dem man so herrlich entspannt schaut, wie sonst nie – sofern es noch aus diesem Jahr ist? Die Expertin erläutert:
Eine Lüge, die zu weit geht, wäre es hingegen, Essen zu bestellen und es dann als selbst gekocht auszugeben. Oder sich per Photoshop das Bikinibild zurecht zu retuschieren. "Schönmalerei ist immer eine Gratwanderung, auch beim Dating", sagt Vera Matt.
Wer es mit dem Schummeln übertreibt, schneidet sich am Ende nur ins eigene Fleisch, ist sie überzeugt: "Je ehrlicher und authentischer man beim Dating ist, desto eher findet man auch ein Match, das tatsächlich zu einem passt. Daher lohnt es sich gar nicht, allzu viel zu flunkern", sagt Vera Matt.
Schließlich wollen wir jemanden finden, der uns um unserer Willen liebt, nicht nur eine gefilterte Version. Es wäre ja auch sehr anstrengend, über Jahre hinweg Anteile der eigenen Person zu verbergen. Die Therapeutin: "Je klarer ich mich zeige, umso deutlicher werde ich gesehen."
Wer hingegen zu dick aufträgt, wird im weiteren Verlauf des Kennenlernens auffliegen und lange Gesichter ernten. Vera Matt erzählt von einem Fall, in der die Frau auf ihrem Profil angab, ein Pferd zu haben und zu segeln, um mehr Männer anzulocken.
Zudem verbrachte sie ihre Mittagspausen bewusst in der Nähe einer Klinik, um gezielt Ärzte kennenzulernen. Tatsächlich habe sie durch diese Methode viele Dates mit der Art Männer erhalten, die sie kennenlernen wollte, doch ernster wurde es nie. Wie auch, gibt die Therapeutin an diesem Beispiel zu Bedenken:
Die meisten Lügen fliegen ohnehin ziemlich schnell auf. Das alte Foto, das einen noch ohne Bierbauch zeigt? Ist mit dem ersten Blick beim Date entlarvt. Die "Nichtraucherin", deren ganze Wohnung nach Tabak stinkt oder der "kinderliebe" Mann, der permanent auf "diese Nachbarn mit ihren Gören" schimpft? So etwas geht nach hinten los und wirkt auf den Anderen wie eine kalte Dusche der Erkenntnis.
Oder wie Vera Matt es abschließend zusammenfasst: "Vorzüge ins rechte Licht zu rücken ist in Ordnung. Lügen ist es nicht." Flunkern beim Flirten verlangt also ein wenig Fingerspitzengefühl. Wem diese Feinheiten zu kompliziert sind, kann es ja mal mit einer ganz simplen Methode versuchen: von Anfang an die Wahrheit erzählen.