Das neue Jahr beginnt in Deutschland mit einer wahren Streikwelle: Erst starteten die Landwirt:innen, dann folgten das Zugpersonal der Deutschen Bahn – und zwischendrin begann ein weiterer Streik, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt.
Die Gewerkschaft Verdi rief ihre Mitglieder dazu auf, ab dem 8. Januar am Jüdischen Krankenhaus zu streiken. Und zwar unbefristet. "Erzwingungsstreik" nennt die Verdi die Aktion, mit der sie die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte verbessern will. Noch hält der Streik an.
Bei Gesprächen Ende Dezember schien die Lage noch hoffnungsvoll. Nach einem zweitägigen Warnstreik am Klinikum waren beide Tarifpartner bereit, aufeinander zuzugehen. Doch nun scheint es einen Stillstand zu geben: Verdi gehen die Verhandlungen nicht schnell genug. Das Ziel des Arbeitskampfes ist, dass nicht erst am 22. Januar weiterverhandelt wird, sondern schon früher. Den Verhandlungstermin hatte die Klinikleitung angesetzt.
"Wir streiken so lange, bis wir fertig sind", sagt Verdi-Gewerkschaftssekretärin Gisela Neunhöffer. Es könnte am Jüdischen Krankenhaus also durchaus zu einem längeren Streik kommen: 2021 dauerte der Erzwingungsstreik an der Charité und bei Vivantes mehr als 30 Tage lang.
Neunhöffer gibt an, dass das Jüdische Krankenhaus aufgrund des Streiks zunächst drei größere Stationen und eine kleinere schließt. Es könnte jedoch nach und nach zu weiteren Schließungen kommen.
Die Hauptforderung des Pflege- und Gesundheitspersonals am Jüdischen Krankenhaus ist ein Entlastungstarifvertrag. Dieser sähe eine Freischicht vor, wenn die Beschäftigten in mehreren Diensten übermäßig belastet wären. Auch der Patientenschlüssel soll besser werden. Dieser gibt an, wie viele Pflegekräfte auf wie viele Patient:innen kommen müssen.
Mehrere Beschäftigte am Jüdischen Krankenhaus hatten dem Tagesspiegel von Erschöpfung und chaotischer Personalplanung berichtet. Eine anonyme Quelle erzählte von einer Schicht, in der eine Pflegekraft vor Weihnachten 36 Patient:innen betreuen musste, wenngleich mit Unterstützung von Hilfskräften und Auszubildenden.
Die Geschäftsführung reagiert auf den Streik mit Unverständnis. So sagte eine Referentin der Klinikchefin Brit Ismer auf "Tagesspiegel"-Anfrage mit, der Streik sei für die Geschäftsführung "überhaupt nicht nachvollziehbar", da das Gespräch Ende Dezember sehr konstruktiv gewesen sei. Mit anderen Aussagen halte sich die Klinikleitung zurück, sie wolle nicht die Verhandlungen gefährden.
Auch der bekannte Pfleger Ricardo Lange, der schon lange öffentlich für bessere Arbeitsbedingungen von Pflegekräften kämpft, macht auf der Plattform X auf den Streik der Pflegekräfte aufmerksam. Er appelliert, diesen wegen all der anderen Streiks nicht zu vergessen.
Die Reaktionen auf den Post von Lange sind meist voller Verständnis: Ein User antwortet, dass er als Opa ständig auf seine Enkel aufpassen müsse, weil sein Sohn und die Schwiegertochter so viel arbeiten müssten.
Ein weitere Userin findet es "beschämend", dass nicht mehr über den Protest und die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte berichtet werden, während der Protest der Landwirt:innen das ganze Land beschäftigt: