Klimawandel, Krieg und Corona sind nicht spurlos an jungen Menschen vorübergegangen. Laut der aktuellen Trendstudie "Jugend in Deutschland" aus dem Jahr 2022 leiden Kinder und Jugendliche gerade besonders unter einer hohen psychischen Belastung und Unsicherheit.
Daran kann auch das Ende der Pandemie nicht viel ändern, denn die psychischen Abwehrkräfte sind bei vielen aufgebraucht. Die Kinder- und Jugendtherapeutin Miriam Hoff kennt diese Nöte aus ihrer Praxis und hat in ihrem Buch "Mind is Magic" Techniken zum positiven "Seelentraining" entwickelt. Sie weiß auch, dass man große Krisen am besten nicht allein überwindet:
Im Gespräch mit watson gibt sie Tipps, wie man sich im Alltag und durch "Glücksunterricht" in der Schule die Lebensfreude zurückholen kann.
Watson: Wie könnte man Kindern und Jugendlichen in der aktuellen Situation helfen?
Miriam Hoff: Das Stichwort lautet Normalität. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf eine möglichst unbeschwerte Kindheit und Jugend. Es ist wichtig, sie zu ermutigen, täglich rauszugehen, Freunde zu treffen, Unternehmungen zu machen, zu reisen oder auch kreativ zu werden. Sie also dabei zu unterstützen, möglichst positive Erfahrungen zu machen. So entstehen unvergessliche Momente, schöne Lebensereignisse, auf die sie später zurückblicken können, damit sie eine Stabilität entwickeln können und gleichzeitig den bedrohlichen Meldungen, denen sie ausgesetzt sind, aktiv etwas entgegensetzen können.
Sollte man Kinder von allem "Schlechten" fernhalten?
Natürlich sollte man Kindern generell Informationen nicht verweigern. Wenn sie es dann trotzdem mitkriegen, wäre das Vertrauensverhältnis womöglich gestört. Aber man sollte das "Schlechte" nicht zum Mittelpunkt machen. Es gibt auch andere Gesprächsthemen wie "Worauf freust du dich am Wochenende?" Gerade weil so viel Negatives auf die Kinder einprasselt, ist es wichtig, den Fokus immer wieder auf das Normale, Schöne zu richten.
Wie können Kinder und Jugendliche eine größere Resilienz aufbauen?
Im Grunde sollen die Kinder jetzt da durch und diese Referenzerfahrung sammeln. Wir sind als Erwachsene schon durch viele Krisen gegangen und daraus gestärkt hervorgegangen –in dem Bewusstsein, dass wir das gemeistert haben und dass es nach einer Krise auch wieder aufwärts geht. Indem wir darüber sprechen und den Kindern unsere eigene Zuversicht spiegeln, können sie selbst auch welche entwickeln.
Können negative Gedanken auch positive Aspekte haben?
Negative Gedanken und Gefühle haben natürlich auch mehr Platz in unserem Leben gerade. Es ist wichtig, dass diese Gefühle geäußert werden dürfen. Es wäre fatal, wenn man die verdrängt oder verneint, weil dann behalten die Kinder die für sich, die Gefühle werden riesengroß, und sie steigern sich emotional in Szenarien rein, ohne darüber reden zu dürfen. Man sollte die Kinder mit ihren Ängsten abholen und ihnen Raum geben, dass sie diese auch ausdrücken dürfen. Ganz wichtig ist, dass sie dann nicht in der Angstschleife hängenbleiben, sondern dass man Wege aufzeigt, wie sie aus dieser erlebten Hilflosigkeit und Ohnmacht zurück in die Handlungsfähigkeit kommen. Aktiv werden ist hier ein gutes Gegenprogramm. Dass ich mich nicht in diese Ängste fallen lasse, sondern merke, ich kann etwas tun, anderen helfen zum Beispiel.
Welche Gefühle sollten Kinder und Jugendliche im Moment mehr haben?
Zuversicht. Aber auch Selbstfürsorge ist wichtig: Wenn ich mich immer nur um andere kümmere, dann bin ich irgendwann auch nicht mehr in der Lage, anderen etwas zu geben. Ich muss mich fragen: Was brauche ich denn jetzt eigentlich? Was kann ich tun, um mich ausgeglichener zu machen? Über Fokusverschiebungen kann man sehen: Mache ich mir jetzt nur die negativen Dinge groß und steigere mich da rein? Oder sehe ich auch die vielen kleinen Dinge, die es wert sind, gesehen zu werden? Und dann mache ich mir die groß und kann darüber meine Gefühle positiv manipulieren.
Wie wichtig ist die Unterstützung in der Schule, zum Beispiel durch Glücksunterricht?
Das ist sehr wichtig, gerade jetzt. Weil es die Kinder daran erinnert, dass sie ihr Glück selbst in der Hand haben und lernen, wie man sich mithilfe einfacher Techniken glücklicher machen kann. Wenn ich regelmäßig soziale Kontakte pflege, dann habe ich positives Feedback. Diese Impulse tragen dazu bei, Serotonine und Dopamin, Glückshormone, im Körper zu aktivieren. Der Unterricht kann helfen zu erkennen, dass man nicht alleine ist mit Sorgen und Ängsten – selbst darüber zu sprechen kann bereits entlastend sein.
Die Jahre, wo viele die ganzen ersten Male erleben: Das erste Mal weggehen, was trinken, die erste Party, die erste Verliebtheit oder der erste Liebeskummer. Diese Dinge sind nicht später so einfach wieder nachzuholen und wichtig, um sich stark zu machen für den Rest des Lebens. Die Schuldgefühle, dass man sein normales Leben aber nicht weiterleben darf, weil ja Krieg und Bedrohung und Belastung um einen herum sind, kann der Unterricht thematisieren: Du darfst glücklich sein und dein Leben leben, hast ein Recht darauf, denn das ist jetzt deine Jugend oder deine Kindheit und die kommt nicht wieder.
Manches kann man nicht nachholen. Was dann?
Ein stückweit Raum geben für diese Trauerarbeit, aber auf der anderen Seite auch die Ärmel hochkrempeln und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Das gelingt in der Gruppe oder im Glücksunterricht oft besser als allein: kreativ werden, zusammen was auf die Beine stellen. Durch Krisen gemeinsam durchgehen und vielleicht genau deswegen zusammen- und daran wachsen. Etwas, das immer selbstverständlich war, und dann nicht mehr möglich, ruft Dankbarkeit hervor, wenn es wieder geht. Und das ist ein schönes Gefühl. Aktivität, Gemeinschaft und Dankbarkeit sind ein starkes Trio und machen glücklich – ob im Unterricht oder nach der Schule.