Geschäft mit dem Tod oder Sterben in Würde? Urteil zur Sterbehilfe spaltet Experten
Es ist ein Urteil, das einige Menschen zweifeln lässt – und anderen die langersehnte Hoffnung auf ein Lebensende ohne Leid bietet: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am Mittwoch entschieden, dass das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe in Deutschland nicht verfassungsgemäß sei.
Das bedeutet: Das Verfassungsgericht öffnet die Tür für eine Liberalisierung der Sterbehilfe.
Die aktive Sterbehilfe, bei der ein Arzt eine tödliche Spritze setzen würde, wie es zum Beispiel in den Niederlanden möglich ist, wird weiterhin verboten sein. Aber die Bundesregierung muss nun die rechtlichen Grundlagen schaffen, um auch eine geschäftsmäßige Sterbehilfe von Ärzten oder durch Vereinen wie Sterbehilfe Deutschland oder Dignitas aus der Schweiz zu erlauben.
Gemischte Reaktionen auf das Urteil zur Sterbehilfe – watson hat sie zusammengetragen
Während einige nun unseriöse Angebote von Sterbehilfevereinen befürchten, die Geschäfte mit dem Tod machen, erkennen andere in dem Urteil einen Sieg für den freien Patientenwillen.
Wie bewerten Menschen, die mit sterbenskranken Patienten arbeiten, das Urteil zur Sterbehilfe? Watson hat Stimmen von Medizinern, Ethikern und Mitarbeitern aus der Hospizbewegung gesammelt.
"Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem Schwerkranken vermittelt wird, eine Last zu sein"
Der Präsident von Caritas Deutschland, Peter Neher, sieht den Beschluss vom Bundesverfassungsgericht kritisch:
Ich bin davon überzeugt, dass Menschen, die in Würde sterben wollen, die bestmögliche Begleitung sowie medizinische Versorgung haben müssen. Deshalb ist es wichtig, entsprechende Angebote in der Hospiz- und Palliativversorgung zu stärken."
"Der Staat darf nicht derart massiv in die Selbstbestimmung eingreifen"
Laut dem Medizinethiker Bert Heinrichs, der sich im Forschungszentrum Jülich unter anderem mit ethischen Fragen um das Thema Sterbehilfe beschäftigt, bedeutet der Beschluss eine positive Entwicklung:
Ich zumindest sehe keine Rechtfertigung für so einen massiven Eingriff. Dass es nun zu dem Beschluss kam, ist entsprechend erfreulich – vor allem für die Betroffenen.“
Aktive Sterbehilfe: Dabei verabreicht ein Arzt das Mittel zur Selbsttötung, etwa über eine Spritze. Das ist und bleibt in Deutschland verboten.
Geschäftsmäßige Sterbehilfe: Sie wurde 2015 verboten und ist nun wieder legal. Dabei geht es darum, dass Berufsgruppen, etwa Sterbehelfer, die Berechtigung haben, einen Sterbewilligen beim Suizid zu unterstützen (siehe assistierter Suizid).
Nicht geschäftsmäßige Sterbehilfe: Nicht Sterbehelfer unterstützen einen Menschen beim Suizid, sondern Angehörige. Das ist und bleibt legal, sofern keine aktive Sterbehilfe geleistet wird.
"Nicht Sterbehilfe ermöglichen, sondern mehr in Ausbildung von Medizinern investieren"
Heiner Melching, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, sieht das Urteil kritisch. Er befürchtet, dass mit Angeboten zur Sterbehilfe ein falsches Zeichen gesetzt wird und sterbenskranke Menschen keine Wertschätzung in ihrem Leid erfahren:
Um es spitz zu formulieren: Jemand, der unheilbar erkrankt ist, kann bei zwielichtigen Vereinen nun genauso Sterbehilfe beantragen, wie ein 18-Jähriger, der seinen ersten Liebeskummer als unerträglich erlebt.
Der Paragraf 217 zum Verbot der Sterbehilfe hat in der Palliativmedizin niemals für Einschränkungen gesorgt. Durch intensive Betreuung und Sedierung können Palliativmediziner Menschen helfen, ihr Leben nahezu ohne Leid zu Ende zu führen.
Dass es Mediziner gibt, die die Bedürfnisse von Schwerkranken manchmal nicht erkennen und ihnen zum Beispiel bei Schmerzen nicht entsprechend helfen, kommt natürlich vor. Die richtige Antwort darauf wäre allerdings nicht gewesen, Sterbehilfe zu ermöglichen. Sondern mehr in Aufklärung und Ausbildung der Mediziner zu investieren und schwerkranke Patienten nicht auszugrenzen, ihnen zu zeigen, dass sie noch ein wertvoller Teil der Gesellschaft sind."
"Mediziner können sich nun mit weniger Sorge vor Strafe am Patientenwunsch orientieren"
Priska Lauper, die seit mehr als zehn Jahren in der Hospizbewegung arbeitet, sieht in dem jüngsten Urteil zur Sterbehilfe die Chance, dass Mediziner mehr Rechtssicherheit erfahren und so besser auf die Wünsche ihrer Patienten eingehen können:
Für Vertreter der Hospizbewegung wie mich steht vor allem der Patient im Mittelpunkt und dessen Möglichkeit, eine vertrauensvolle Beziehung zu seinen Ärzten zu entwickeln – nicht zuletzt auch am Lebensende. Besonders in der Palliativmedizin ist nicht nur das körperliche, sondern auch das seelische Befinden wichtig, das mit dem jüngsten Urteil zur Sterbehilfe stärker in den Vordergrund rückt.
Mein Wunsch nach dem heutigen Urteil ist: Wo Not ist, werden offene und vertrauensvolle Gespräche zum eigenen Sterben zwischen Arzt und Patient im besten Fall erneut, wie vor 2015, ohne zusätzliche strafrechtliche Verunsicherung möglich sein.
"Nicht jeder Sterbewunsch ist eine Aufforderung zur Handlung, sondern ein Hilferuf"
Direktorin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin am LMU Klinikum München, Claudia Bausewein, sieht eine positive Entwicklung bei dem jüngsten Urteil zur Sterbehilfe, meint aber auch, die Angebote in der Palliativ- und Hospizversorgung müssten noch weiter ausgebaut werden:
Mit Unterstützung der Palliativmedizin kann den meisten Menschen ein friedliches Sterben ermöglicht werden, auch wenn es immer wieder falsche Informationen über die Möglichkeiten gibt.
Es braucht eine breite gesellschaftliche Diskussion über die Rahmenbedingungen am Lebensende in Pflegeheimen, Krankenhäusern und im häuslichen Umfeld, eine bessere Qualifikation für Ärzte in der Begleitung Schwerkranker und Sterbender und einen weiteren Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung."
Im Vordergrund der Debatte steht jemand, der zu oft übersehen wird: der Patient
So kontrovers das jüngste Urteil zur Sterbehilfe auch aufgenommen wird: Von der Diskussion, die dadurch neu angefacht wird, können am Ende schwerkranke Patienten profitieren.
Deren Wohl und deren Wünsche erfahren in der Öffentlichkeit nun die Aufmerksamkeit, die ihnen sonst allzu oft vergönnt wird. Auch das kann dazu beitragen, Menschen ein Lebensende nach ihren Vorstellungen – und in Würde zu ermöglichen.