Eine Impfung gegen Krebs? Wie cool wäre das denn?! Das Verrückte ist, eine gibt es im Prinzip schon. Wir nutzen sie in Deutschland nur viel zu selten.
Die Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV) wird durch die STIKO für Jungs und Mädchen ab dem Alter von neun Jahren empfohlen, also bevor sie sexuell aktiv werden. Dennoch ist – vor allem in Deutschland – nur ein Bruchteil der Menschen gegen das Virus geimpft, das im schlimmsten Fall ernsthafte Krebsformen an der Gebärmutter, Vulva, Penis und am Anus hervorrufen kann.
Die meisten Menschen haben keine Ahnung, dass 35 Prozent aller Frauen zwischen 20- und 25 Jahren in Deutschland bereits mit einem Hochrisiko-HPV-Typ infiziert sind. Sie wissen nicht, dass neun von zehn Menschen sich in Deutschland im Laufe ihres Lebens mit dem Virus infizieren und es durchaus auch Jungs und Männer trifft, die ebenso schwer erkranken können wie Frauen.
Während andere Industrieländer wie Schweden, Portugal, Norwegen und Australien auf Impfquoten von 80 bis über 90 Prozent kommen, lag Deutschland 2020 bei den 15-jährigen Mädchen lediglich bei 51 Prozent für eine vollständige Impfung, die Impfquoten bei den Jungen im selben Alter lagen sogar nur bei 17 Prozent.
Warum sind wir in Deutschland so mies über diese Geschlechtskrankheit aufgeklärt? Zum World Awarness Day der Krankheit will sich die Kampagne "Entschieden. Gegen Krebs" genau diesem Thema widmen und über die Fakten aufklären (aktuelle Zahlen hier).
Wir sprachen darüber mit der Schauspielerin Enissa Amani, die als eine der Botschafterinnen für die aktuelle Kampagne fungiert und mit Dr. Julia Löffler, Molekularmedizinerin an der Berliner Charité.
Watson: Wann und wie hast du das erste Mal bewusst von HPV gehört, Enissa?
Enissa Amani: Ich habe zum ersten Mal von einer Freundin von HPV gehört. Aber so richtig aufgeklärt wurde ich erst im Zuge der Kampagne für "Entschieden. Gegen Krebs". Es war beispielsweise ein großer Schock für mich, als ich hörte, dass etwa neun von zehn Menschen sich im Laufe ihres Lebens mit HPV infizieren. Eine Zahl, die ich niemals erraten hätte! Ich wusste auch nicht, dass das Männer auch betreffen kann.
Bist du selbst gegen HPV geimpft?
Enissa: Das Erschreckende ist, dass ich so wenig darüber wusste, dass ich selbst nicht einmal wusste, ob ich geimpft bin oder nicht, es ist zu lange her. Ich habe jetzt erst im Zuge der Kampagne einen Termin gemacht, um das prüfen zu lassen.
Hast du einen persönlichen Bezug zum Thema?
Enissa: Aus meiner Perspektive gibt es nicht genug Awareness zum Thema HPV. Information ist immer gut und wichtig. Daher ist es mir auch wichtig, meine Plattform dafür zu nutzen, denn ich finde nichts wichtiger als Aufklärung, als Bildung, als Wachstum. Einfach als Menschheit zu lernen, wie wir aufgeklärter leben können und dadurch viele Probleme vermeiden können.
Von Gesundheit bis zu gesellschaftlichen Problemen – alles steht und fällt mit der Bildung. Zum Thema Brustkrebs gibt es meiner Meinung nach zum Beispiel schon viel Aufklärung und Aktionen, um weltweit darauf aufmerksam zu machen. Aber HPV ist etwas, da hat mir jede Information zu gefehlt.
Viele Mädchen sind nicht geimpft. Bei Jungs ist die Impflücke sogar noch größer. Meint ihr, HPV wird als "Mädchenproblem" betrachtet?
Enissa Amani: Ja. Es gibt ja immense Studien dazu, dass Krankheiten, die mehrheitlich Frauen betreffen, nicht im gleichen Maße erforscht werden und auch nicht in ausreichendem Maß über Risiken aufgeklärt wird. Bei HPV ist das Traurige, dass noch zu wenig Aufklärung herrscht, und dass zu wenige Männer wissen, dass sie auch betroffen und krank werden oder zumindest Träger sein können.
Julia Löffler: Die HPV-Impfung wurde zunächst von der STIKO nur für Mädchen empfohlen, erst 2018 kam die Empfehlung für die Jungen hinzu. Und es wurde anfangs meist über die Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs geredet, sodass man da natürlich den Schluss zieht, dass das nur Mädchen und Frauen betrifft.
Das ist aber nicht der Fall.
Genau. HPV löst aber auch Genitalwarzen aus, das betrifft beide Geschlechter. Und HPV-assoziierte Krebserkrankungen umfassen neben Gebärmutterhalskrebs auch Vulvakrebs, Krebs im Anusbereich, Peniskrebs oder Krebs im Mund- und Rachenraum, ist daher auch für Jungs und Männer ein Thema. Eine in fünf HPV-Neuerkrankungen jährlich in Deutschland ist männlich. Es stecken sich beide Geschlechter gleichermaßen an.
Was meinst du, Julia, warum die Impfquote noch so gering ist? Sind Eltern schlecht informiert oder peinlich berührt?
Julia: Spannende und schwierige Frage, um die sich wirklich viele Debatten und Diskussionen drehen. Um ein paar Sachen zu nennen: Erstens gibt es zu wenig Wissen zum Thema HPV bei Eltern, aber auch Jugendlichen – da müssen wir in Deutschland mit der Aufklärung besser werden. Zweitens liegt das Alter der Impfempfehlung von HPV zwischen neun und 14 Jahren und für die Nachholimpfung bei 15 bis 17 Jahren.
Wo liegt das Problem?
Das fällt zwischen die U11 und J1 Untersuchungen, welche keine Pflichtuntersuchungen sind. Und die Verknüpfung mit sexueller Aktivität der Kinder ist für viele Eltern bestimmt auch mit "Scham" belegt. Dazu kommt, dass die zeitlich so entkoppelt mögliche Krebserkrankungen für viele sehr abstrakt ist.
Was würdest du Eltern, die damit hadern, ihre Töchter und Söhne so jung gegen HPV zu impfen, mit auf den Weg geben?
Julia: Wir wissen ganz klar, dass eine frühe Impfung die Kinder nicht zu früherem Sex verleitet. Das ist einfach ein Mythos, den man manchmal hört. Am Wichtigsten wäre mir zu sagen: Die Impfung gegen HPV schützt effektiv vor HPV-assoziiertem Krebs. Und da wir von einer präventiven, also vorbeugenden Maßnahme sprechen, sollte das vor der Aufnahme von sexuellen Aktivitäten geschehen. Dann ist der Schutz besonders gut. Wir haben eine Impfung gegen Krebs, das ist doch der Wahnsinn.
Im Vergleich zu anderen Industrieländern scheint Deutschland schwer hinterherzuhinken, was die HPV-Impfung angeht. Was denkt ihr darüber?
Julia: Ich finde es peinlich und eigenartig zugleich. Was mich traurig macht, ist, dass wir diese Chance, HPV-assoziierten Krebs förmlich zu eliminieren, nicht nutzen. Die WHO und auch die EU haben sich klar für die Impfung ausgesprochen und Länder wie Australien, Norwegen oder UK zeigen, dass es geht. Ein weiterer Wermutstropfen – die medizinisch-wissenschaftliche Grundlage für die HPV-Impfung wurde von Harald zu Hausen bei uns in Deutschland gelegt und dafür gab es auch den Nobelpreis. Wir gehen mit diesem Erbe nicht besonders gut um.
Enissa: Es ist schon sehr schade. Gerade wenn man uns vergleicht mit Ländern wie Australien oder Norwegen, wo eine viel massivere Krebsvorsorge dafür gesorgt hat, dass das Problem quasi gar nicht mehr existent ist. Wir haben die Chance, HPV-bedingte Krebsarten einzudämmen oder gar zu eliminieren und nutzen sie nicht.
Warum machst du darauf aufmerksam?
Enissa: Ich möchte meinen Zuhörern und Zuhörerinnen mitgeben, dass ich selbst eine von denen bin, die sich nicht mit HPV beschäftigt hat. Ich bin eine, die viele wichtige Informationen nicht hatte. Und jetzt habe ich sie und möchte ich sie weitergeben. Denn Wissen kann in dem Fall einfach Leben retten. Ich wünsche mir, dass die Leute, die mir zuhören, das im Kopf haben und sich bezüglich der Vorsorge und einer möglichen Impfung informieren.