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Interview

Trotz Corona, Ukraine, Klima: Experte ermutigt junge Menschen für die Zukunft

Junge Frau tanzt
Auch wenn in naher Zukunft vielleicht nicht alle Probleme auf einmal gelöst werden können: Pessimismus ist nicht angebracht, findet der Zukunftsforscher Ulrich Reinhardt.bild: pexels / Nicholas Swatz
Interview

"Wir können zuversichtlich in die Zukunft schauen": Experte ermutigt zu mehr Optimismus

08.02.2023, 07:48
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Die Pandemie ist mit dem Maskenfall in den öffentlichen Verkehrsmitteln Anfang Februar für die allermeisten Menschen in Deutschland aus dem Alltag so gut wie verschwunden. Ab jetzt steht der langersehnten Normalität nichts mehr im Weg.

All das, was wir während der schlimmen einsamen Wintermonate in der Pandemie und der Lockdowns der letzten Jahre so schmerzlich vermisst haben, ist nun wieder möglich: Ausgehen, sich mit Freunden treffen, Reisen, Kultur ... Das Leben kann wieder aus dem Vollen schöpfen.

Junge Menschen im Park
Endlich wieder unbeschwert unter Leute gehen: Darauf haben wir lange gewartet.bild: pexels / Leah Kelley

Und doch bleibt der Jubel verhalten, die Euphorie sogar ganz aus. Was ist los mit uns? Hat Corona uns die Lebensfreude genommen? Haben die Inflation, der Ukraine-Krieg und der Klimawandel uns nun den Rest gegeben? "Irgendwie kommt mir alles im Moment noch schlimmer vor als vor Corona" ist ein Satz, den man so oder ähnlich gerade des Öfteren zu hören bekommt. Doch ist dieser Pessimismus angebracht?

Watson hat darüber mit dem Forscher Ulrich Reinhardt gesprochen. Er hat eine Professur für Empirische Zukunftsforschung an der FH Westküste und ist wissenschaftlicher Leiter der "Stiftung für Zukunftsfragen".

Professor Ulrich Reinhardt
Ulrich Reinhardt ist Zukunftsforscher und trotzdem optimistisch.bild: Stiftung für Zukunftsfragen/M.Kuhn

watson: Die Pandemie ist vorbei, aber irgendwie freut sich keiner so richtig. Woran liegt das?

Ulrich Reinhardt: Die Pandemie mag offiziell als "beendet" erklärt worden sein, dies bedeutet jedoch nicht, dass das Virus sich in Luft aufgelöst hat. Ein Leben mit Corona ist momentan dabei, zur neuen Normalität zu werden. Ob man dies nun gut oder schlecht findet – bei diesem Thema spalten sich bekanntlich die individuellen Ansichten der Bürger. Grundsätzlich hat die Pandemie aber vor allem dazu geführt, dass die Mehrheit der Bevölkerung vorsichtiger geworden ist.

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Die Angst vor einer möglichen Infektion war über einen langen Zeitraum hinweg omnipräsent. Zudem steigen die Sorgen der Bürger in Bezug auf den Krieg in der Ukraine, die Inflation und die Energiekrise. Dennoch: Trotz der vermeintlich verhaltenen, leisen Freude werden die Menschen doch zunehmend optimistischer oder wollen dies aus eigenem Antrieb wieder werden.

Studien haben mehrfach bestätigt, dass junge Menschen durch Krieg, Klimawandel und Corona über die Maßen belastet worden sind und dadurch ihren Optimismus verloren haben. Sehen Sie in Ihrer Forschung Anhaltspunkte dafür?

Das kann ich so nicht bestätigen. Basierend auf unseren Forschungsergebnissen sehen wir zwar, dass sich mittlerweile auch viele jüngere Menschen Sorgen machen, aber noch immer sind sie optimistischer als der Rest der Bevölkerung. Hoffnungsvoll stimmt mich, dass fast drei von vier sich für 2023 vorgenommen haben, mehr Gelassenheit an den Tag zu legen und optimistischer zu denken. Auch sehen wir, dass gerade die jungen Menschen aktiver werden, wieder mehr Verantwortung übernehmen wollen und dass Solidarität nach der Pandemie wieder einen viel höheren Stellenwert hat. Es sind zudem häufig gerade die jungen Leute, die auf die Straßen gehen, sich für Klimaschutzmaßnahmen einsetzten und sich vorgenommen haben, nachhaltiger zu leben.

Also mangelt es eigentlich gar nicht so massiv an Optimismus, wie es vielleicht scheint?

Fest steht: Wir bekommen deutlich mehr mit als früher. Ob das nun an Social Media, der Globalisierung oder ständiger Erreichbarkeit liegt, sei dahingestellt. Vieles ist einfach präsenter, gerade für die junge Generation, die 24/7 online ist. Trotzdem darf man nicht vergessen: Das Leben war nie besser, als es gegenwärtig ist – trotz Corona, Ukraine-Krieg, Klimawandel und aller anderen Herausforderungen. Denken wir nur an die Lebenserwartung, Kindersterblichkeit, medizinische Versorgung, Emanzipation, Analphabetismus, Meinungsfreiheit, Unterernährung, Mobilitäts- oder Kommunikationsmöglichkeiten.

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Die Nuklearkatastrophe im Atomkraftwerk Tschernobyl am 26. April 1986 prägte die Ängste der Menschen in Europa. Bild: dpa / epa Tass

Auch wird gerne vergessen, dass nach heutigem Standard noch im Jahr 1960 sämtliche Länder in Europa als Entwicklungsländer gegolten hätten. Und ja, natürlich gibt es derzeit viele Herausforderungen, aber diese gab es stets: Öl-Energiekrise in den 70er Jahren, Tschernobyl 1986, das Waldsterben, die Pershing II- und SS-20-Raketen vor der Tür im Kalten Krieg, den Ersten und Zweiten Golfkrieg in der 80er und 90er Jahren, die Terroranschläge vom 11. September 2001, die Wirtschafts- und Finanzkrise und so weiter. Halten wir also fest: Krisen und Herausforderungen hat es immer gegeben, aber wir haben stets Lösungen gefunden. Die Welt wird nicht untergehen und wir können wirklich hoffnungsvoll und zuversichtlich in die Zukunft schauen.

"Schenken wir doch der Jugend das Vertrauen. Diese mag anders sein, pragmatischer, sehr viel online, aber sie ist kompetent, sie wird Lösungen finden und die Welt besser machen."
Zukunftsforscher Ulrich Reinhardtim Gespräch mit watson

Ist das Ganze dann vielleicht ein Generationenproblem und gar nicht so sehr eines der Gegenwart, und der Ereignisse, die gerade stattfinden? Ging es uns einfach "zu gut" die vergangenen 20 Jahre, sodass uns gerade alles schlimmer vorkommt, als es ist?

Die Kindheit und Jugend der meisten jungen Menschen in Deutschland war die letzten Jahrzehnte vergleichsweise unbeschwert. Aber Bedrohungen, die greifbar waren, gab es schon immer. Das vergisst man gerne und viele reden ja auch immer von der guten alten Zeit. Der Blick zurück ist dabei aber verklärt, was okay ist, schließlich brauchen wir diesen Selbstschutz. Aber die Fakten sind andere. Bezogen auf die junge Generation: Ich glaube, wir sind als Eltern, Lehrende, genauso wie als Nachbarn, Medienschaffende oder Freunde gefordert, mehr Vorbild zu sein, Anregungen zu geben, zu inspirieren und Mut zu machen.

Sie sind also guter Dinge, dass der Optimismus und die Handlungsfähigkeit der Jungen nach der ersten Schockstarre zurückkommen?

Hierzu gibt es für mich keine Alternative. Alles andere wäre ein Stillstand oder sogar Rückschritt. Schenken wir doch der Jugend das notwendige Vertrauen. Diese mag anders sein, sie mag pragmatischer sein, sie mag sehr viel online sein, aber sie ist trotzdem kompetent, sie wird Lösungen finden und sie wird die Welt besser machen. Trauen wir uns also loszulassen, Entscheidungen abzugeben und sind nicht bei allem und jedem der Meinung, wir wissen es besser.

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Bildung sollte das höchste Gut in demokratischen Gesellschaften darstellen.Bild: dpa / Marijan Murat

Was, meinen Sie, wird uns die kommenden Jahre beschäftigen?

Der Klimawandel steht sicherlich ganz weit vorne. Hier sind technische Innovationen genauso wichtig, wie Verhaltensänderungen und Regeln. Die soziale Spaltung müssen wir ebenfalls dringend angehen, genauso wie wir uns um die Medienkompetenz und damit auch um die Bildung kümmern müssen. Bildung ist die einzige Ressource, die bei Gebrauch wächst – nutzen wir diese.

"Statt nur zu fragen, wie werden wir morgen leben, sollten wir lieber Antworten auf die Frage geben: Wie wollen wir denn morgen leben?"

Insgesamt bleibe ich aber wirklich optimistisch. Wir sind und bleiben soziale Wesen. Wir wollen keine Anonymität und keinen Egoismus, sondern Gemeinschaft und Geselligkeit. Deshalb, bin ich sicher, werden die Familie und die Nachbarschaft eine Renaissance erleben. Wir werden auch zukünftig lieber mit Freunden einen Kaffee trinken gehen, als nur darüber zu texten, dass wir mal wieder einen Kaffee trinken gehen sollten. Wir werden die großen Vorteile von technischen Möglichkeiten nutzen und wir werden unsere Zeit mit Dingen verbringen, die wichtig sind. Und wir werden wieder anfangen, optimistischer zu denken. Statt nur zu fragen, wie werden wir morgen leben, sollten wir lieber Antworten auf die Frage geben: Wie wollen wir denn morgen leben?

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