
Hamo stammt aus Syrien, lebt aber schon seit zehn Jahren in Deutschland.Bild: Rebecca Diefenthal
Die Stimme
Die LGBTQIA+Community hat in den vergangenen Jahren viele Fortschritte erzielt, der Weg zu vollständiger Gleichstellung und Anerkennung ist aber lang. Das weiß auch Hamo. Seine Familie akzeptiert bis heute nicht, dass er schwul ist.
15.07.2025, 08:0715.07.2025, 08:07
Als Hamo Othman vor ein paar Wochen ein knapp drei-minütiges Video auf Tiktok hochlädt, ist das nicht von langer Hand geplant. Es ist vielmehr eine spontane Entscheidung. Hamo ist in dem Moment sehr aufgewühlt, denn kurz zuvor hat ihn seine älteste Schwester aus Syrien angerufen.
Sie hat Bilder von ihm gesehen, wie er sich schminkt, weiß, dass ihr Bruder schwul ist. Trotzdem fragt sie Hamo, wann er wieder "normal" wird und ob er es nicht doch mit einer Frau probieren will. Seine Familie liebt ihn, aber seine Homosexualität akzeptieren sie nicht.
"Ich habe einfach das Bedürfnis ermutigende Nachrichten zu bekommen, die mir sagen, du bist richtig, so wie du bist", erklärt der 26-Jährige im Video und ist den Tränen nahe.
Und tatsächlich melden sich hunderte Menschen, die Hamo unter seinem Tiktok-Clip Mut zusprechen. Daraufhin fühlt sich Hamo, dessen kurdische Familie aus dem Norden Syriens stammt, bestärkt, weitere Videos aufzunehmen. Nun will er etwas zurückgeben und anderen Menschen Mut machen. Deshalb teilt er bei watson seine Geschichte.
Queere Menschen sind in Syrien kaum sichtbar
Ich wusste schon immer, dass ich anders bin, aber ich hatte lange Zeit keine Worte dafür. In Syrien ist Homosexualität ein Tabu-Thema, darüber wird nicht gesprochen. Teilweise wissen die Leute gar nicht, dass so etwas existiert oder es wird mit Krankheit in Verbindung gebracht.
Im Kurdischen fällt mir gar kein neutrales Wort für "schwul" ein. Dafür gibt es eigentlich nur Begriffe, die man als Beleidigung benutzt. Diese Homophobie habe ich als Jugendlicher verinnerlicht. Das hat sich erst geändert, als ich vor zehn Jahren nach Deutschland geflüchtet bin.
Hier bin ich zuerst in einer Wohngruppe für Jugendliche untergekommen und habe dann mein Fachabi gemacht. Während meiner Schulzeit in Deutschland hatte ich zum ersten Mal einen Crush auf einen Mitschüler. Am Anfang war mir gar nicht klar, warum ich so oft an ihn denke. Irgendwann habe ich mir aber eingestanden, dass ich homosexuell bin und angefangen zu recherchieren.
"Mein Vater weiß es bis heute nicht. Ich habe sehr Angst davor, wie er reagiert."
Ich wollte wissen, was der Islam dazu sagt, ob es eine Krankheit ist und ob man sie heilen kann. Nachdem ich verstanden habe, dass ich nicht krank bin, konnte ich mich zwei Freunden anvertrauen, die mein Coming-out gut aufgenommen haben. Bei meiner Familie war das leider nicht der Fall.
In der Familie fehlt das Verständnis für Homosexualität
Als Erstes hat eine meiner Schwestern erfahren, dass ich schwul bin. Vor ein paar Jahren hat sie eines Abends ein Kondom in meinem Geldbeutel gefunden und mich zur Rede gestellt. Sie wollte erst wissen, ob ich eine Freundin habe oder mit Frauen schlafe. Als ich das verneint habe, hat sich ihr Gesichtsausdruck verändert und sie hat mich gefragt, ob ich mit Männern schlafe.
Wahrscheinlich hat sie es schon geahnt und da ich nicht lügen wollte, habe ich ihr eine ehrliche Antwort gegeben. Damit konnte sie aber nicht umgehen.
Sie ist total ausgerastet, hat angefangen zu weinen und mir Vorwürfe gemacht, wie ich so etwas tun kann und warum ich nicht an meine Familie denke. In dem Moment habe ich einfach nur Ablehnung gespürt und das tat weh. Ich denke, sie hat so negativ reagiert, weil sie nichts über Homosexualität wusste.

Hamo hat nach seinem Schulabschluss eine Ausbildung zum Bauzeichner absolviert.Bild: Rebecca Diefenthal
Wahrscheinlich hat sie deshalb auch impulsiv reagiert und mich bei meinen Geschwistern geoutet. Meiner Mutter hat es auch von ihr erfahren, aber mein Vater weiß es bis heute nicht. Ich habe sehr Angst davor, wie er reagiert.
Es ist nicht einfach, aber ich weiß: Meine Familie liebt mich und sie würde mich nie verstoßen. Meine jüngste Schwester steht voll hinter mir und mein Bruder versteht es zwar nicht richtig, aber sagt meinen Schwestern, dass sie mich mein Leben leben lassen sollen.
Meine andere Schwester hat sich nach ihrem Ausraster über Homosexualität informiert und im Internet gelesen, dass es nichts Unnatürliches ist und es viele homosexuelle Promis und Politiker gibt. Aber ganz akzeptiert hat es meine Familie immer noch nicht.
"Sie müssen verstehen, dass wir queer sind, aber das nicht das Einzige ist, was uns ausmacht."
Das habe ich dann auch vor ein paar Wochen wieder gemerkt, als ich den Anruf meiner ältesten Schwester aus Syrien bekommen habe. Irgendjemand hatte ihr Bilder von meinem Tiktok-Account weitergeleitet, auf denen ich geschminkt war. Eigentlich habe ich all meine Familienmitglieder auf Tiktok geblockt, damit ich ein bisschen Freiheit habe und mein "Doppelleben" führen kann. Aber irgendjemand hat es trotzdem gesehen.
Mir hat es echt Spaß gemacht mich zu schminken und die Leute auf Tiktok haben es gefeiert. Aber meine Schwester hat mich gefragt, ob ich eine Frau bin. Sie hoffe, dass das nur eine Phase sei und ich bald wieder "normal" werde. Darüber bin ich richtig emotional geworden und musste am Ende viel weinen. Erst als ich mich etwas beruhigt hatte, habe ich mich entschieden, im Auto spontan ein Video aufzunehmen.
Ich habe es dann auf Tiktok hochgeladen, weil ich einerseits andere Menschen ermutigen wollte, über das Thema zu sprechen. Andererseits habe ich aber gemerkt, dass ich in dem Moment vor allem selbst Leute brauche, die mir Mut zusprechen.
Am Ende haben es echt viele gesehen und ich habe den ganzen Abend Kommentare gelesen. Da waren auch viele andere kurdische queere Menschen dabei, die in einer ähnlichen Situation wie ich sind. Dadurch habe ich gemerkt, dass ich mit meiner Erfahrung nicht allein bin.
Mir hat beispielsweise auch eine kurdische Mama geschrieben, dass sie mein Video gesehen hat und an ihren Sohn denken musste. Der würde sich auch gerne schminken und sei sich noch nicht ganz sicher wegen seiner sexuellen Orientierung. Sie meinte, sie will ihm immer das Gefühl geben, dass nichts an ihm falsch ist. Das war echt schön zu lesen, aber gleichzeitig musste ich wie ein Wasserfall weinen, weil ich mir genau den Zuspruch auch von meiner Familie gewünscht hätte.
Hamo will mehr über die LGBTQIA+-Community aufklären
Mittlerweile achte ich besser auf meine mentale Gesundheit. Zu meiner Cousine habe ich vor eineinhalb Jahren den Kontakt abgebrochen, weil sie immer wieder gesagt hat, dass ich eines Tages "normal" werde und mich in eine Frau verlieben werde, obwohl sie wusste, dass ich schwul bin.
Das Problem ist, dass meine Familie immer noch zu wenig über Homosexualität weiß. Ich würde so gerne mit ihnen darüber sprechen und sie aufklären, aber es ist und bleibt ein Tabu-Thema. Deswegen will ich in Zukunft auch Tiktok-Videos auf Kurdisch und Arabisch posten, um Leute wie meine Familie zu erreichen, die keine oder kaum Berührungspunkte mit dem Thema haben.
Sie müssen verstehen, dass wir queer sind, aber das nicht das Einzige ist, was uns ausmacht. Wir sind alle Menschen mit unterschiedlichen Geschichten, Gefühlen und Berufen. Es könnte sein, dass der Arzt, der dein Kind auf die Welt bringt, schwul ist. Nur weil wir queer sind, sind wir keine schlechten Menschen.
Deswegen ist mir der Pride Month auch sehr wichtig. Pride bedeutet für mich Protest. Ich gehe auf den CSD, um für unsere Rechte und mehr Sichtbarkeit zu protestieren. Ich will nicht nur für mich kämpfen, sondern auch für andere queere kurdische Menschen. Wir müssen uns zeigen und laut sein, sonst ändert sich nichts.
Nach meinem Outing hat mir meine Familie gesagt, ich soll meine Homosexualität nicht ausleben. Aber ich will mich nicht mein Leben lang verstecken. Durch meine Tiktok-Videos habe ich Kraft bekommen, noch mehr zu mir selbst zu stehen. Jetzt kann ich mir gar nicht vorstellen, wieder still zu sein. Schweigen ist keine Option mehr.