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Tiktok: Gazelle und Gialu über ihr trans Coming-out und Gender-Klischees

Gazelle und Gialu erreichen auf Tiktok ein Millionenpublikum.
Gazelle und Gialu erreichen auf Tiktok ein Millionenpublikum.null / Sophia Emmerich
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Tiktok-Stars Gazelle und Gialu: "Wir wollten ein Buch für die Community schreiben"

10.02.2025, 19:39
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Wer regelmäßig auf Tiktok oder Instagram unterwegs ist, wird Gazelle und Gialu schon einmal gesehen haben. Die beiden Content Creator:innen erreichen auf Social Media ein Millionenpublikum. In ihren Videos thematisieren sie ihre Erfahrungen als trans* Personen, sprechen über Mental Health oder nehmen "typisch deutsche" Eigenschaften auf die Schippe.

Im vergangenen Jahr haben die beiden aber nicht nur an ihrer Social-Media-Präsenz gearbeitet, sondern auch gemeinsam ein Buch geschrieben, das jetzt erschienen ist. In "Never not changing" erzählt das Paar von 25 sehr persönlichen ersten Malen. Es geht zum Beispiel um das innere Coming-out, wie sie jeweils ihre Namen gefunden oder sich ineinander verliebt haben.

Gazelle und Gialu behandeln dabei auch sehr ernste Themen: Diskriminierungserfahrungen als trans* Personen, festgefahrene Rollenbilder von Mann und Frau oder schwierige Gespräche mit der Familie. Mit watson haben die beiden über einige ihrer ersten Male gesprochen und dabei auch verraten, warum sie das Buch nicht nur für ihre Community schreiben wollten.

Das erste Kapitel eures Buchs habt ihr schon Ende 2023 geschrieben, ein langer Prozess. Social Media ist dagegen viel schnelllebiger. Wie schwierig war es, das Tempo anzupassen?

Gazelle: Also ich habe das erstmal voll genossen, weil es echt peaceful war, sich einfach hinzusetzen und sich die Zeit für ein Kapitel zu nehmen. Da war es nicht so, dass ich mich selbst reden gehört habe und versuchen musste, ein Thema auf 30 Sekunden herunterzubrechen. Aber ich fand es gleichzeitig auch herausfordernd, den Kapiteln Länge zu geben.

Gab es gleichzeitig etwas, was ihr aus eurer Social-Media-Arbeit in den Schreibprozess einbringen konntet?

Gialu: Dadurch, dass alle Kapitel auf unseren persönlichen Erfahrungen basieren, konnten wir sehr gut abwägen, was uns wichtig ist, aber eben auch, was unsere Community interessiert. Von daher war es hilfreich, mit Themen wie Transidentität oder Mental Health so lange in der Öffentlichkeit zu stehen.

Gazelle, im Buch beschreibst du, wie das erste Aufeinandertreffen mit Gialu anfangs gemischte Gefühle bei dir ausgelöst hat. Was ging dir damals durch den Kopf?

Gazelle: Ich war immer sicher, dass ich auf Männer stehe, also cis Männer. Und dann habe ich Gialu getroffen, eine nicht-binäre Person, und hab auf einmal Gefühle entwickelt. 'Das kann doch gar nicht sein', dachte ich dann. Seit ich 16 bin, habe ich mich immer mit einem cis Mann gesehen. Das dann alles in seinen Dreißigern nochmal zu hinterfragen und zu überlegen, was finde ich an einem Menschen eigentlich attraktiv, war natürlich ein Prozess. Am Ende habe ich aber erkannt, dass es mir egal ist, welches Gender die andere Person hat, es geht mir viel mehr um Energien und Gefühle.

Im Buch teilt ihr sehr intime Momente aus eurer Beziehung, zum Beispiel, als du dich zum ersten Mal rasiert hast, Gialu. Inwiefern war das ein besonderer Moment für dich?

Gialu: Das war auf mehreren Ebenen ein besonderer Moment. Zum einen hatte ich diese Gender Euphoria, weil ich zum ersten Mal das Gefühl hatte, dass ich mich auch ohne Bart wohl fühlen werde. Zum anderen war da auch der innere Wunsch, dass mir mein Vater oder jemand anderes aus meiner Familie schon mit 15 oder 16 hätte zeigen können, wie man sich richtig rasiert. Während meiner Transition habe ich bemerkt, dass es wahrscheinlich immer wieder erste Mal geben wird, die ich alleine machen muss.

Dann hast du aber Gazelle kennengelernt.

Gialu: Genau, und sie hatte ja mal einen Bart und weiß, wie man sich rasiert. Jetzt hat sie keinen mehr, aber in dem Moment konnte sie es mir zeigen und ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich das mal erleben werde. Das war echt ein sehr schöner Moment, für den ich sehr dankbar bin.

Du schreibst auch darüber, dass beispielsweise lange Haare und rasierte Beine immer noch Frauen zugeschrieben werden. Solche Geschlechterklischees sind euch auch in einer anderen Situation aufgefallen.

Gazelle: Das stimmt. Ich komme aus einer Handwerkerfamilie. Mein Vater ist Dachdecker, der kann wirklich alles, also Räume renovieren, Dächer decken und so weiter. Nichts davon hat mich je interessiert. Mit 30 bin ich dann aber in eine neue Wohnung gezogen und hab ihm gesagt: 'Papa, ich glaube, es wird Zeit, dass ich dübeln lerne'. Und dann hat mir mein Vater das beigebracht. Bis dahin war das für mich immer etwas super Maskulines.

Wieso das?

Gazelle: Seit ich denken kann, hat immer mein Papa gebohrt und meine Mama hat den Staubsauger darunter gehalten. Und da habe ich mich immer in der Rolle meiner Mutter gesehen – bis ich mit Gialu zusammengezogen bin. Da war ich dann auf einmal die Person mit der Bohrmaschine in der Hand.

Gialu: Mir war das voll peinlich, als mich Gazelle gefragt hat, ob ich nicht auch mal bohren will. Weil ich das als Mädchen einfach nie lernen musste. Und mein Vater war auch nicht handwerklich begabt. In der Situation mit Gazelle hatte ich aber die Erwartung an mich selbst, dass ich das nicht nur können, sondern auch mögen muss, einfach weil ich maskuliner bin.

Du hattest also die typischen Rollenbilder von Mann und Frau im Kopf.

Gialu: Ja, aber dann kam mir auch der Gedanke: 'Es geht doch gerade nur darum ein Loch mit einer Bohrmaschine zu bohren, warum überdenke ich gerade mein ganzes Leben?'. Eigentlich lächerlich, aber das hat mir eben gezeigt, wie heftig diese Gender-Stereotype noch in meinem Kopf verankert sind. Mit Gazelle hatte ich dann einen Safer Space, die Scham zuzugeben und das mit der Bohrmaschine einfach auszuprobieren, ganz unabhängig vom Geschlecht. Und am Ende hat es mir sogar wirklich Spaß gemacht.

Im Verlauf des Buchs gibt es viele solcher Momente, in denen ihr versucht herauszufinden, was eigentlich Teil eurer Identität ist und was nur Erwartungen sind, die man versucht zu erfüllen.

Gazelle: Ja, das ist auf jeden Fall ein Prozess. Durch diese ersten Male sind wir uns selbst ein bisschen näher gekommen.

Und das ist ja eigentlich etwas, was wir alle durchmachen, egal ob trans oder cis.

Gialu: Einhundert Prozent!

"Für uns ist es in erster Linie ein Buch über Selbstfindung und Selbstliebe."

Zwischen den Kapiteln beantwortet ihr immer wieder Fragen aus eurer Community. Wie wichtig war es euch, eure Follower:innen mit ins Buch einzubeziehen?

Gazelle: Wir wollten auf jeden Fall ein Buch für die Community schreiben. Also unser Ziel ist es, Menschen zu erreichen, die sich vielleicht ähnlich fühlen, und beim Lesen merken, du bist so ok, wie du bist, mit oder ohne Coming Out, ganz egal wo du auf deiner Journey bist. Zum anderen haben wir aber auch bewusst eine einfachere Sprache gewählt, damit das möglichst viele Menschen lesen können, also zum Beispiel auch unsere Oma oder Mutter.

Ihr wollt also auch über das Thema trans* aufklären?

Gazelle: Ja, wir dachten, dass es ganz schön für das Buch ist, einige Dinge zu erklären. Da haben wir uns vor allem an den Fragen orientiert, die uns regelmäßig auf Social Media erreichen.

Gialu: Wir haben uns aber bewusst entschieden, kein klassisches Fachbuch zu schreiben, weil es davon echt schon viele gibt. Wir wollten eher Anekdoten aus unserem Leben teilen, die manche Menschen vielleicht inspirieren können. Für uns ist es in erster Linie ein Buch über Selbstfindung und Selbstliebe.

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