Seit Anfang des Jahres ist es ein Dauerthema: die Mehrwertsteuer. Die Debatte geht in alle Richtungen. Es gibt Wirt:innen, die wegen der Rückerhöhung von sieben auf 19 Prozent öffentlich um ihre Existenz bangen. Und es gibt jene, die ihren Kolleg:innen sagen, sie sollen aufhören zu jammern. Es gibt Gäste, die sich über hohe Preise oder kleine Portionen beschweren. Und es gibt jene, die Verständnis haben für die Lage der Gastronom:innen.
Dass die Mehrwertsteuer auf Speisen während der letzten Jahre überhaupt auf sieben Prozent gesenkt wurde, war eine Erleichterung für viele Betriebe. Denn erst gingen die Menschen nicht mehr essen, weil sie wegen Kontaktbeschränkungen nicht mehr durften. Und später, weil das Leben zu teuer wurde.
Die Gastronom:innen jedenfalls wollten den reduzierten Mehrwertsteuersatz beibehalten. Unbedingt. Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga rief sogar dazu auf, sich mit dem Protest der Landwirt:innen unter dem Motto "Ohne uns kein Essen" zusammenzuschließen.
Doch wäre eine reduzierte Mehrwertsteuer für Wirt:innen wirklich nötig? Und wie gerecht wäre sie überhaupt? Watson hat bei dem deutsch-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Rüdiger Bachmann nachgefragt.
Watson: Wie denken Sie darüber, dass die Mehrwertsteuer für die Gastronomie wieder auf den regulären Steuersatz erhöht wurde?
Rüdiger Bachmann: Ich würde sagen, dass es richtig ist, dass man sie wieder auf den normalen Steuersatz erhöht hat. Es ist generell keine gute Idee, Sozialpolitik im weitesten Sinne über indirekte Steuern wie die Mehrwertsteuer, also ganz konkret über den Preis, zu machen.
Das bedeutet?
In anderen Worten: Wenn man will, dass Leute, die nicht so viel verdienen, sich auch mal einen schönen Abend im Restaurant leisten können, dann sollte man deren Einkommen erhöhen. Dann sollte man beispielsweise für niedrigere Einkommensteuern im unteren Bereich, höheres Bürgergeld oder höhere Mindestlöhne sein.
Ein Grund für die Mehrwertsteuersenkung wäre, die Einkommensschwachen zu schützen.
Ja. Aber wenn man den Gastrobereich über die Mehrwertsteuer subventioniert, dann kommt das dem reichen Professor und dem reichen CEO ja auch zugute. Die brauchen das ja überhaupt nicht, die sollen schon bezahlen für das, was sie konsumieren.
Einige befürchten ein großes Restaurantsterben. Müssen wir die Gastronomie nicht schützen?
Wenn man sagt, es geht um den Schutz der Gastronomen, muss man schon die Frage stellen: Was ist da eigentlich schützenswert? Ich meine, erstens hatten die ja auch ein Geschäftsmodell vor der Senkung. Was hat sich da verändert?
Wenn es durch Corona tatsächlich so ist, dass sich jetzt auch andere Angebote wie Lieferdienste in der Gesellschaft durchsetzen, also ein anderer Modus von Essen unter den Leuten existiert und deshalb die Gastronomie eine geringere Nachfrage hat, dann ist das halt so. Das ist Strukturwandel und dann müssen Gastwirte sich möglicherweise auf neue Geschäftsmodelle einstellen oder vom Markt verschwinden.
Manche sagen, man braucht die Gastronomie für das Miteinander. In Dörfern sind Gaststätten fast wie Gemeinschaftsräume. Spielt das keine Rolle?
Es ist nicht ganz klar, warum eine Gastwirtschaft unbedingt ein schützenswertes Objekt ist. Oder der Beruf des Gastronomens per se ein schützenswerter Beruf. Das mag in der einzigen Dorfkneipe, wo noch das dörfliche Leben oder die örtliche Politik stattfinden kann, ein Spezialfall sein. Aber ich finde, in solchen Sonderfällen muss man sich in der Kommune darum kümmern, dass entweder eine Alternative entsteht oder diese eine Kneipe erhalten bleibt. Das ist ein Spezialfall.
Wenn in Berlin jetzt ein paar Kneipen sterben, sehe ich das Problem nicht. Wenn die Gastronomen kein Geschäftsmodell haben, das mit einem normalen Steuersatz funktioniert, dann ist das ihr Problem.
Wäre es nicht gerecht, wenn alle Menschen sich einen Restaurantbesuch leisten könnten? Sollte die Steuer daher nicht lieber doch niedrig bleiben?
Solche Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer finde ich problematisch, weil man da zum Teil auch vom Staat her paternalistisch ist. Was ist guter Konsum und was ist schlechter Konsum? Das Instrument der Steuer ist nicht geeignet dafür, einkommensschwachen Leuten einen Restaurantbesuch zu ermöglichen.
Es kann ein legitimes Anliegen der Politik sein, auch ärmeren Menschen einen Restaurantbesuch zu ermöglichen, aber dafür ist die Mehrwertsteuer kein zielgenaues Instrument. Und die Gaststätten per se schützen zu wollen, obwohl den Leuten die höheren Preise dort nicht wert sind, das sehe ich jetzt nicht. Dann haben die Gastronomen im Zweifel halt kein funktionierendes Geschäftsmodell.
Wenn man die Wirt:innen steuerlich entlastet, müsste man dieses Geld woanders wieder reinholen. Was meinen Sie, wie das geschehen würde?
Entweder es muss eine andere Steuer erhöht werden, bei gleichbleibenden Ausgaben. Oder man nimmt zusätzliche Staatsschulden auf. Die Leute, die das wollen in der Gastronomie, würden wohl sagen: Dann müssen wir halt die Schuldenbremse aufheben. Will man das für die Wirte?
Wenn man die Mehrwertsteuer niedrig belassen will, gibt es nur die drei folgenden Möglichkeiten: Andere Steuern erheben, mehr Schulden machen oder andere Staatsleistungen reduzieren. Wenn Restaurants um jeden Preis erhalten bleiben sollen, dann sollte man auch konkret sagen, was einem weniger wichtig ist.