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Juden in Deutschland: Familie zieht Konsequenzen und geht zurück nach Israel

22.10.2023, Berlin: Teilnehmer an einer Pro-Palästina Kundgebung stehen auf dem Alexanderplatz. Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober kam es auch an diesem Wochenende deutschlandw ...
Wegen Bildern wie diesen will eine israelisch-deutsche Journalistin nicht länger in Berlin bleiben.Bild: dpa / Paul Zinken
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Jüdische Familie zieht Konsequenzen und geht zurück nach Israel: "Durch mit Deutschland"

26.10.2023, 07:3926.10.2023, 16:41
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Als wir das letzte Mal gesprochen hatten, war es schon schlimm. Das war einen Tag nach den terroristischen Angriffen der Hamas auf Israel, bei denen bis heute fast 1400 Menschen getötet wurden. Schon da war die israelisch-deutsche Journalistin Sarah Cohen-Fantl in Sorge.

In der Zwischenzeit gab es israelische Gegenangriffe. Bis zu 5000 Menschen sind tot, über 200 israelische Geiseln noch immer in Gefangenschaft. Die Folgen sind auf der ganzen Welt spürbar. Auch in Deutschland. Der gelebte Antisemitismus wird größer. Und mit ihm die Sorgen von Sarah.

2017 bis 2022 lebte sie in Jerusalem und Tel Aviv. Erst vor eineinhalb Jahren ist sie mit ihrem israelischen Mann und den zwei gemeinsamen Kindern, zwei und drei Jahre alt, nach Berlin gezogen. Doch jetzt fühlt sich die Familie hier so unwohl, dass sie zurückgeht nach Israel.

watson: Normalerweise wolltet ihr länger bleiben, oder?

Sarah Cohen-Fantl: Wir hatten eigentlich gerade einen Mietvertrag für ein Haus unterschrieben. Aber nach dem Anschlag der Hamas, kurz vor dem Umzug, wussten mein Mann und ich dann, dass wir dort nicht einziehen können.

Sarah Cohen-Fantl, Journalistin
Journalistin Sarah Cohen-Fantl glaubt, dass sie mit ihrer Familie nur in Israel wirklich sicher sein kann.Bild: Privat / Alumah

Warum wollt ihr zurück nach Israel?

Viele denken, dass wir nur wegziehen aus Panik oder Angst. Aber das ist es nicht. Wir wissen, dass wir jetzt noch ein paar Jahre weiterhin in Deutschland leben könnten. Ohne dass uns unbedingt etwas passiert. Aber nur unter der Voraussetzung, dass wir nicht erkennbar als Juden unterwegs sind. Dass wir nicht öffentlich Hebräisch sprechen, also erkennbar Israelis sind. Und dass wir uns aus dem jüdischen öffentlichen Raum zurückziehen. Eine Synagoge oder auch ein koscheres Foodfestival sind tendenziell potenzielle Anschlagsziele.

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Und vor allem hätten wir unseren Kindern erklären müssen, dass wir Fremden gegenüber nicht über Israel sprechen. Und mein Mann und ich sind beide der Meinung, dass das kein Umfeld ist, in dem wir unsere Kinder großziehen wollen. Wir wollen ihnen nicht das Gefühl geben, dass etwas an ihnen falsch ist. Dass sie sich verstecken oder sie Angst haben müssen.

Glaubst du nicht, dass es wieder anders wird?

Wir haben tatsächlich nicht das Gefühl, dass sich die Situation in den nächsten zehn, 15 Jahren für uns zum Positiven entwickeln würde. Leider.

"Viele Juden in Berlin und dem Rest der Welt haben das Gefühl, als ob die Jagd auf Juden wieder eröffnet wäre. Wie im Holocaust."

Wie war euer Leben in Berlin bisher?

Wir haben es geschafft, uns in eineinhalb Jahren hier ein Business aufzubauen, das gut läuft. Ich arbeite als Journalistin, mein Mann wollte ein Restaurant eröffnen. Die Kinder sind integriert. Aber wir sehen sehr deutlich, dass es für die beiden aktuell in Deutschland keine Zukunft gibt. Für uns war immer klar, dass wir irgendwann wieder zurück nach Israel gehen würden. Aber wir wollten wirklich nicht jetzt schon wieder zurück.

Wie hast du die letzten beiden Wochen erlebt?

Zum Glück haben wir selbst keine antisemitischen Anfeindungen oder Angriffe erlebt. Das liegt aber auch daran, dass wir eigentlich überhaupt nicht mehr rausgegangen sind. Wenn doch, dann nur einer von uns, ohne die Kinder. Wir leben nicht weit entfernt von der Sonnenallee.

Polizei am Herrmannplatz und Polizeiwagen sperren den Zugang zur Sonnenallee in wahrend begleitet einer Demonstration in Solidaritaet mit Palaestina in Berlin Kreuzberg am 21. Oktober 2023. Demonstrat ...
Polizist:innen im Berliner Stadtteil Neukölln begleiten eine Pro-Palästina-Demonstration.Bild: imago images / emmanuele contin

Wie fühlt sich das für euch an?

Wir fühlen uns auf jeden Fall unwohl. Wir gehen normalerweise sehr viel mit unseren Kindern spazieren in Kreuzberg und Neukölln. Das machen wir jetzt gar nicht mehr. Wir fahren dafür extra auf die andere Seite der Stadt. Wir haben mit Israelis in der Nachbarschaft Nummern ausgetauscht, für den Notfall. Falls jemand Hilfe braucht. Viele Juden in Berlin und dem Rest der Welt haben das Gefühl, als ob die Jagd auf Juden wieder eröffnet wäre. Wie im Holocaust.

Du selbst auch?

Ja. In Brüssel sind Menschen erschossen worden. In Berlin wurden Synagogen angegriffen. In Paris wurde einem jüdischen Ehepaar die Haustür abgebrannt. Seit zwei Wochen gibt es kaum einen Tag, an dem es keine antisemitisch motivierten Angriffe gibt. Kein Ort der Welt ist für uns sicher, außer Israel.

Gehen deine Kinder aktuell in die Kita?

Die Kinder waren in der vergangenen Woche nur einen Tag da. Am Freitag mussten alle Kinder plötzlich früher abgeholt werden wegen einer pro-palästinensischen Demo, die direkt in der Nähe der Kita stattfand und durch die nicht mehr für unsere Sicherheit garantiert werden konnte. Heute waren meine Kinder wieder dort. Ich bin allerdings in der Nähe geblieben, das fühlt sich im Moment einfach besser an. Aber spätestens, wenn die israelische Bodenoffensive startet, gehen sie wahrscheinlich erstmal nicht mehr in die Kita. Wir gehen leider davon aus, dass das die Eskalationsspirale immens in die Höhe treiben wird.

News Bilder des Tages Israelische Flagge auf der Kundgebung GEGEN TERROR UND ANTISEMITISMUS - Solidaritaet mit Israel - vor dem Brandenburger Tor. Berlin, 22.10.2023. Berlin Deutschland *** Israeli fl ...
Eine Pro-Israel-Demo am vergangenen Wochenende vor dem Brandenburger Tor. Bild: imago images / photothek

Aber ist Israel überhaupt sicherer für euch?

Gerade jetzt wahrscheinlich nicht, weil Krieg ist. Andererseits ist Israel das einzige Land auf der Welt, wo wir als Juden eine Mehrheitsgesellschaft bilden und beschützt werden. Egal ob von Nachbarn, der Armee oder von Polizisten. Es gibt da einfach einen unglaublichen Zusammenhalt, der sehr bestärkend ist. Hier in Deutschland kann ich Glück haben mit der Polizei. Ich kann mich aber nicht auf jeden einzelnen Polizisten und schon gar nicht auf meine Nachbarn verlassen.

"Da habe ich echt gedacht, das geht in eine Richtung, die bedrohlich wirkt und die mir gar nicht gefällt."

Wisst ihr schon, wann und wohin ihr geht?

Wir können nicht so richtig planen. Denn wir wissen leider überhaupt nicht, wann der Krieg vorbei ist. Oder ob doch der Dritte Weltkrieg ausbricht und wir plötzlich alle betroffen sind. Vermutlich wird es spätestens Mitte 2024 so weit sein. Wohin genau wissen wir noch nicht. Wir müssen ja auch erstmal verarbeiten, dass unser Leben hier jetzt ein Ende hat und wir wieder von vorne anfangen müssen.

Dein Mann ist Israeli und zum ersten Mal länger hier – und erlebt direkt eine derartige Eskalation. Was denkt er über Berlin und Deutschland?

Als wir hergekommen sind, hatte ich meine Bedenken, denn ich wurde in Deutschland schon oft enttäuscht. Er hingegen war total begeistert. Er findet das nicht ganz so sonnige Wetter in Berlin gut, er findet es hier ruhiger, entspannter als in Israel. Eigentlich hat er sich total wohlgefühlt. Den Gedanken zurückzugehen hatte ich zuerst. Er hat gesagt, er will noch nicht. Doch dann ist der Krieg losgegangen. Da hat er angefangen, sich zu wundern, warum die Menschen nichts machen gegen die Demos auf der Sonnenallee und dass es nicht genügend Polizeischutz für jüdische Einrichtungen gibt. Für ihn fing damit das schöne Bild, das er von Deutschland hatte, an zu bröckeln.

Deutlicher als im Alltag zeigen Menschen ihre Haltung oft auf Social Media, wo du sehr aktiv bist. Was bekommst du da gerade ab?

Am Anfang kamen "nur" palästinensische Flaggen. Inzwischen bekomme ich auch Seifen-Emojis, eine Anspielung darauf, dass die Nazis aus den toten Juden damals Seife hergestellt haben sollen. Eine Person hat auch einen Aufruf unter einen meiner Posts geschrieben: "Schickt mir alle Infos, die ihr zu Sarah habt." Ich sei eine kranke Muslim-Hasserin. Da habe ich echt gedacht, das geht in eine Richtung, die bedrohlich wirkt und die mir gar nicht gefällt.

War es das jetzt für dich in Deutschland?

Das ist eine gute Frage. Meine Einschätzung ist, dass die AfD gerade an Aufschwung gewinnt durch das, was jetzt passiert. Aber die sind rechtsradikal, rassistisch, antisemitisch und natürlich keine Alternative für uns, nur weil sie diese Situation gerade für ihren Muslim-Hass instrumentalisieren. Deswegen glaube ich nicht, dass Deutschland in den nächsten Jahren für uns noch eine Option ist. Es ist auch nicht so toll, ständig zwischen Israel und Deutschland hin und her zu ziehen. Auch für die Kinder nicht. Ich glaube, ich bin durch mit Deutschland.

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