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Corona und Krieg: Was der Dauerkrisenmodus mit uns macht und was wir tun können

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Die aktuelle Weltlage plus Geldsorgen plus Corona – alles zusammen kann einen schon erdrücken.Bild: iStockphoto / MangoStar_Studio
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Klima, Krieg, Corona: Warum uns die Dauerkrise überfordert und was wir dagegen tun können

27.10.2022, 17:07
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Der tägliche Weltuntergang, den wir nun schon beinahe seit drei Jahren erleben, kann einen nach dieser ganzen Zeit auch ganz schön runterziehen. Klima, Krieg, Corona: Nach der Krise war vor oder sogar schon mitten in der nächsten Krise – und ein Ende ist so schnell nicht absehbar.

Dass uns das Geschehen um uns herum so zu schaffen macht, hat einen Grund, sagt der Motivationsforscher Thomas Martens von der Medical School Hamburg. Denn wir Menschen gehen Schwierigkeiten so an: Wir nehmen ein Problem wahr und schauen dann, welche Handlungsmöglichkeiten wir haben und wie wir diese umsetzen. Doch dieses Lösungskonzept funktioniert in der derzeitigen komplexen Krisenlage nicht mehr, meint Martens.

"Der Handlungsdreiklang funktioniert bei ganz normalen Problemen, die wir im Alltag oder auf der Arbeit haben. Jetzt haben wir aber diese massiven Krisen und die verhindern eine Reaktion."

Watson hat mit Martens über die Schwierigkeiten in der Bewältigung der aktuellen Krisen gesprochen und wie wir möglicherweise doch einen Weg aus der Hoffnungslosigkeit heraus finden.

watson: Welche psychologischen Parallelen gibt es Ihrer Ansicht nach zwischen dem Krieg in der Ukraine, der Klimakatastrophe und Corona?

Thomas Martens: Diese Krisen sind komplex und damit intransparent, dynamisch und vernetzt. Die Intransparenz verhindert, dass ich sehen kann, was genau passiert. Etwas ist unberechenbar und unbekannt. Die zeitliche Dynamik führt zu Entwicklungen, die vor allem unterschätzt werden und die Vernetzung führt zu Neben- und Fernwirkungen, mit denen ich vorher nicht gerechnet habe.

Was hat das für Auswirkungen?

Nehmen wir als Beispiel die Intransparenz: Wir wissen nicht, ob zum Beispiel atomare Waffen in der Ukraine eingesetzt werden könnten, dies ist einfach komplett unberechenbar. Wir wissen nicht, welche neuen Virusvarianten in der Pandemie kommen werden und wie ansteckend diese etwa sein werden. Und bei der Klimakrise ist es noch viel schlimmer. Wir wissen nicht, wann welche Kipppunkte erreicht werden, etwa wann der Golfstrom nicht mehr in Nordeuropa ankommt.

Wie kommt die zeitliche Dynamik ins Spiel?

Bei der Klimakrise ist klar: Wenn wir jetzt auf die Bremse treten, das ist wie bei einem trägen Tanker, dann zeigt sich die Bremswirkung erst in 20 bis 30 Jahren. Ähnliches haben wir bei der Coronakrise, im Moment zeigt die Entwicklung, dass die Virusmutationen schneller sind, als wir neue Impfstoffe gegen sie entwickeln können.

Was macht das Ganze nun so komplex?

Die Vernetzung: Wenn ich jetzt in Deutschland die Coronazahlen auf null bringe, haben wir immer noch alle unsere Nachbarländer. Selbst wenn wir ganz viele Waffen in die Ukraine leiten, wird dies nicht reichen, solange die Russen vom Iran, China und anderen weiter unterstützt werden. Bei der Klimakrise ist es noch schlimmer. Selbst wenn wir alle Treibhausemissionen in Deutschland stoppen: Solange die anderen großen Industrienationen weitermachen, wird da gar nichts passieren.

"Wenn wir an die Bedrohung durch einen möglichen Atomschlag von Putin denken, kann man das nur verdrängen, das kann man nicht verarbeiten."

Was bedeutet die Komplexität für unseren Umgang mit den Krisen?

Damit können wir ganz schwierig umgehen, zumindest individualpsychologisch. Es führt zu Angst, zu Unsicherheit und zur Erschöpfung – das sind die drei Hauptkategorien. Diese führen dazu, dass der Handlungsdreiklang schon in der Problemwahrnehmung massiv gestört wird. Angst führt zu Verdrängungsprozessen. Wenn wir an die Bedrohung durch einen möglichen Atomschlag von Putin denken, kann man das nur verdrängen, das kann man nicht verarbeiten.

Ein Atompilz steigt nach der Explosion einer Atombombe über dem Testgelände in der Wüste von Nevada auf. (Undatiert).
Das Albtraumszenario schlechthin: Ein Atomschlag. Hier ein Atompilz bei einem Test in der Wüste von Nevada. Bild: dpa

Wenn wir Unsicherheit empfinden, dann machen wir so was wie Pseudokontrolle: Dass wir vielleicht Plastiktüten sparen, aber trotzdem der große SUV vor der Tür steht. Im Fall von Corona habe ich den Eindruck, dass diese Dauerbedrohung einfach zur Erschöpfung führt. Man strengt sich nicht mehr an, man informiert sich vielleicht auch gar nicht mehr über die neuesten Entwicklungen, sondern sagt: "Ich habe meine zwei oder drei Impfungen und das muss reichen". Damit ist dann schon der Anfang der Handlungskette unterbrochen, die Problemwahrnehmung ist massiv gestört.

Welche individuellen Handlungsmöglichkeiten bleiben uns überhaupt?

Bezüglich Corona kann ich Schutzhandlungen vornehmen: mich impfen, Masken tragen, testen. Ich kann auch in der Klimakrise handeln und versuchen, meine persönlichen CO₂-Emissionen auf null zu drücken, auf Flugreisen zu verzichten, auf große Autos, und so weiter. Ich kann in der Ukrainekrise helfen, indem ich ukrainischen Flüchtlingen helfe.

"Eigentlich macht das eigene Handeln nur Sinn, wenn die gesamte Gesellschaft mitzieht und man kollektiv handelt."

Aber allen drei Problemen wohnt inne, dass diese individuelle Perspektive durch eine soziale Perspektive überlagert wird. Eigentlich macht das eigene Handeln nur Sinn, wenn die gesamte Gesellschaft mitzieht und man kollektiv handelt. Beim Klima gilt, ich kann persönlich so viel CO₂ sparen, wie ich will, da wird sich in der Klimakurve global überhaupt nichts ändern. Bezüglich der Ukraine müsste man sogar global handeln, generell hat aber niemand Einfluss auf Putin und seine Entscheidungen.

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Resultiert daraus das Gefühl der Machtlosigkeit, das man verspürt?

Ich kann mit einer individuellen Handlung immer nur ein Teilproblem lösen oder vielleicht auch gar nichts zur Lösung beitragen. Ich kann also gar nicht abschätzen, ob meine Handlung geeignet war, um das ursprüngliche Problem tatsächlich effektiv zu lösen. Bei allen drei Krisen habe ich keine individuellen Handlungsmöglichkeiten, die die Probleme deutlich reduzieren. Und dies macht es dann auch wieder schwieriger, sich auf eine gemeinsame kollektive Antwort zu einigen.

Haben wir kein Vertrauen mehr in gemeinschaftliches Handeln?

Dazu wiederum müsste man eine gute Risiko-Kommunikation machen. Im Fall von Corona beispielsweise hat man versucht, das Problem zu sehr zu vereinfachen, auch politisch: Wir setzen ausschließlich auf die Impfung und das muss reichen. Es war früh klar, dass dies nicht reichen würde. Das Narrativ fällt uns auf die Füße. Mit einer gemeinsamen Problemwahrnehmung wäre auch eine kollektive Handlung möglich gewesen.

Welche Möglichkeiten gibt es denn für den Umgang mit unserer Angst und Machtlosigkeit, außer alles zu verdrängen?

Wichtig ist, dass man seine Emotionen, seine Klima-Gefühle, seine großen Corona-Ängste, also seine Krisenängste ernst nimmt. Diese Gefühle, das sind ja auch Handlungssignale. Man muss diese Signale aushalten, um die wirkliche Bedrohungslage genau zu analysieren.

Wie könnte so eine Analyse aussehen?

Wenn wir an Corona denken: Welche persönlichen Risikofaktoren habe ich? Habe ich Vorerkrankungen? So kann ich Gefahren identifizieren und für die Dinge, die ich beeinflussen kann, Verantwortung übernehmen und Handlungsräume erkennen.

"Der Handlungsdreiklang muss ausgewogen bleiben, darf nicht zu einem einzigen Klang verkümmern, indem man in der Problemwahrnehmung stecken bleibt."

Gibt es Möglichkeiten, wie ich mir kollektive Unterstützung holen kann?

Klar, durch Vernetzung kann das Handeln auch mehr Spaß machen – man kann sich gegenseitig unterstützen. Ich muss auf die Selbstwirksamkeit bei den Handlungen achten, dass diese tatsächlich zu mir passen und ich sie auch wirklich dauerhaft gut durchführen kann.

Worauf muss ich noch achten?

Wünschenswert wäre, ein Gleichgewicht zwischen Problemwahrnehmung und der Schutzhandlung herzustellen. Der Handlungsdreiklang aus Problemwahrnehmung, Handlungsmöglichkeit und Handlungsumsetzung muss immer ausgewogen bleiben und nicht zu einem einzigen Klang verkümmern, indem man etwa bei der Problemwahrnehmung stecken bleibt.


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