Vorurteile gibt es genug, wenn es um Finanzen geht. Junge Menschen? Haben da keine Lust drauf, heißt es. Und Frauen? Bis heute behaupten viele, sie hätten weniger Ahnung als Männer bei dem Thema. Auch Anja Schulz kennt diese ziemlich platten Klischees – und wirkt im Interview mit watson geradezu amüsiert davon. Die FDP-Politikerin ist seit 2021 im Finanzausschuss des Bundestages, kennt sich also sehr gut aus, wenn es um Geld geht.
watson: Wie ticken junge Menschen bei Finanzen?
Anja Schulz: Junge Menschen sind auf jeden Fall sehr offen für den Kapitalmarkt, für Aktienmärkte, für Fonds. Sie beschäftigen sich viel damit. Das hat auch die Pandemie gezeigt, auch wenn da wohl ein bisschen Langeweile mit im Spiel war. Sie nutzen Apps von Neo-Brokern. Und sie sparen tatsächlich langfristig und beschäftigen sich mit ihrer Altersvorsorge. Vor allem gehen sie viel offener mit dem Thema Geld um als beispielsweise ihre Elterngeneration oder auch die Großeltern, die verschiedene Wirtschaftskrisen mitgemacht haben und an der Börse vielleicht auch schon mal Geld verloren haben.
Wobei es auch heute Krisen genug gibt. Wäre es da nicht naheliegender, auf Sicherheit zu setzen?
Die Frage ist ja, was sicher ist. Ein Teil der Krise ist, dass wir eine sehr hohe Inflation haben. Die frisst Vermögen und das, was ich mir erspart habe, auf. Junge Menschen haben verstanden, dass es zumindest das Ziel sein sollte, dass die Rendite, um meine Kaufkraft zu erhalten, die Inflation schlagen sollte. Und das funktioniert nicht auf dem Sparbuch. Wir sehen, dass insgesamt extrem viel gespart wird. Die Bürger in Deutschland sind Spar-Weltmeister. Allerdings wird sehr viel auf Tagesgeld-Konten und aufs klassische Sparbuch gespart. Das ist ärgerlich und das Potenzial nutzen junge Menschen viel besser als ältere.
Haben Sie drei Tipps für junge Menschen, was sie mit ihren Finanzen machen sollten?
Erstens: mutiger sein. Denn die Zeit spielt da auf jeden Fall für einen. Zweitens ist daher: früh anfangen. Je früher jemand anfängt zu sparen in jungen Jahren, desto früher kann er auch in chancenreiche Produkte investieren. Es muss gar nicht viel sein, auch die kleinen Schritte können schon einen Unterschied machen. Und drittens: nicht verunsichern lassen durch kleine Rückschläge. Man braucht starke Nerven. Am besten nicht jeden Tag ins Depot schauen.
Was halten Sie von Faustregeln wie der 50-30-20-Regel, also 50 Prozent des Nettoeinkommens für Fixkosten, 30 Prozent für Freizeit und 20 Prozent zum Sparen beiseite zu legen?
Da halte ich sehr viel von. Es ist wunderbar, wenn junge Menschen darüber etwas wissen. Leider ist das oft nicht der Fall. Finanzielle Bildung spielt bei uns im Schulsystem leider kaum eine Rolle. In meiner Schulzeit gab es Fächer, bei denen ich mich gefragt habe, warum ich das lernen soll. Aber bei finanzieller Bildung sind sich junge Menschen größtenteils einig: Die wollen lernen, wie sie sparen können und die wollen wissen, was sie tun müssen, um sich zum Beispiel später mal ein Haus leisten zu können. Und deshalb hat das Finanzministerium gemeinsam mit dem Ministerium für Bildung und Forschung jetzt auch eine Initiative gestartet.
Was soll bei dieser Initiative passieren?
Es wird eine Plattform entwickelt, die Informationen zu wichtigen finanziellen Themen bietet. In einem ersten Schritt stehen auf der Seite mitgeldundverstand.de bereits Angebote öffentlicher Akteure zur Verfügung, etwa der Bundesbank, der Deutschen Rentenversicherung und der BaFin, unserer Aufsichtsbehörde. In einem zweiten Schritt soll das Portal dann auch qualitätsgeprüfte, private Angebote beinhalten. Daneben ist es gleichzeitig ganz wichtig, dass die Länder sich mehr mit diesem Thema beschäftigen, damit das dann auch wirklich Einzug in den Unterricht erhält.
Wie genau sollte finanzielle Bildung denn in den Schulalltag integriert sein?
Wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre finanzielle Bildung ein Pflichtfach in der Schule. Allerdings müssen wir uns auch die aktuellen Realitäten ansehen. Wir brauchen Lehrkräfte, die entsprechend ausgebildet werden. Ich kann mir vorstellen, dass man in der Anfangszeit viel über AGs oder Projektwochen macht. Das funktioniert jetzt schon. Das sollte man aber noch ausweiten und forcieren, bis es möglich ist, das Thema dauerhaft in den Unterricht zu implementieren.
Und welches Schulfach sollte wegfallen dafür?
Am besten gar keines.
Wo sparen Sie und wofür geben Sie viel Geld aus?
Seit ich in Berlin bin, gebe ich sehr viel Geld für Essen gehen oder bestellen aus. Der Lieferdienst ist mein Freund. Es fällt mir schwer, nach langen Arbeitstagen noch zu kochen. Da könnte ich definitiv, wenn ich selbst kochen würde, viel Geld sparen. Ansonsten spare ich für meine Altersvorsorge und größere Anschaffungen. Aber in verschiedenen Bereichen. Ich habe ein Depot, in das ich spare und auch fondsgebundene private Rentenversicherungen.
Sie haben anfangs bereits Altersvorsorge angesprochen. Ist demnach nichts dran an dem Vorurteil, dass junge Menschen sich darum nicht kümmern?
Den jungen Menschen ist klar, dass unser gesetzliches Rentensystem in der Form, wie es jetzt besteht, nicht mehr so gut funktioniert. Als das System eingeführt wurde, kamen auf einen Rentner sechs Arbeitnehmer, inzwischen haben wir eine Quote von 2 zu 1. Das macht es leider schwierig. Das kriegen auch junge Menschen schon mit. Und beschäftigen sich damit. Ab dem 27. Lebensjahr bekommt man jedes Jahr seine Renteninformation und spätestens da denkt jeder dann: Hoppala, das stimmt mit dem Einkommen, das ich monatlich bekomme, gar nicht überein – vielleicht sollte ich mal was tun.
Es hält sich bis heute das ziemlich nervige Klischee, dass Frauen mit Finanzen nichts anfangen können. Wie gehen Sie damit um?
Ich glaube, es spielt heute keine Rolle mehr, ob Mann oder Frau. Alle können sich mit Finanzen beschäftigen. Tatsächlich hat das traditionelle Rollenbild von früher oft bewirkt, dass sich der Ehemann um die Finanzen der Familie kümmert und Frauen andere Aufgaben innerhalb der Beziehung und Ehe übernommen haben. Das habe ich auch bei meinen Eltern so beobachtet. Meine Mutter hat sich für das Thema kaum interessiert und meinem Vater vertraut, bis es irgendwann wichtig wurde. Denn als mein Vater verstorben ist, stand sie auf einmal da und musste sich um all diese Dinge allein kümmern.
Frauen interessieren sich heute also mehr dafür?
Ich habe nicht den Eindruck, als würden sich junge Frauen damit nicht beschäftigen wollen. Ganz im Gegenteil. Sie wollen unabhängig sein, Dinge allein regeln. Und Frauen können das oft sogar besser. Es zeigt sich, bei Auswertungen von Depots, dass Frauen oft bessere Renditen erzielen, weil die nämlich entspannter sind, nachhaltiger anlegen und nicht meinen, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben.