Wie können digitale Mittel sinnvoll im Unterricht genutzt werden?Bild: dpa / Marijan Murat
Interview
"Schule ist cool!" hat wahrscheinlich niemand gesagt, denkt wahrscheinlich auch niemand. Dabei muss es aber nicht bleiben. Es braucht theoretisch Reformen, politisch, aber auch im Klassenzimmer, um Schule ansprechend zu machen.
Lehrer Bob Blume wirbt dafür, in seinen Büchern, dem Podcast "Die Schule brennt" und seinem Blog. Kürzlich ist sein neues Buch "Warum noch lernen?" erschienen. Genau über die Frage sprachen wir mit ihm. Doch auch über Noten, Nachhilfe, ChatGPT und die Probleme, die das teils verkrustete Schulsystem mit sich bringt.
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watson: Bob, warum lernen wir eigentlich?
Bob Blume: Die einfache Antwort ist, weil wir finanziell unabhängig werden wollen, wenn wir nach der Schule ins Berufsleben treten; weil wir kulturell teilhaben haben wollen; weil wir uns bestenfalls gesellschaftlich orientieren. Um das zu begreifen, muss die Schule das "Lernen" zum Kernthema machen.
Aber die Schule gilt bereits als Ort des Lernens, oder nicht?
Nein. Wir haben es mit einem Schulsystem zu tun, indem das Lernen überhaupt nicht fokussiert wird. In aller Regel stehen Lehrerinnen und Lehrer 45 Minuten vorne und erklären, wie man etwas macht. Der Rest wird nach Hause verlagert, sprich der eigentliche Lernprozess. Und dann wandert die Frage „Warum lernen wir?“ zu den Eltern. Manche versuchen und können es erklären, andere sind vielleicht nicht da, was zu einer unglaublichen Ungleichheit führt.
"Es wäre Quatsch, auf KI zu verzichten."
Und dann wird häufig bemängelt, dass Schüler:innen auf KI zurückgreifen.
Ja, aber warum sollten sie das auch nicht tun? Wenn eine junge Person weiß, dass eine KI eine Aufgabe viel besser lösen kann als sie selbst, wäre es ja Quatsch, darauf zu verzichten. Wenn schulisches Lernen nur in Frontalunterricht und Hausaufgaben aufgeteilt ist, lässt sich doch nicht kritisieren, dass Hilfsmittel zum Einsatz kommen. Wir müssen den Unterricht umgestalten, ja sogar digitale Werkzeuge in den Schulalltag integrieren.
Wie könnte das aussehen?
Ich könnte Schülern die Aufgabe geben, eine Kolumne zu schreiben. Es wäre ein typisches Beispiel für „Hey ChatGPT, schreib mir eine Kolumne“ und das Ding ist durch. Aber gehen wir einen Schritt weiter. Den Kindern gebe ich erstmal einen Clip, in dem das Format erklärt wird. Nebenher schraube ich mir ein KI-Tool so zurecht, dass es genau weiß, wie eine Kolumne aufgebaut werden muss.
Bildungsinfluencer Bob Blume.mgfilms
Und weiter?
Dann schreiben die Schüler eine Kolumne, legen sie der KI vor und bekommen eine Auswertung des Texts. Anschließend arbeiten sie die Verbesserungsvorschläge durch und reichen sie nochmal ein. Ich als Lehrer bin dann noch für Fragen da. Wenn etwa eine Schülerin fragt, was die KI da will, dass das ja falsch sei, kann ich nachhelfen. Die Schüler haben in diesem Fall anderthalb Stunden konstant gelernt, ganz ohne Frontalunterricht.
Verzwergst du dadurch nicht deine Rolle zur reinen Begleitperson?
Ja, das ist ein klassischer Vorwurf, manche sprechen auch von „Kuschelpädagogik“. Schon klar, der Lehrer ist wichtig. Aber wichtig ist, dass dieser das Lernen aus Schülerperspektive betrachtet. Wir müssen Lernen sichtbar machen. Schüler sollen lernen, ihre eigenen Lehrer zu werden.
"Noten sind nicht objektiv."
Und welche Rolle haben dann die Lehrkräfte?
Sie sind Mentoren, zeigen die Tür, durch die Schüler selbst gehen müssen. Hier ist konstruktives Feedback am wichtigsten. So wie Schule derzeit aufgebaut ist, funktioniert das aber nicht.
Letztlich sind Noten doch konstruktives Feedback, oder nicht?
Erstmal: Noten sind nicht objektiv. Dann würde es doch nicht Lehrer geben, bei denen es heißt, sie vergeben selten gute Noten. Prüfungen messen das, was Prüfungen messen können. Kannst du an einem bestimmten Tag, zu einer bestimmten Zeit, eine bestimmte Antwort abgeben, völlig egal, wie es dir geht. Doch es gibt noch ein ebenso schlimmes Problem mit Noten.
Bob Blumes neues Buch "Warum noch lernen?".Bild: mgfilms
Welches Problem denn?
Das Feedback über Noten kommt am Ende eines Unterrichtsblocks, kennzeichnet quasi den Abschluss. Hat ein Schüler etwas nicht verstanden, kann ich ihm erklären, dass er das noch aufarbeiten muss. Bringt aber nicht viel, weil die nächste Stunde bereits das nächste Thema ansteht. Die Arbeit türmt sich und liegt allein bei dem Schüler.
In dem Fall bleibt nur noch die Nachhilfe.
Die Frage ist hier doch, warum das nötig ist. Versteh mich nicht falsch, Youtuber leisten hier zum Beispiel tolle Arbeit. Aber ein System, das auf externe Hilfe ausgelegt ist, hat ein Problem. Noch was: Wenn ein Schüler an einem Thema verzweifelt, kann der Nachhilfelehrer es ihm vielleicht beibringen. Mögen wird er das Thema aber im Anschluss nicht. Nein, die Hilfestellung muss es schon in der Schule geben.
"Ab einem gewissen Punkt brichst du zusammen."
Feedback wäre doch auch über die Hausaufgaben-Abfrage drin.
Naja, bei den Hausaufgaben geht das nur bei einer Handvoll Menschen, wir müssen schließlich durch den Unterrichtsblock kommen. Und zum Beispiel schriftliche Arbeiten einsammeln und unbenotet korrigieren, ist quasi nicht möglich.
Warum?
Es wird schlicht zu viel. Lehrkräfte, zum Beispiel in Deutsch und Englisch, werden mit Klassenarbeiten zugepflastert. Wenn ich in fünf Klassen á 25 Schülerinnen und Schülern unterrichte, korrigiere ich auch 125 Klassenarbeiten. Ab einem gewissen Punkt brichst du zusammen.
Mündliche Noten schaffen doch auch Raum für mehr Feedback.
Und was ist mit den Schülern, die zurückhaltend sind, die nicht vor vielen Menschen sprechen können? Die kommen ohnehin sehr schlecht weg. Nehme ich sie einfach dran, sind sie nicht kognitiv darauf vorbereitet, ihre Antwort wird entsprechend nicht zufriedenstellend. Und diese Schüler bekommen dann auch noch eine sechs, was ja innerhalb des Systems korrekt wäre. Das ist doch bescheuert!
Lassen sich deine Reformen überhaupt im verkrusteten Schulsystem umsetzen?
Mit meinem Buch will ich einen Anstoß geben, um diese Strukturen aufzubrechen. Es gibt auch junge Lehrkräfte, die umdenken wollen, die eben das umsetzen wollen, was ich hier anstoße. Es ist ein Prozess, ein langatmiger. Doch am Ende profitieren Schülerinnen und Schüler wie auch Lehrkräfte. Wichtig: Kritik nach oben braucht es trotzdem. Auch auf politischer Ebene braucht es weiterhin mehr Bewegung. Vor allem sind die deutschen Schulen auf mehr finanzielle Mittel angewiesen.
Zum Schluss: Gibt es Klassenzimmer-Momente, die dir Mut gemacht haben?
Dutzende. Ganz aktuell ist eine aus einer siebten Klasse. Wir haben das Buch „Nenn mich nicht Ismail“ thematisiert, bei dem es um einen Außenseiter auf dem Weg zu sich selbst geht. Statt einer Klassenarbeit habe ich die Schüler ein Kreativprojekt machen lassen. Der Punkt war, nicht das Projekt einfach zu machen, sondern zu reflektieren, was sie warum machen.
In dem Fall kann ChatGPT nicht die ganze Arbeit abnehmen.
Genau, und die Ergebnisse waren unfassbar. Es gab einen Podcast der Hauptfiguren, es gab einen Instagram-Channel für eine Figur. Doppelt irre fand ich aber, dass drei Schüler eine Minecraft-Welt auf der Grundlage der, in dem Buch beschrieben, Kulissen gebaut haben. Das war abgefahren.