Zum "Internationalen Tag der Pflegenden" gehen am heutigen Donnerstag deutschlandweit Pflegekräfte auf die Straße, um zu demonstrieren. In fast jedem Bundesland wurden Protestaktionen angekündigt, um auf den Fachkräftemangel, die Berufsflucht und die viel zu hohe Arbeitsbelastung der Pfleger aufmerksam zu machen.
Laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts stieg zwar sowohl das Gehalt als auch die Anzahl an Pflegepersonal im vergangenen Jahrzehnt, allerdings täuscht diese vermeintliche "Positiv"-Entwicklung. Denn: Auch die Anzahl der Pflegebedürftigen hat massiv zugenommen – um satte 76 Prozent. Die Arbeitsbelastung ist damit unterm Strich gestiegen.
Dass man sich nicht ausruhen dürfe, mahnt auch Gesundheitsökonom Prof. Thomas Busse. Im Gegenteil, die Lage habe sich verschärft. Vor allem müssten die Arbeitsbedingungen besser werden, glaubt er. Der Pflegeberuf müsse aufgewertet werden: "Gute Pflegekräfte wollen nicht die Lakaien von Assistenzärzten sein." Pflegekräfte litten an starren Hierarchien, familienunfreundlichen Dienstplänen, zu viel Bürokratie.
Was sind also die zentralen Forderungen auf den heutigen Kundgebungen? Watson sprach darüber mit Anja Hild vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe in Berlin. Sie wird zusammen mit Menschen aus der professionellen Pflege vor dem Bundesgesundheitsministerium protestieren.
watson: Wie ist die aktuelle Lage in der Pflege. In welchen Bereichen fehlt besonders viel Personal?
Anja Hild: Wir haben in allen Bereichen Personalengpässe. Es fehlen vor allem Pflegefachpersonen, dies zeigen auch wieder die aktuellen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Denn auch wenn die Beschäftigtenzahlen zunehmen, besteht noch immer eine Lücke von rund 200.000 Vollzeitstellen.
Hat sich die Überlastung und der Kräftemangel seit der Corona-Krise noch verschärft?
Die Pandemie ist auf ein fragiles System gestoßen und hat die Überlastung verschärft. Aktuell gibt es weiterhin sehr viele Ausfälle durch Infektionen oder Quarantäne – die Personalsituation hat sich also keineswegs entschärft.
Was sind die dringendsten Themen für Pflegeberufe, denen sich die Politik 2022 annehmen sollte?
Die Personalbemessung ist das dringendste Thema: Im Krankenhaus muss die Pflegepersonal-Regelung, die PPR 2.0, jetzt als Übergangsinstrument kommen und für die Langzeitpflege brauchen wir feste Zielmarken und eine beschleunigte Umsetzung der Roadmap, damit spürbare Entlastungen eintreten.
Noch etwas?
Die Profession muss die Pflege endlich mitbestimmen. Die stetige Fremdbestimmung demotiviert und es schadet den Menschen, die Pflege brauchen, wenn die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen nicht gehört wird. Ein dritter Punkt, der dringend angegangen werden muss, ist die Sicherung der Pflegequalität. Dafür muss in die berufliche und vor allem die hochschulische Ausbildung investiert werden.
Was würden Sie sich von der Regierung wünschen?
Die Regierung muss weitsichtiger in der Gesundheitspolitik werden. Der demografische Wandel bringt neue Herausforderungen mit sich, auf die man jetzt reagieren muss. Viele Menschen mit chronischen Erkrankungen und viele alte Menschen könnten lange selbstbestimmt ein gutes Leben Zuhause führen, wenn die Strukturen dafür da wären. Die im Koalitionsvertrag angekündigte Einführung der Community Health Nurse, einer auf Masterniveau ausgebildeten Pflegefachperson, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.
Die Politik reagierte zuletzt vor allem mit finanziellen Anreizen wie der Corona-Prämie. Ist das zu kurz gedacht?
Der Beruf der Pflege braucht langfristige Investitionen. Es reicht nicht, durch Einmalzahlungen Leistungen zu honorieren, wenn dann keine nachhaltigen Reformen kommen.
(mit Material der dpa)