Erwachsene verbinden mit Hexen meist alte Frauen mit Spitzhut und Warze auf der Nase, Kinder vielleicht noch die freche Blondine Bibi Blocksberg. Die Hexe, die mir gegenüber sitzt, trägt pinke Haare mit Sidecut, moderne Kleidung und sie hat einen Tiktok-Kanal.
Shisha Rainbow nennt sich die 30-Jährige, deren echter Namen nicht bekannt ist. Wir unterhalten uns in ihrem Studio, das mit einem pink-flauschigen Teppich ausgelegt ist. Auf dem Tisch liegen rätselhafte Gegenstände, im Regal links liegen Kristalle, getrocknete Taranteln und es stehen allerlei magische Fläschchen mit Flüssigkeiten und Elixieren darin.
Shisha Rainbow wird oft als eine der bekanntesten Hexen im deutschsprachigen Raum bezeichnet. Ihre Zauberei-Lektionen zeigt sie auf Youtube und Tiktok, außerdem kann man bei ihr eine Hexenschule absolvieren. #Witchtok ist schon seit einigen Jahren ein Dauertrend auf Tiktok, Shisha selbst hat über hunderttausend Fans.
Das Besondere an Shisha ist, dass sie zwar an Magie glaubt, aber ebenso an die Wissenschaft. "Mein Leben besteht aus 66 Prozent Wissenschaft und 34 Prozent Spiritualität", sagt sie im Gespräch. "Die Wissenschaft hat immer recht. Was die Wissenschaft beweist, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Sonst kommen wir in eine Abwärtsspirale an Verschwörungstheorien." Ihre Bubble sei ohnehin recht anfällig dafür.
Nach Shishas Verständnis funktioniert Hexerei also eigentlich nach wissenschaftlichen Prinzipien – sie denkt nur einen Schritt weiter:
Zwar sei die Hexerei nicht empirisch beweisbar, "deswegen ist sie auch ein Glaube", aber sie funktioniere für Shisha und viele andere einfach. "Und das ist ja das Wichtigste, dass man etwas findet, was einen bereichert, glücklich macht und einen Mehrwert im Leben bietet."
Diesen positiven Aspekt greifen auch andere Bücher über Hexerei auf, die derzeit immer öfter in den Regalen erscheinen: "Everyday Magic: Ein Handbuch für alltagstaugliche und empowernde Spiritualität", "Lerne das Aurasehen" oder, sogar ein Spiegel-Bestseller: "Soul Master".
Viele Bücher verbinden Hexerei mit Feminismus, Selbstliebe und einer starken, selbstbewussten Frau. Ist Hexerei vielleicht deshalb so beliebt bei jungen Menschen? Weil man als Hexe besonders ist, hervorsticht und stark wirkt? Dabei kann eigentlich jede:r eine Hexe sein, der oder die seine inneren Kräfte entfesselt, glaubt Shisha Rainbow:
Um Hexe zu werden, braucht man keine Prüfung: "Jeder darf sich Hexe nennen, der sich dazu berufen fühlt, eine Verbindung zu haben", sagt Shisha. Dass es nach erfolgreicher Online-Abschlussprüfung von "Shishas großer Hexenschule" trotzdem ein Zertifikat gebe, sei nur ein Symbol. "Ob sie es nun bestehen oder nicht, spielt keine Rolle. Jeder, der will und es fühlt, darf sich Hexe nennen."
Shisha sagt selbst, dass ihre Inhalte nicht billig sind – die Hexenschule kostet 50 Euro im Monat, die einjährige Hexen-Ausbildung insgesamt 2.000 Euro. Sie erklärt:
Ihre Spezialisierung ist das Channeling von Energien um Menschen – das kann in Form von Dingen, Wesenheiten oder Schutzgeistern sein. Aber auch Transformationsreisen oder Healing Sessions bietet sie auf ihrer Website an.
Die am häufigsten gebuchte Session bei ihr ist Reinigung und Schutz. Dabei liegen die Personen und Shisha analysiert mithilfe ihres Reinigungssteins, den sie vorher auflädt, die sieben Chakren. Wenn sie wollte, könnte sie viel mehr Geld mit der Hexerei verdienen, sagt die Hexe. Aber Sessions seien anstrengend, außerdem gehe es bei der Hexerei nicht um Geldmacherei.
Mit ihrem Tiktok-Kanal wolle sie Wissen vermitteln – auch an die Nachwuchs-Hexen mit wenig Geld. Deshalb habe sie auf Wunsch ihrer Community auch ein Handbuch für Hexen geschrieben: "WitchPower – Entdecke deine magischen Kräfte: Das Handbuch der Hexenkunst".
Darin enthalten sind Anweisungen, wie man eine Hexe wird, sowie Erklärungen zu Ausrüstung und kleinem Zauber – jedoch keine schwarze Magie. Dazu findet man zwar ebenfalls Literatur, doch Shisha warnt eindrücklich davor, sie zu nutzen: "Schadensmagie oder schwarze Magie kann ganz schlimm nach hinten losgehen."
Als Teenie machte sie selbst diese Erfahrung, als sie ihren Schwarm verhexen wollte: "Auf Tiktok gibt es super viele Liebeszauber, weil es so gut klickt." Doch auch das sei schwarze Magie. Ein Liebeszauber könne dazu führen, dass die Person komplett von einem besessen werde oder gegenteilig, dass man unbeliebt werde. "Das ist mir passiert. Seine Energie hat gemerkt, ich will ihn zu etwas zwingen und hat sich in purer Aggression mir gegenüber geäußert."
Auch diesen Effekt bezieht Shisha auf ein physikalisches Gesetz:
Ob jemand an ihre Hexerei glaubt oder nicht, sieht Shisha entspannt. Als Jugendliche wollte die Berlinerin selbst nichts mit ihrer Hexenfamilie zu tun haben. Einer ihrer besten Freunde ist "ungläubig", wobei er auch zugebe, dass in ihrer Nähe oft seltsame Dinge passierten. "Ich will etwas haben, wir gehen spazieren und das steht auf einmal vor meiner Tür. Das passiert ständig. Oder ich treffe jemanden, über den ich gerade gesagt habe, dass ich den gerne kennenlernen würde." Auch würden technische Geräte in ihrer Nähe nie funktionieren.
Oft kommen Menschen mit psychischen Problemen zu ihr. Shisha rät diesen Personen dann lieber zu einer Therapie:
Diese Notlage nutzen viele Betrüger:innen aus. Ein Warnzeichen sei es, wenn Hexen behaupten, man sei mit einem Fluch oder schlechten Energien belegt oder wenn sie komplett anonym bleiben. "Jemand, der nicht öffentlich sein will, hat schon mal irgendwas zu verbergen", sagt Shisha.
Wer jetzt neugierig auf Hexerei geworden ist, sollte es einfach ausprobieren. Shisha ist da ganz pragmatisch:
Zum Witchtok-Trend sagt Shisha, die sich selbst als Hexen-Mami bezeichnet, die sich um Fragen und Sorgen ihrer Community kümmert:
Solange man keine schwarze Magie verwendet, kann ja auch nichts Schlimmes passieren.