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CSD Berlin unter Druck: Kritik an US-Sponsoren und Julia Klöckner

BERLIN, GERMANY - 2023/07/22: People march with huge pride flag during the pride parade. Berlin Christopher Street Day (CSD Berlin) or Berlin Pride Parade is an annual demonstration in Berlin for the  ...
Im vergangenen Jahr zogen zum CSD Berlin wieder Hunderttausende Menschen durch die Hauptstadt.Bild: LightRocket / SOPA Images
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Pride Month: Steht der CSD Berlin auf der Kippe?

Sponsoren ziehen sich zurück, queere Bundestagsmitarbeitende dürfen offiziell nicht als Gruppe teilnehmen: Der Berliner CSD steht 2025 unter Druck. Im Interview erklärt CSD-Vorstand Thomas Hoffmann, wie es um die Finanzierung steht – und warum er den Rückzug mancher Unterstützer:innen und die politischen Signale aus dem Bundestag kritisch sieht.
28.06.2025, 15:1128.06.2025, 15:11
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Für den Berliner Christopher Street Day (CSD) lief es schon einmal besser. Nach dem Rückzug mehrerer Sponsoren fehlten dem Verein Ende April rund 200.000 Euro. Ein Grund dafür war, dass es sich einige Unternehmen offenbar nicht mit dem US-Präsidenten Donald Trump verscherzen wollten, der seit seinem Amtsantritt eine radikal queerfeindliche Politik vorantreibt.

Kürzlich sorgte dann noch eine Entscheidung der Bundestagsspitze für Aufsehen: Queere Mitarbeitende der Bundestagsverwaltung dürfen dieses Jahr nicht mehr als eigene Gruppe am CSD Berlin teilnehmen. Bestimmt hatte das der Direktor beim Deutschen Bundestag, der im Mai von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner ernannt worden war.

Anders als in den beiden Vorjahren dürfen die Beamt:innen am 26. Juli also nur als Privatpersonen am Demonstrationszug teilnehmen.

Was sagt der CSD Verein dazu? Kippt nun auch in Deutschland die Stimmung gegenüber der LGBTQIA+-Community? Und wie groß ist das Finanzproblem aktuell noch? Über diese Fragen hat watson mit Thomas Hoffmann gesprochen. Er ist Vorstandsmitglied des Berliner CSD Vereins.

Watson: Wie groß ist die Finanzierungslücke des CSD Berlin aktuell?

Thomas Hoffmann: Ich kann keine konkrete Zahl nennen, aber nach unserem öffentlichen Spendenaufruf haben wir eine große Welle der Solidarität erfahren. Uns haben seitdem sowohl Spenden von Einzelpersonen als auch von Kleinunternehmen erreicht, es haben sich aber auch größere Partnerschaften ergeben. Zumindest dieses Jahr stehen wir finanziell also auf soliden Beinen.

Zuvor habt ihr aber schon den Rotstift angesetzt und einiges eingekürzt.

Das stimmt. Wir planen den CSD sehr weit im Voraus, manche Entscheidungen müssen schon im November oder Dezember des Vorjahres getroffen werden. Zu dem Zeitpunkt war Trump letztes Jahr schon zum US-Präsidenten gewählt worden. Da haben wir bereits geahnt, dass uns einige Sponsoren aus den USA abspringen könnten und vor allem bei der Technik rund 100.000 Euro eingespart. Das betrifft zum Beispiel den Backstage-Bereich der Bühne.

Das heißt, die Sponsoren-Absagen kamen für euch dieses Jahr nicht überraschend?

Wir haben uns das ehrlich gesagt nicht so schwer vorgestellt. Den Rückzug der US-Sponsoren konnte man ahnen, aber auch deutsche Unternehmen sind vorsichtiger geworden. Bei der letzten Bundestagswahl haben wir einen deutlichen Rechtsruck erlebt. Davon lassen sich natürlich auch Unternehmen beeinflussen. Für uns zeigt sich jetzt, wer uns nur aus Marketing-Gründen unterstützt hat und wer wirklich hinter uns steht.

Welche Sponsoren haben sich denn konkret zurückgezogen?

Das ist schwer zu sagen. Wir haben nur ganz wenige Unternehmen, mit denen wir langjährige Verträge haben. In der Regel wechseln unsere Sponsor:innen jedes Jahr, deswegen fände ich es unfair, ein einzelnes Unternehmen an den Pranger zu stellen, das uns dieses Jahr vielleicht nicht mehr unterstützt. Das kann auch andere Gründe haben.

Haben euch Unternehmen explizit wegen Trumps queerfeindlicher Politik abgesagt?

Öffentlich sagt das natürlich niemand, aber hinter vorgehaltener Hand haben wir das mehrfach gehört. Viele Unternehmen haben uns mitgeteilt, dass sie uns gerne unterstützen würden, aber das nicht dürfen und das ist natürlich eine bedenkliche Entwicklung.

csd berlin thomas hoffmann
Thomas Hoffmann ist Vorstandsmitglied beim Berliner CSD Verein.Bild: Berliner CSD e. V.

Inwieweit erschüttert das die weitere Zusammenarbeit? Haben sich solche Unternehmen als Allies nicht disqualifiziert?

Solche Ansagen kommen oft aus den USA oder aus der Chefetage, aber gleichzeitig gibt es in den Unternehmen queere Netzwerkgruppen, die voll hinter dem CSD stehen und für eine Unterstützung von uns kämpfen. Wir sehen den Rückzug der Sponsoren natürlich sehr kritisch, aber nur weil das die Konzernzentrale entscheidet, heißt das nicht, dass alle Mitarbeiter:innen genauso denken.

Trotzdem drängt sich da der Vorwurf des Pink-Washing auf. Habt ihr in der Vergangenheit den falschen Unternehmen eine Bühne gegeben?

Das war schon immer eine Diskussion bei uns. Generell kann aber nicht jedes x-beliebige Unternehmen beim CSD Berlin mitmachen. Wer mit einem Fahrzeug an unserer Demonstration teilnehmen will, muss beispielsweise nachweisen, dass er seit mindestens drei Jahren im Bereich Queerpolitik aktiv ist, zum Beispiel in Form einer aktiven queeren Netzwerkgruppe.

Ein anderer Kritikpunkt am CSD Berlin: Mittlerweile geht es nur noch um Party, der Gedanke einer Demonstration geht total unter.

Es ist immer die Frage, was man eigentlich will. Es gibt natürlich viel Party, aber das lockt auch viele Menschen an, die dem CSD eine gewisse Größe geben. Und genau das ist unsere Stärke. Wenn wir auf die Unterstützung von Sponsorings und Unternehmen verzichten würden und dann weder Trucks noch ein großes Bühnenprogramm hätten, kämen vielleicht noch 20.000 Leute. Damit kommen wir nicht in die Tagesschau, damit bekommen wir nicht die Aufmerksamkeit, um auch Druck in der Politik auszuüben.

Apropos Politik: Was sagt ihr zu der Entscheidung der Bundestagsspitze, dass die Mitarbeitenden der Bundestagsverwaltung dieses Jahr nicht mehr als eigene Gruppe am CSD teilnehmen dürfen?

Darüber waren wir schockiert. Der Bundestag repräsentiert Freiheit, Gleichberechtigung und selbstbestimmtes Leben für alle Menschen in Deutschland. Für genau diese Werte setzen wir uns auch ein. Warum verbietet man dann dieser queeren Gruppe, bei uns mitzulaufen?

Offiziell wird die Entscheidung mit dem Neutralitätsgebot der Behörde begründet.

Das ist aus unserer Sicht eine sehr fragwürdige Auslegung des Neutralitätsgebots, auf das sich Julia Klöckner und der Direktor der Bundestagsverwaltung berufen. Unser Verein fordert zum CSD den stärkeren Schutz für queere Menschen durch das Grundgesetz, den Erhalt unserer Community- und Beratungsstrukturen sowie mehr Engagement gegen Hasskriminalität. Reine Laufgruppen, wie sie die Bundestagsverwaltung geplant hat, sind nicht verpflichtet, diese Forderungen zu übernehmen oder öffentlich zu vertreten. Gerade deshalb sehen wir die Entscheidung sehr kritisch – und damit sind wir nicht allein.

Kritik gab es unter anderem von der SPD, den Grünen, der Linken, der Queerbeauftragten der Bundesregierung sowie dem Verdi-Chef.

Genau. Deswegen hoffen wir, dass die Entscheidung revidiert wird. Es gibt auch schon eine entsprechende Petition dazu.

Klöckner hat entschieden, zum CSD keine Regenbogenflagge mehr auf dem Bundestagsgebäude hissen zu lassen. Warum ist die Flagge für euch so wichtig?

Es hat eine enorme Strahlkraft, wenn eine der wichtigsten Institutionen Deutschlands den CSD mit einem solchen Zeichen unterstützt. Wenn ich durch Berlin gehe und die Flagge am Parlament hängen sehe, schafft das für mich ein Gefühl der Sicherheit und Akzeptanz. Es tut doch niemandem weh, für so einen wichtigen Tag, die Regenbogenflagge zu hissen. Diese Entscheidung von Julia Klöckner ist einfach kleinlich.

Kippt die Stimmung gegenüber queeren Menschen gerade in Deutschland?

Ich habe in letzter Zeit immer häufiger Leute wahrgenommen, die sich beschweren, dass die vergangenen Jahre so bunt waren und der Hype irgendwann mal wieder vorbei sein müsse. So nach dem Motto: Ihr hattet jetzt genug Aufmerksamkeit. Da muss ich mir jedes Mal an den Kopf fassen. Ich als weißer, schwuler Mann kann einigermaßen sicher in diesem Land leben. Aber trans Personen trauen sich zum Beispiel nicht, mit dem Taxi oder der U-Bahn zu fahren. Und die Hasskriminalität gegen queere Menschen nimmt nicht ab, sondern zu. Und das sollen wir akzeptieren und weniger Aufmerksamkeit bekommen? Dem will ich ganz klar widersprechen. Wir sind gekommen, um zu bleiben, und wir lassen uns nicht unterkriegen.

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Für den Berliner Christopher Street Day (CSD) lief es schon einmal besser. Nach dem Rückzug mehrerer Sponsoren fehlten dem Verein Ende April rund 200.000 Euro. Ein Grund dafür war, dass es sich einige Unternehmen offenbar nicht mit dem US-Präsidenten Donald Trump verscherzen wollten, der seit seinem Amtsantritt eine radikal queerfeindliche Politik vorantreibt.

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