Donald Trump als US-Präsident vereidigt, Elon Musk irritiert mit "Hitlergruß"-Geste und AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel bezeichnet Hitler als "Kommunisten" – die ersten Wochen des neuen Jahres waren politisch gesehen ziemlich turbulent. Viel ruhiger wird es hierzulande wohl erstmal nicht werden.
Der Wahlkampf läuft heiß, am 23. Februar wird ein neuer Bundestag gewählt. Aktuell kann sich die Union die größten Hoffnungen auf den Wahlsieg machen; zumindest in einigen östlichen Bundesländern könnte aber eine andere Partei die meisten Stimmen holen: die AfD.
Genau das ist der in Teilen rechtsextremen Partei schon im vergangenen Jahr bei der Landtagswahl in Thüringen gelungen. Manche behaupten deshalb, dass in Deutschland – vor allem im Osten – die Stimmung bereits gekippt ist und der Rechtsruck weiter voranschreitet. Und wenn man mit jungen Menschen spricht, die als Teil einer Minderheit immer wieder von der AfD attackiert werden, scheint das gar nicht so weit hergeholt.
"Es gibt schon große Sorgen in den Communitys und auch bei mir selbst, dass sich die Lage immer noch verschlimmert", sagt Omar Alkadamani im Gespräch mit watson. Er ist im Alter von zwölf Jahren mit seiner Familie von Syrien nach Deutschland geflüchtet, hat mittlerweile in Leipzig Fuß gefasst und engagiert sich politisch in der SPD.
Die aktuellen Entwicklungen sieht er kritisch: "Man redet ja bei den 90er-Jahren von den Baseballschlägerjahren. Das war auf jeden Fall schlimmer als heute, allein die Verfolgung auf der Straße. Aber ich glaube, wir bewegen uns gerade zurück in diese Zeit."
Als "Baseballschlägerjahre" wird ein Zeitraum Anfang der 1990er-Jahre bezeichnet, in denen es vermehrt Fälle rechtsextremer Gewalt gab – vor allem, aber nicht nur in Ostdeutschland. Rechte Schlägertrupps griffen Menschen mit Einwanderungsgeschichte teils auf offener Straße an.
Im kollektiven Gedächtnis finden sich vor allem die rassistischen Brandanschläge in Rostock-Lichtenhagen und Solingen. Ziel der gewaltsamen Attacken waren stets Menschen nicht-deutscher Herkunft; in Solingen wurden letztlich fünf Frauen und Mädchen türkischer Abstammung getötet.
Solch ein erschreckendes Ausmaß rassistischer Gewalt mögen manche für nicht mehr möglich halten. Ein Blick auf aktuelle Daten verrät aber: Die Zahl rechtsextremer Straftaten in Deutschland hat im vergangenen Jahr einen neuen Höchststand erreicht. Allein bis zum 30. November 2024 zählte die Polizei 33.963 Delikte im Bereich "politisch motivierte Kriminalität – rechts". Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Anstieg um mindestens 17 Prozent; die Nachmeldungen aus dem Dezember stehen noch aus.
Diese Zunahme rechtsextremer Straftaten bekommt auch die queere Community in Ostdeutschland zu spüren. "Gerade vor drei Tagen wurde unser Eingangsschild gestohlen, das in den letzten Monaten immer wieder mit Hakenkreuzen und rechtsextremen Parolen beschmiert oder bestickert wurde", erklärt Nils Berghof gegenüber watson.
Er lebt in Neubrandenburg, der drittgrößten Stadt Mecklenburg-Vorpommerns, und engagiert sich im lokalen Verein queerNB. "Ich finde es ziemlich besorgniserregend zu sehen, wie weit diese Art des Menschenhasses mittlerweile geht", kommentiert er die Vorfälle.
Anfang Dezember vergangenen Jahres wurden die Fenster des Vereinshauses mit Steinen eingeworfen. Bundesweit in die Schlagzeilen geriet Neubrandenburg aber wegen eines anderen Vorfalls.
Im Oktober 2024 beschloss die Stadtvertretung nämlich auf Initiative eines Rechtsaußen-Politikers und mit Stimmen von AfD und BSW, dass vor dem Bahnhofsgebäude keine Regenbogenflagge mehr gehisst werden darf. Offiziell begründet wurde der Beschluss damit, dass Unbekannte die Regenbogenflagge immer wieder durch andere Flaggen mit nationalsozialistischer Symbolik ersetzt hätten. Das stimmt zwar, allerdings sei der rechte Antragsteller für seine queerfeindlichen Ansichten bekannt, berichtet Nils Berghof gegenüber watson.
Der Beschluss zog massive Kritik aus ganz Deutschland auf sich. Zur von queerNB organisierten Protestaktion seien weit über 1000 Menschen gekommen, betont der junge Aktivist. Das seien mehr Teilnehmende als beim jährlichen CSD gewesen.
Die Solidarität mit der queeren Community war also groß. "Überall in der Stadt haben Menschen Regenbogenflaggen aus ihren Fenstern gehangen und in diesen Tagen bin ich noch nie selbstbewusster durch die Straßen gelaufen", erinnert sich Berghof. Mittlerweile hat sich die Stadtvertretung wieder zur Regenbogenflagge bekannt. Trotzdem haben die Vorfälle etwas an seinem generellen Sicherheitsgefühl verändert:
Ähnlich geht es Omar Alkadamani: "Ich gehe nicht mehr mit dem Selbstverständnis vor die Tür, dass ich gern gesehen werde oder dass ich mich nur anständig anstellen muss und dann geht es mir gut." Er achte mittlerweile darauf, wo er unterwegs sei und wo er mit seiner Familie gesehen werde. "Darüber mache ich mir sehr viele Gedanken."
Es ist kein Geheimnis, dass Politiker:innen der AfD sich immer wieder rassistisch und queerfeindlich äußern. Gerade in den östlichen Bundesländern bekommen sie trotzdem (oder gerade deswegen) viel Zuspruch – auch unter jungen Menschen. Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen war die AfD beispielsweise unter den 18- bis 24-Jährigen stärkste Kraft.
Bei Berghof stößt das auf Unverständnis. "Die haben doch alle den gleichen Geschichtsunterricht wie ich gehabt, die waren auf Gedenkfahrten, Stolpersteinverlegungen. Warum bin ich so und die anderen so?", sagt er über ehemalige Klassenkameraden mit zunehmend rechter Gesinnung.
Alkadamani befürchtet, dass rechtsextreme Gedanken vor allem in ländlichen Gebieten immer mehr Anklang finden, wo es nur wenige Begegnungsorte gebe. "Meistens ist es ein Dorfzentrum oder eine Dorfkneipe, wo sich alle versammeln. Und wenn dort rechtsextreme Gedanken offen geteilt werden, trauen sich Menschen mit Migrationsgeschichte nicht mehr dorthin zu gehen."
Und wenn es dort keinen Austausch mehr zwischen den beiden Gruppen gebe, verfange auch die "Anti-Migrationspropaganda". Deswegen wünscht sich Alkadamani eigentlich, dass mehr Menschen aus Einwandererfamilien nach Ostdeutschland kommen würden.
Er selbst hat jedenfalls nicht vor, aus Leipzig wegzuziehen. "Natürlich wägt man alle Optionen ab, aber ich habe mich noch nicht aktiv damit beschäftigt, auszuwandern. Das kommt für mich auch nicht infrage, weil ich den Rechten nicht den Raum überlassen will", meint er.
Berghof hingegen wird Neubrandenburg bald verlassen, aber nicht aus Angst, wie er betont, sondern weil er schon länger mal Großstadtluft schnuppern wollte.
Auf die bevorstehende Bundestagswahl blicken beide mit Sorge. Am Ende könnte die AfD in den östlichen Bundesländern wieder viele Stimmen gewinnen. Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt ist es aber sehr wahrscheinlich, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland – auch im Osten – eine andere Partei wählen wird.
Das führt sich Nils Berghof auch morgens vor Augen, wenn er durch die Innenstadt von Neubrandenburg zur Arbeit läuft und die Regenbogenflaggen an zahlreichen Häusern sieht: "Die Rechtsextremen sind nicht in der Mehrzahl, die können einfach nur am lautesten schreien. Die Mehrheit unserer Gesellschaft ist demokratisch. Das gibt mir Hoffnung."