Die Kollektionen der Designerinnen entstanden im Rahmen des "Look into the future"-Wettbewerbs, umgeben vom Kriegsgeschehen in der Ukraine. Das weckte auch das Interesse der Berliner Fashion Week, bei der sie ihre Kollektionen einem internationalen Publikum präsentierten. Watson traf sie zu einem Gespräch.
watson: Wie hat sich euer Alltag durch den Krieg verändert?
Vasylyna Staryk: Der Krieg hat mich dazu gebracht, darüber nachzudenken, was Mode wirklich bedeutet. Von außen wirkt sie oft wie eine oberflächliche, nicht besonders ernsthafte Branche. Doch der Krieg hat mich inspiriert, unsere nationale Geschichte als Ukrainer:innen zu erforschen – eine Geschichte, die schon immer voller Herausforderungen war. Deswegen habe ich heute schon das Gefühl, dass Mode Menschen tatsächlich verbinden kann.
Oleksandra Sakhaudinova: Der Krieg hat mein Leben völlig auf den Kopf gestellt. Ich habe früher in Charkiw gelebt, nahe der russischen Grenze, bevor die großangelegte Invasion begann. Ich musste in ein anderes Land, Italien, ziehen und mich an eine völlig neue Kultur gewöhnen.
Ist es für dich überhaupt möglich, dich auf dein Leben vor Ort einzulassen?
Oleksandra: Ich habe versucht, in Sicherheit zu leben. Versucht, mich vom Krieg loszusagen – aber es ging nicht. Ich vermisse mein Zuhause jeden einzelnen Tag. Kein Ort gibt mir so viel Kraft wie die Ukraine. Aber zurückzukehren ist zu gefährlich. Ich habe ständig an meine Freund:innen zu Hause gedacht. Manchmal kann ich kaum atmen – meine körperliche Anspannung ist überwältigend. Sobald ich mir erlaube, darüber nachzudenken, weine ich. Ich würde lieber ein kürzeres Leben in der Ukraine führen, als ein sicheres Leben an einem Ort, der mich leer und unglücklich macht.
Wie ist das für euch anderen? Ihr seid noch in der Ukraine.
Victoria Mykhailiuk: Ich glaube, der Krieg trifft uns als junge Generation besonders. Eigentlich ist doch die Jugend die Zeit, in der wir leben und an eine tolle Zukunft glauben sollten – aber plötzlich hat sich alles verändert. Der Druck auf uns, hier in Berlin zu präsentieren, ist groß: Wir müssen der Welt erzählen, wie es wirklich ist, im Krieg zu leben – und die Geschichten derer weitergeben, die leiden und kämpfen.
Wie verarbeitet ihr all die Angst und schrecklichen Erfahrungen?
Alina Hnidenko: Vor einem Jahr ist mein Freund im Krieg gestorben, und jemand sagte zu mir: 'Ihr werdet euch eines Tages zwischen Himmel und Erde begegnen.' Diese Kollektion ist für mich etwas sehr Persönliches – ein Garten der Begegnung, in dem es keine Grenzen gibt, keine Regeln, nur Gefühle, Leidenschaft und Hoffnung. Jedes Detail der Kollektion spiegelt verschiedene Phasen und Zustände wider, die ich in diesem Jahr durchlebt habe.
Anastasiia Navrotska: Meine Designs spiegeln den Krieg wider. Mein Rock etwa kombiniert Kerzen und Drohnen zu einer Art kronleuchter-förmigem Kleidungsstück. Er trägt den Titel 'Eine Nacht in der Ukraine' – eine Anspielung auf die massiven Angriffe, die wir jede Nacht erleben müssen.
Anna Ustenko: In der Ukraine bedeutet der Einbruch der Nacht nämlich oft: Die Drohnen kommen. Russland schickt jede Nacht Hunderte von ihnen, weil sie im Dunkeln schwerer zu orten und abzuschießen sind. Die Geräusche kennt inzwischen jede:r – es ist unweigerlich eins mit der Nacht.
Oleksandra: Man hört das Summen der Drohnen – und dann das Abwehrfeuer. Wenn sie abgeschossen werden, spürt man Erleichterung. Denn ob man überlebt, ist eigentlich eine Frage des Glücks.
Ich kann mir vorstellen, dass es schwierig ist, überhaupt noch Hoffnung zu spüren.
Vasylyna: Ich will mit meiner Mode zeigen: Das Leben wird zurückkehren. Dass wir Ukrainer:innen da sind – dass wir arbeiten, durchhalten. Mode ist nicht so oberflächlich, wie viele glauben. Wir brauchen weiterhin Schönheit, Hoffnung und Leben – denn wir bekommen keine zweite Chance, das Leben zu leben.
Oleksandra: Als die großangelegte Invasion begann, wurde mir klar: Dieser Krieg raubt nicht nur Leben – er raubt auch Normalität. Die Fähigkeit, ein normales Leben zu führen, alltägliche Dinge zu tun. Aber selbst unter diesen Umständen leben die Menschen in der Ukraine weiter. Und allein das ist schon ein Akt des Widerstands. Russland kann uns unsere Normalität nicht nehmen.
Das hört sich trotzdem so an, als würdet ihr manchmal daran zweifeln, welche Bedeutung Mode in diesen Zeiten hat.
Vasylyna: Modedesign ist ein wesentlicher Teil von mir. Ich bin von Kyjiw in den Westen der Ukraine geflüchtet, um in Sicherheit zu sein. Und jedes Mal, wenn ich höre, dass jemand, den ich kannte, gestorben ist, frage ich mich: Wozu mache ich das? Aber ich bin noch hier – immer noch in der Ukraine. Ich habe während des Krieges mein erstes Kind hier zur Welt gebracht. Das gibt mir Hoffnung. Ich glaube immer noch daran, dass bessere Tage kommen.
Victoria: Trotz aller Herausforderungen gibt mir Mode Trost. Wenn ich arbeite, fühlt es sich an, als würde ich mir ein Stück Normalität zurückholen.
Alina: Für mich ist Modedesign ein Ausdruck meiner Gefühle, eine Möglichkeit, Menschen anzusprechen. Eigentlich sogar, um die ganze Welt darauf aufmerksam zu machen – über Schmerz oder Glück zu sprechen, über die Tiefe menschlicher Wahrnehmung, über Frauen, die geliebte Menschen verlieren.
Und was macht das mit euch?
Anastasiia: Wir alle kämpfen mit unserer psychischen Gesundheit. Um kreativ zu sein, muss man fühlen können. Aber nach drei Jahren Krieg wird das immer schwieriger. Man stumpft ab – es ist ein Schutzmechanismus. Doch für kreative Arbeit muss man mit den eigenen Gefühlen verbunden bleiben. Dieser ständige Konflikt zwischen Selbstschutz und Selbstausdruck – das ist wahnsinnig anstrengend. Es ist nicht normal, dass ein Mensch seine Gefühle unterdrückt. Aber wir müssen es tun.
Oleksandra: Es gibt ein berühmtes Zitat der ukrainischen Dichterin Lesya Ukrainka, die – wie ich jetzt – in Sanremo lebte. Sie schrieb: 'Ich möchte lächeln – durch Tränen und Trauer hindurch'. Und genau das versuche ich auch. Für mich sind alle, die sich heute entscheiden, in der Ukraine zu bleiben, Held:innen. Denn es erfordert so viel Kraft, diese ständige Angst auszuhalten – nie zu wissen, ob heute dein letzter Tag sein könnte.
Anna: Neben der seelischen Belastung gibt es auch physische Herausforderungen. Während der Entstehung der Kollektionen im Rahmen des Wettbewerbs haben alle Designerinnen gemeinsam in einer Werkstatt gearbeitet. Aber dann ging Luftalarm los und sie mussten alles stehen und liegen lassen, in den Schutzraum eilen und warten, bis der Angriff vorüber war.
Anastasiia: Überall auf der Welt reden die Menschen von einem möglichen dritten Weltkrieg. Aber für uns ist das keine Zukunftsangst – das ist unsere Realität. Im Hier und Jetzt.