Urlaub in der Warteschlange: Am Airport Köln Bonn stauten sich die Menschen vor den Sicherheitskontrollen am Samstag hunderte Meter lang. Bild: dpa / David Young
Interview
Warteschlangen, die sich über mehrere Gates erstrecken, Koffer, die nicht am Zielort ankommen und Passagiere am Rande des Nervenzusammenbruchs – das Chaos auf deutschen Flughäfen zum Ferienbeginn ist perfekt. Grund für den Kollaps? Personalmangel am Boden. Einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zufolge mangelt es derzeit an rund 7200 Fachkräften.
Damit die Sommerreisezeit nicht im Desaster endet, will die Bundesregierung ausländischen Hilfskräften die Einreise erleichtern und "gegebenenfalls" auch mehr Bundespolizei einsetzen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kritisierte allerdings, es wäre Aufgabe der Unternehmen gewesen, gegen den Personalmangel "rechtzeitig vorzusorgen" und dafür zu sorgen, "dass sie attraktive Arbeitgeber sind".
Warum laufen den Airports die Leute weg? Und: Ist der Sommerurlaub noch zu retten? Wir sprachen darüber mit Dennis Dacke aus Berlin. Er ist Gewerkschaftssekretär für den Luftverkehr bei Verdi und hat das Chaos selbst erlebt.
Er sagt:
"Ich glaube, der Super-Gau wird noch kommen, wenn die Ferien beginnen."
watson: Das Chaos an den Flughäfen ist riesig – können wir hoffen, dass es im weiteren Verlauf der Urlaubssaison besser wird?
Dennis Dacke: Der Drops ist gelutscht. Dieser Sommer ist nicht mehr zu retten. Kollabiert ist das System schon, es wird eher noch schlimmer. Ich selbst bin am Montag geflogen und mein Koffer hängt noch in München fest. Man kann sich glücklich schätzen, wenn überhaupt noch etwas ankommt. Ich glaube, der Super-Gau wird noch kommen, wenn die Ferien andernorts beginnen und alle in den Urlaub nach Gran Canaria fliegen. Die Stimmung wird aggressiv sein, weil es für viele der erste Urlaub seit zwei Jahren ist – der dann schief geht.
Wer hat die Organisation verbockt?
Wir hatten auch schon vor Pandemie-Beginn extremen Personalmangel, sowohl beim Check-In, als auch im Baggage-Bereich (Anm. d. Red. Gepäck-Bereich). Das ist bedingt durch die Liberalisierungs- und Deregulierungspolitik der Europäischen Kommission der vergangenen 25 bis 30 Jahre. Es wurden immer mehr Flughafen-Dienstleistungen privatisiert. Früher lief das wie ein Uhrwerk; wenn Mangel war, konnte das "kaputte Zahnrad" von anderer Stelle des Flughafens ausgeglichen werden. Nun geht das nicht mehr. Befeuert wurde der Kollaps auch durch den Verdrängungswettbewerb der Low-Cost-Carriers (Anm. d. Red. Billig-Airlines), die für immer weniger Geld dieselben Dienste erbringen. Ein Low-Cost-Carrier soll zum Beispiel maximal 25 Minuten am Boden sein, das bedeutet massiven Stress. Dieses ganze System stand schon 2018 kurz vor dem Kollaps: Das Personal ist trotz steigendem Flugverkehr weniger geworden, die Belastung aber höher.
Low-Cost-Carrier wie Eurowings sparen auch am Check-In, um günstige Tickets anbieten zu können. Bild: dpa / Federico Gambarini
Und dann kam Corona.
Der Luftverkehr war die Branche, die als erste und am längsten von Kurzarbeit betroffen war. Schon im März/April 2020 waren unter unseren Mitgliedern bis zu 98 Prozent in Kurzarbeit. Befristetete Verträge wurden nicht verlängert, einige Bodendienstleister haben Personal ganz entlassen und viele sind selbst gegangen. Diese Leute haben jetzt neue Jobs und geben diese nicht mehr her, weil sie dort mehr Sicherheit erleben.
"Dieser Sommer ist nicht mehr zu retten. Kollabiert ist das System schon, es wird eher noch schlimmer."
Konnte man das jetzige Chaos da nicht voraussehen?
Ja, konnte man. Wir haben vor einem Jahr bereits gewarnt, dass – selbst wenn wir 2022 nur 50 Prozent Produktion hätten – wir mit einem Kollaps zu rechnen haben. Jetzt haben wir zum Teil sogar 100 Prozent Produktion und 100 Prozent Flugbewegung. Mit einer so massiven Buchungswelle hat keiner gerechnet. Aber spätestens im Februar/März hätte man das an den Buchungszahlen ablesen können. Der Kollaps an sich ist also ein hausgemachtes Problem, vor dem wir schon 2021 im Zuge der nationalen Luftfahrtkonferenz gewarnt haben.
Und niemand hat darauf reagiert?
Auf Ministerialebene wurde eine Arbeitsgemeinschaft "Wiederbelebung Luftverkehr" gegründet. Da muss man klar sagen: Diese Wiederbelebung ist gescheitert. Der Patient ist tot.
Aber die Politik will doch jetzt mit ausländischen Hilfskräften die Lage entspannen.
Das wird nicht von einem Tag auf den anderen funktionieren. Es wäre ja obszön, die Sicherheitsstandards hinunterzuschrauben, um die Kräfte schnell einzusetzen. Dabei geht es nicht nur um die Zuverlässigkeitsprüfung für die innere Sicherheit, sondern auch um Schulungsmaßnahmen, damit ausländische Helfer mit alteingesessenen Kollegen effizient agieren können. Wir brauchen einen sinnvollen Plan und nicht so einen Schnellschuss. Selbst wenn wir in der Türkei 2000 Leute finden, die mal am Flughafen Istanbul gearbeitet haben, heißt das nicht, dass die sofort auf einem fremden Airport einsetzbar sind, denn jeder Flughafen hat andere Arbeitsprozesse und Sicherheitssysteme. Ich glaube eher, dass wir mit diesem Wirrwarr noch mehr Beschäftigte verlieren.
"Der Kollaps ist ein hausgemachtes Problem, vor dem wir schon 2021 gewarnt haben."
Sie meinen, man riskiert, das letzte Personal auch noch zu vergraulen?
Die Kollegen sind echt am Ende, die rufen mich an und sagen: "Ich kann nicht mehr. Wie komme ich aus dem Laden raus?" Die sind nach anderthalb Jahren zu-Hause-sitzen von null auf 120 Prozent belastet worden. Und das geht auf die Psyche und die Gesundheit. Wenn man dann noch Passagiere gegenüber hat, die das Fliegen "verlernt" haben, würde ich auch die Lust verlieren. Ich habe selbst bei meinem Flug erlebt, wie unverschämt und aggressiv die Passagiere waren. Ich dachte nur: "Was ist denn hier los?"
Lange Schlangen, kurze Zündschnur: Die Laune der Reisenden ist inzwischen ziemlich schlecht.Bild: dpa / David Young
Wieviel Mitschuld trägt der Passagier denn im weiteren Sinn? Den billigsten Flug sucht schließlich jeder...
Was natürlich gar nicht funktionieren kann ist, wenn man für 30 Euro irgendwo hinfliegt. Das Abfertigen eines Fluggastes nimmt 25 bis 30 Personen in Anspruch, darunter Personal, dass die Sicherheit gewährleistet, eincheckt, das Gepäck auf den Weg bringt. Nach Flughafengebühren und Steuern müssen diese Leute noch bezahlt werden. Zudem all die Dienstleister, die Aufgaben für die Airlines übernehmen: Einer macht das Boarding, der nächste tankt das Flugzeug voll, der vierte pumpt die Toilette aus... Die Airlines erleben den Preisdruck, haben aber Kosten und sparen dann an der Stelle, wo es am leichtesten geht: beim Personal. Daher muss man als Passagier schon fair sein. Wer sich ein Billigticket kauft und sich dann aufregt, dass nur ein Check-In-Schalter geöffnet ist, sollte sich fragen: Wer soll denn das bezahlen?
Eigentlich ein wirtschaftliches Problem. Warum schaltet sich die Politik überhaupt ein?
Ein Flughafen ist auch ein Infrastruktur-Produkt, an dem die Bundesländer oft sogar eine Beteiligung haben. Insofern gibt es natürlich ein Interesse daran, dass die Airports Profit abwerfen. Zudem ist der Sommerurlaub ein hochemotionales Thema in der Bevölkerung. Die Deutschen reisen unheimlich gern. Und gerade in der Ferienzeit sind nicht die Profi-Flieger unterwegs, sondern Menschen, für die das ein Event ist. Die sind Wochen vorher aufgeregt, kommen drei Stunden zu früh zum Gate und fiebern ihrem Urlaub entgegen. Die Politik will da sicher nicht der Spielverderber sein.
"Wer sich ein Billigticket kauft und sich dann aufregt, dass nur ein Check-In-Schalter geöffnet ist, sollte sich fragen: Wer soll denn das bezahlen?"
Für dieses Jahr kommt die Rettung jedoch zu spät, sagen Sie. Was muss denn passieren, um die Saison 2023, 2024 zu sichern?
Ein Lösungsansatz wäre ein Branchen-Tarifvertrag. Dass man es schafft, dass für die Bodendienstleister vom Check-In bis zur Rampe ein Standard für alle gilt. Denn wenn alle Dienstleister unterschiedliche Tarife anbieten, nehmen sie sich gegenseitig das Personal weg. Wir brauchen zudem im Bereich der Low-Cost-Carrier einen Mindeststandard im Tarif. Wir brauchen Sicherheitsgarantien, nachhaltig attraktive Arbeitsbedingungen und eine klare Personalaufstockung. Insgesamt gilt: Je früher man mit dem Prozess anfängt und gute Arbeitsbedingungen schafft, umso optimistischer können wir wieder nach vorne schauen.
Sie dürfte als Süßigkeit des Jahres durchgehen, die Dubai-Schokolade. Vollmilchschokolade, Engelshaar, Sesampaste und, natürlich, Pistaziencreme. Eine Kombination, die ein herausragendes Mundgefühl verspricht. Die Tafeln sind so gefragt, dass sie nicht nur bei Chocolatiers in der Auslage zu finden sind. Mittlerweile bietet sogar Aldi eine Version zum Discounter-Preis an.