Die gute Nachricht vorneweg: Den kürzesten Tag des Winters haben wir schon hinter uns, der war am 21. Dezember. Jetzt werden die Tage zwar viel länger und damit heller – doch bis man das merkt, dauert es noch. Im Januar und Februar ist die Stimmung meist besonders schlecht, denn der Sommer ist lange her und nicht mal mehr die Aussicht auf Weihnachten muntert auf.
Warum so viele Menschen unter Winterblues leiden und wie er sich von einer Winterdepression unterscheidet, erklärt Martina Leisten. Sie ist Autorin, Podcasterin von "Mutig, Mutig! Dein Empowerment-Podcast" und Systemischer Coach. Sie gibt Tipps gegen winterliche Müdigkeit.
Watson: Wie sind Sie Expertin für Winterblues geworden?
Martina Leisten: Über meine Klienten. Ich hatte mir Gedanken gemacht für meinen Podcast, welches Thema vielleicht auch viele andere Menschen interessiert. Als dann mehrfach Klienten ankamen und sagten: "Ach Gott, frag nicht, wie's mir im Januar geht", horchte ich auf. Ein Klient erzählte mir, er wolle sein Lebensmodell darauf auslegen, im Winter nicht in Deutschland zu sein. Da hab ich gedacht: Es wird es Zeit, darüber mal zu sprechen.
Was sind die Symptome eines Winterblues?
Da ist eine generelle Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit oder Lustlosigkeit, von der viele berichten. Oder dass man sich in Grübelspiralen dreht, einfach keine Lust hat rauszugehen, sich über das Wetter aufregt und sich so richtiggehend einigelt. Die Zeit des Rückzugs im Winter ist ja eigentlich ganz gut dafür. Aber das ist die Kehrseite der Medaille: Man macht es sich ja nicht gemütlich, lässt sich ein schönes Bad ein und sagt: "Ach, schön, dass es hier drinnen so warm ist und draußen kalt. Ich genieße den Unterschied." Sondern eher: "Ich habe keine Lust, aufzustehen."
In welcher Zeit schlägt der Winterblues am ehesten zu?
Man denkt ja häufig, dass es so im November oder Dezember losgeht und dass es die einsamen Menschen trifft, vor allem über die Weihnachtsfeiertage oder zwischen den Jahren. Aber interessanterweise berichten viele, dass diese Phase eher im Januar beginnt. Klassischerweise kommt der Winterblues im Januar, Februar, wenn es auf den Frühling zugeht und die letzten Kraftreserven aufgebraucht werden.
Warum genau dann?
Weil das so der Endspurt ist vor dem Frühling. Und da braucht es die letzten Kraftreserven. Es ist natürlich schön, wenn jetzt wie heute mal die Sonne scheint. Aber wir haben auch die vielen Tage, wo es grau und regnerisch ist. Da hilft es dann zum Beispiel, sich mit Aktivitäten raus zu manövrieren. Oder positive Gedanken: Mir hilft zum Beispiel immer, dass ich weiß, die Tage werden wieder länger. Ab Mitte Februar ist es bis sechs Uhr hell – bald ist es geschafft. Es ist gut, sich Etappenziele zu setzen.
Hat der Zeitpunkt auch etwas damit zu tun, dass man ab Januar nichts mehr hat, worauf man sich freuen kann, wie Weihnachten oder Silvester?
Absolut. Gerade vor Weihnachten haben die wenigsten das Problem, weil sie zu wenig Zeit zum Nachdenken haben. Das Jahr ist irgendwie durch, es sind Weihnachtsfeiern und alles ist schön geschmückt. Danach fällt man in ein Loch und der Alltag kommt wieder. Dazu kommt noch dieses: "Neues Jahr, jetzt geht's los." Jetzt am besten noch ein paar Neujahrsvorsätze, die mich stressen: Ich will noch abnehmen, ich will noch aufhören zu rauchen. Das kann in Kombination auch dazu führen, dass man sagt: Mist, jetzt merke ich, dass es mir nicht gut geht.
Gibt es bestimmte Typen von Menschen, die eher anfälliger sind für Winterblues?
Das hat etwas mit der inneren Grundhaltung zu tun. Graut es mir schon vor dem Winter, fühle ich mich eingeschränkt dadurch? Das hat auf jeden Fall etwas mit schon vorhandenen Glaubensmustern zu tun. Manch einem macht das nicht so viel aus. Aber es liegt natürlich auch an Umständen. Habe ich zum Beispiel schöne Sachen geplant, bleibe ich aktiv und bewege mich, gehe ich raus? Das hilft.
Sind Menschen in Bergregionen, wo man zum Beispiel Wintersport machen kann, weniger anfällig für den Winterblues?
Absolut. In Deutschland unterscheidet sich das ja wirklich sehr. Es gibt Regionen, die zwar kalt sind, aber die Sonne scheint mehr als in Hamburg oder Berlin. Da ist die Frage: Was kann ich tun? Zum Beispiel Wohlfühlmomente schaffen, das annehmen und nicht sagen: Winter ist kacke, jetzt muss ich da irgendwie durch. Mit so einer Grundeinstellung kommt man nicht gut durch den Winter, sondern man muss auch das Gute sehen und diese Zeit nutzen.
Was kann man in der Stadt schöne Momente schaffen?
In einer Stadt könnte man stattdessen eine schöne Fotoausstellung besuchen, ins Museum, die Sauna oder eine Therme gehen. Oder sich eben zu Hause ein schönes Bad einlassen, das wäre das Einfachste. Es muss ja nicht immer alles mit Geld verbunden sein. Einfach gucken: Welche Möglichkeiten habe ich? Da gilt es wirklich mehr, das zu sehen, was da ist. Wichtig ist auch Dankbarkeit: Im Winter kann ich beispielsweise froh sein, dass ich an den Abenden mal in Ruhe den Podcast hören oder ein Buch lesen kann.
Also sollte man aktiv sein Leben schön gestalten, statt zu jammern.
Man könnte sich auch fragen, wenn man schon so ein bisschen negativ veranlagt ist: Was ist das Gute im Schlechten? Was ist das Gute daran, dass es jetzt hier so ein ekliges Wetter ist und ich zu Hause sitzen muss? Und nicht: Warum werde ich beschränkt? Warum-Fragen, die in Grübelspiralen führen, bringen einen nicht so weit.
Was hältst du von klassischen Winter-Tipps gegen Müdigkeit wie Vitamin B oder Tageslichtlampen?
Ich arbeite mit meinen Klienten immer auf beiden Ebenen, körperlich und psychisch. Denn in einem gesunden Körper ist auch ein gesunder Geist und umgekehrt. Wenn ich voll gestopft auf der Couch liege, Bauchschmerzen habe und mich nicht wohlfühle in meiner Haut, weiß ich nicht, ob die Gedanken so gut positiv fliegen können. Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Das ist jetzt alles nichts Neues, aber das muss man sich auch immer mal wieder vor Augen führen. Sonst schlittert man da so rein. Dann muss man auch mal die Notbremse ziehen und sagen: Stopp! Ich habe mich seit Wochen nicht mehr mit einer Freundin verabredet, ich sitze nur zu Hause herum und glotz' in den Fernseher. Da kann ich mich fragen: Wie kann ich das ändern? Welche Einstellung bräuchte es, um das zu ändern? Wo sind meine Stellschrauben?
Wie unterscheidet sich eigentlich Winterblues von einer Winterdepression?
Der Winterblues wird klassischerweise als eine kurze Phase, die meistens um den Jahreswechsel stattfindet, gesehen. Man reflektiert schöne Momente des Sommers in gewisser Melancholie. Eine Winterdepression ist eine andere Form der Depression, die aber etwas kürzer ist. Wenn man merkt, dass man so antriebslos ist, dass man fast gar nicht mehr aus dem Bett kommt und nur gegen die Decke starrt, dann ist es schon nicht mehr der Winterblues. Da sollte man ärztliche Hilfe aufsuchen. Davon sind aber nicht so viele betroffen. Meist verschwindet der Winterblues auch wieder im Frühling, wenn die Knospen sprießen. Für viele ist es dann abgehakt. Aber einige meiner Klienten haben richtig Angst vor dem Winter. Das ist dann etwas anderes.