Prof. Jonas Schmidt-Chanasit kennt sich aus mit Viren, die von Tieren auf den Menschen übertragen werden. Er forscht am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin der Universtät Hamburg zu genau dieser Art von Krankheiten, sogenannten Zoonosen, darunter auch das bekannte Ebola-Virus.
Auch die wesentlich weniger gefährlichen Affenpocken gehören zu den Zoonosen, ebenso wie das Sars-Cov-2-Virus, dass die Welt die vergangenen zwei Jahre epidemiologisch in Atem hielt. Watson hat mit dem Virologen über die Hintergründe der aktuell weltweiten Ausbrüche und die wahrscheinlichsten Übertragungswege gesprochen.
watson: Kommt einem das nur so vor, oder hat sich die Frequenz viraler Bedrohungen aus der Natur für den Menschen in den letzten Jahren erhöht?
Jonas Schmidt-Chanasit: Ich würde jetzt sagen, vielleicht in den letzten Jahrzehnten. Wichtige Faktoren dafür sind der intensivierte Reise- und Warenverkehr und dass wir verstärkt in Räume eindringen, die früher sehr abgelegen oder abgeschlossen, für den Menschen nicht zugänglich waren. Und dass wir diese Räume zerstören. Durch die Umweltzerstörung und natürlich auch durch Massentierhaltung oder auch Plantagenwirtschaft – in früheren Gebieten des Regenwaldes zum Beispiel oder in ungestörten Ökosystemen. Das sind die Hauptfaktoren und das führt zu einer Zunahme von Ausbrüchen mit zoonotischen Erregern. Dabei findet ja zunächst der Übergang oder der Übertritt der Erreger, hauptsächlich Viren, von einem Tier auf den Menschen statt.
Spielt die Globalisierung dabei auch eine Rolle?
Aufgrund der angesprochenen intensiven Reisetätigkeit und wegen des Warenverkehrs kann ein Erreger in kürzester Zeit um die Welt reisen. Auch der Klimawandel wirkt hier ein, weil es wärmer wird und das insbesondere für die von Stechmücken übertragenen Viren eine Rolle spielt.
Alle diese Hauptfaktoren, Klimawandel, intensiver Warenverkehr, Zerstörung der Naturräume – die zugehörige Problematik hat sich eben in den letzten Jahrzehnten intensiviert. Wir hatten jetzt einen Einbruch durch die Maßnahmen der Coronavirus-Pandemie, die die Reisetätigkeit eingeschränkt hatte. Aber das wird jetzt wieder aufgeholt und wir sehen es ja schon, wie intensiv wieder gereist wird.
Haben Sie durch die Unterbrechung aufgrund der Pandemie die letzten zwei Jahre einen Unterschied beobachten können?
Ja, das sehen wir an den Meldedaten. Zum Beispiel für importierte Dengue-Virus-, Zika-Virus-oder Chikungunya-Virus-Infektionen. Exotische Viruserkrankungen, wo normalerweise, beispielsweise das Dengue-Virus betreffend, etwa tausend Infektionen pro Jahr nach Deutschland importiert und registriert wurden beim Robert-Koch-Institut. Die Infektionen sind auf unter hundert Fälle zurückgegangen während der Coronavirus-Pandemie, aufgrund der sehr eingeschränkten Reisetätigkeit. Das kann man genau einem absoluten Einbruch der Zahlen von manchen importierten Infektionen nachvollziehen: beispielsweise beim Dengue-Virus, Zika-Virus oder Chikungunya.
Obwohl das Virus ja schon in den 70er Jahren entdeckt wurde und seitdem auch bei Menschen im Umlauf ist, scheint es sich im Moment leichter zu verbreiten als zuvor. Ist es vielleicht doch ein bisschen ansteckender geworden? Gibt es dafür Hinweise aus der aktuellen Forschung an diesem Virus?
Das ist noch Spekulation, muss aber weiter untersucht werden. Es gibt eben genau diese zwei Möglichkeiten: Einmal ein verändertes Verhalten der Menschen, die zur Weiterverbreitung beigetragen haben. Zum Beispiel Zerstörungen bestimmter Naturräume in Zentral- und Westafrika, die dazu führen, dass es verstärkt zum Übertritt des Erregers auf die Menschen kommt. Es ist ja wirklich eine klassische Zoonose, das heißt, die meisten Fälle sind in der Vergangenheit aufgetreten, weil man Kontakt mit Tieren gehabt hat, Nagetieren oder diese gegessen hat, und so weiter.
Die zweite Möglichkeit ist eine Veränderung beim Erreger, aber da deutet bisher nichts darauf hin, dass da eine dramatische Veränderung stattgefunden hat. Man muss aber die weiteren Sequenzierungen (Anm. der Red. Entschlüsselung des Genmaterials) abwarten. Aber die Viren-Sequenzen, die jetzt entschlüsselt verfügbar sind, sind eben sehr eng verwandt mit den Sequenzen, die wir schon von einem Ausbruch im Jahr 2018 kennen. Das war ein ursprünglicher Fall aus Nigeria, der dann auch Infektionen außerhalb Afrikas hervorgerufen hat.
Wenn das Virus einmal beim Menschen angekommen ist, was sind dann "ideale Bedingungen" für eine weitere Verbreitung?
Eine weitere Verbreitung aufgrund einer besonderen Situation, das heißt große Veranstaltungen mit über 10.000 Teilnehmern, Sex-Partys, intensiver Körperkontakt, das sind natürlich Umfelder, in dem sich so ein Erreger sehr gut ausbreiten kann. Es gab kürzlich internationale Feiern in Gran Canaria, Belgien, auch hier in Berlin, mit Tausenden von Teilnehmern aus ganz Europa, sogar weltweit. Und wenn es da zu engem Körperkontakt kommt oder zu wechselnden Sexualpartnern, dann ist das eine ideale Voraussetzung für eine weitere Verbreitung.
Das Ergebnis davon sehen wir jetzt mit über 100 registrierten Fällen, aktuell hauptsächlich bei Männern, aber nicht nur. Und das soll auch gar nicht stigmatisierend sein, das ist jetzt eine Beschreibung der epidemiologischen Lage, um dann auch besser Prävention betreiben zu können. Diese Fälle müssen jetzt genauer untersucht werden. Und natürlich gibt es auch weiterhin die Möglichkeit, dass es durchaus Mutationen gegeben haben könnte, die mit einer leichteren Übertragbarkeit einhergehen könnten.
Halten Sie als zusätzlichen Übertragungsweg auch eine Tröpfcheninfektion für möglich?
Genau das ist sehr, sehr schwer einzuschätzen, weil bisher nur sehr wenige Fälle überhaupt beschrieben wurden, hauptsächlich aus Afrika. Man kann die Lage und die Situation in Afrika nicht eins zu eins auf Europa übertragen.
Natürlich kann es auch diese anderen Übertragungswege geben, Tröpfchen zum Beispiel. Die Frage bleibt tatsächlich immer bei der Wahrscheinlichkeit, was ist sehr häufig, was weniger.
Was sind denn die wirklich wahrscheinlichen Übertragungswege?
In den jetzt aktuellen Fällen, wo auch letztlich die Hauterscheinungen, die Pusteln, die Bläschen an den Geschlechtsteilen aufgetreten sind, liegt der enge körperliche Kontakt und auch der Geschlechtsverkehr rein epidemiologisch betrachtet eben mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit an einer Tröpfcheninfektion. Da würde man jetzt nicht unbedingt eine Manifestation zuerst an den Geschlechtsteilen erwarten. Also insofern ist dieser enge körperliche Kontakt sowie das, wie sie die Europäische Seuchenschutzbehörde (ECDC) oder die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschreiben, sicherlich der aktuelle Hauptübertragungsweg.
Gibt es noch weitere Infektionsmöglichkeiten – eine Schmierinfektion zum Beispiel?
Andere kann man nicht ausschließen. Das haben wir ja bei Corona auch nicht gemacht, aber es geht hier um die Wahrscheinlichkeit. Eine Aerosolübertragung ist beispielsweise bei Corona auch möglich, aber eher nur in bestimmten, besonderen Situationen. Eine Tröpfcheninfektion ist bei Corona wahrscheinlicher, und so ähnlich würde ich es jetzt auch bei den Affenpocken sehen: Ein enger körperlicher Kontakt mit Haut, Schleimhaut, mit den Bläschen ist in diesem Fall als Übertragungsweg wahrscheinlicher als Tröpfchen.
Es hört sich jetzt so an, als gäbe es noch viel Unklarheit. Wurde in der Forschung bisher einfach nicht so auf die Affenpocken eingegangen?
Richtig, denn das Virus ist ja eine absolute Seltenheit. Wir hatten ja überhaupt gar keine Fälle in Deutschland bisher. Insofern hat niemand in Deutschland zuvor Affenpocken gesehen. Und mit den ersten Fällen lernt man natürlich. Die Situation in Afrika und die Fälle, die dort aufgetreten sind, befinden sich in einem ganz anderen Umfeld. Es gibt andere Grunderkrankungen bei den Menschen. Und das ist immer schwer eins zu eins auf die Situation in Europa zu übertragen. Da muss man sehr vorsichtig sein. Auch was die Sterblichkeit betrifft, würde ich jetzt nicht davon ausgehen, dass automatisch bei uns auch die Mortalität der westafrikanischen Variante im Bereich von über ein oder bei drei Prozent liegt. Die wird wesentlich geringer sein.
Es handelt sich ja bei den Affenpocken um eine klassische Zoonose und der Mensch ist eigentlich nur ein Fehlwirt. Was genau bedeutet das und warum erkranken wir Menschen trotzdem an so einem Virus?
In diesem Zusammenhang heißt das, dass wir nicht das Reservoir sind, wo das Virus sich normalerweise dauerhaft hält, wie in den Nagetieren. Sondern dass wir erkranken und dann die Erkrankung überstehen und das Virus dann letztendlich verschwindet. Wenn man die Erkrankung überstanden hat, ist man ja auch nicht mehr infektiös. Aber trotzdem kann man natürlich davor ansteckend sein.
Helfen uns jetzt die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie im Umgang mit dieser neuen Krankheit?
Ja, ich denke schon. Man darf aber nicht den Fehler machen, das jetzt eins zu eins zu vergleichen. Das ist natürlich ein ganz anderes Virus, mit anderen Herausforderungen, anderen Übertragungswegen, die hauptsächlich eine Rolle spielen. Insofern helfen allgemeine Hygienemaßnahmen auch beim Affenpocken-Virus, dass man sich von Erkrankten fernhält und keine engen körperlichen Kontakte hat. Handhygiene hilft natürlich auch bei Affenpocken, das sind ja allgemeine Hygienemaßnahmen, die bei vielen Infektionskrankheiten helfen und das kann man natürlich auch auf dieses Virus übertragen.
Insofern, wenn wir das jetzt bei Corona verinnerlicht haben, dass viele Maßnahmen hilfreich sind, ist das in diesem Sinne auch hilfreich für dieses Virus. Aber die Einschätzung der europäischen Seuchenschutzbehörde ECDC gilt: das Risiko für die Gesamtbevölkerung ist gering. Und für Personen, die häufig wechselnde Geschlechtspartner haben, ist das Risiko moderat. Und dieser Einschätzung folge ich auch im Vergleich zu Sars-Cov-2. Hier steht eigentlich eine Pandemie nicht zur Diskussion momentan.