Es war Sommer. Und Kerstin ging es nicht gut. Die 31-jährige hatte Probleme mit dem Stuhlgang, konnte nicht mehr richtig essen, fühlte sich schlapp.
Sie ging zu ihrem Hausarzt. "Mach Dir keine Gedanken", sagte der Mediziner. Das läge wohl am Stress auf der Arbeit.
Kerstin Mannes Großväter hatten beide Darmkrebs. Und dennoch, sie sei zu jung für diese Krankheit, bekam sie zu hören. Kerstin wurde nach Hause geschickt.
Es wurde Winter. Kerstins Beschwerden ließen nicht nach. "Ich fühlte mich wie von einem Bulldozer überfahren", sagt sie heute. Sie bestand auf einer Überweisung bei einem Spezialisten, einem Gastroenteorologen.
Ein paar Untersuchungen später stand fest: Kerstin hatte Darmkrebs. Der Tumor war bereits faustgroß.
Es folgten sechs Wochen Radio- und Chemotherapie und eine OP. Drei Monate musste sie mit einem künstlichen Darmausgang leben. Heute ist sie gesund. Aber sie meint: "Wenn ich nichts gesagt hätte, würde ich heute nicht mehr leben."
Darmkrebs gilt als Krebs, der hauptsächlich ältere Menschen betrifft. Menschen über siebzig. Wie gefährlich diese Einschätzung ist, zeigt Kerstins Fall. Das zeigen aber auch andere Fälle, denn Darmkrebs wird zunehmend auch bei jungen Menschen diagnostiziert.
Die Zahlen steigen auch weltweit, wie eine Studie im Fachjournal "Gastroenterology & Hepatology" zeigt:
In einer Gemeinschaftsstudie europäischer Universitäten zeigte sich ebenfalls eine deutliche Zunahme von Darmkrebs bei jüngeren Menschen. Während bei den über 50-jährigen diese Krebsart sogar zurückgeht, sieht es bei jüngeren Menschen ganz anders aus:
Die Gründe für diesen Trend müssten weiter erforscht werden, schreiben die Wissenschaftler:innen. Doch sie empfehlen, dass Ärzt:innen diese Entwicklung beachten – und das sich gegebenenfalls die Leitlinien für Vorsorgeuntersuchungen ändern sollten.
In Deutschland ist Darmkrebs die zweithäufigste Krebsart, jedes Jahr erkranken 61.000 Menschen daran. Und es gilt: Je früher der Krebs erkannt wird, desto besser die Heilungschancen. Doch, und das ist eben die Krux, junge Menschen sind bei der Darmkrebs-Vorsorge nicht im Fokus. Als Kassenleistung wird eine Darmspiegelung in Deutschland für Männer ab 50, für Frauen ab 55 Jahren angeboten. Und auch manche Ärzt:innen, das zeigt der Fall von Kerstin, denken bei jungen Patient:innen mit Beschwerden oft nicht an Darmkrebs.
Gerade deswegen kann es zur tödlichen Gefahr werden, wenn Symptome wie Blut im Stuhl, Bauchschmerzen, Verstopfung und Durchfall, nicht richtig zugeordnet werden. Insbesondere dann, wenn es wie bei Kerstin familiäre Vorbelastung gibt.
Dabei gilt ganz grundsätzlich: Liegt ein familiäres Risiko vor, sollte eine Vorsorgeuntersuchung mit Darmspiegelung anberaumt werden. Eine solche Untersuchung wird für junge Menschen mit Vorbelastung ab 25 Jahren angeboten und sollte zehn Jahre vor dem Erkrankungsalter des Verwandten erfolgen.
"Ich habe lange gedacht, ich spinne mir etwas zusammen", beschreibt Kerstin heute ihre Reaktion auf die Beschwichtigungen ihres Hausarztes. Nach ihrer Diagnose, ging sie erneut zu ihrem alten Hausarzt: "Ich habe ihm die Meinung gesagt. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen."
Was sich Kerstin, die mittlerweile geheilt ist, daher wünscht ist, dass Mediziner:innen bei ihrer Einschätzung nicht so sehr das Alter der Patient:innen, sondern die Symptome und die Vorbelastung im Blick haben. Es sei eben nicht mehr die "Krankheit der Alten", wie es früher hieß. "Junge Menschen sollte man ernst nehmen". Und als junger Mensch sich nicht von der Aura der "Götter in Weiß" beeindrucken lassen, sondern beharrlicher sein, wenn das eigene Körpergefühl nicht mehr stimme.