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Interview

Joggerin konfrontiert Mann nach heimlicher Aufnahme und startet Petition

Yanni Gentsch hat nach einer übergriffigen Situation beschlossen, auf sexistische Alltagsgewalt aufmerksam zu machen.
Yanni Gentsch hat nach einer übergriffigen Situation beschlossen, auf sexistische Alltagsgewalt aufmerksam zu machen.Yanni Gentsch
Interview

Beim Joggen gefilmt: Wie eine Betroffene sich gegen Voyeur-Aufnahmen wehrt

Yanni Gentsch geht in Köln joggen – und bemerkt plötzlich, wie jemand langsam auf einem Fahrrad hinter ihr her fährt. Sie stellt fest, dass der fremde Mann sie filmt. Und beschließt, sich zu wehren.
03.05.2025, 12:0803.05.2025, 12:08
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Im Februar ist auf Instagram ein Video viral gegangen. Zu sehen ist eine Auseinandersetzung zwischen einem älteren Mann auf einem Fahrrad und einer jungen Frau auf einer Jogg-Runde. Sie filmt ihn – weil er zuvor ohne ihr Wissen sie gefilmt hat. Yanni Gentsch bringt den Mann dazu, das Video zu löschen und beschließt, den Vorfall auf Instagram zu teilen.

Was folgte, war nicht nur ein Video, das viele bewegt hat, sondern auch eine Petition mit einer klaren Forderung: Voyeuristische Aufnahmen sollen endlich strafbar werden. Im Gespräch mit watson spricht Yanni über Wut als Kraft, große Gesetzeslücken, und warum sie nicht mehr bereit ist, sexistische Missstände hinzunehmen.

Watson: Lass uns ganz am Anfang anfangen. Du warst joggen und hast plötzlich gemerkt, dass du gefilmt wirst. Was war dein erster Gedanke?

Yanni: Wenn ich ehrlich bin – an den allerersten Gedanken kann ich mich kaum erinnern. Es ging alles so schnell. Ich weiß noch, dass ich plötzlich mit diesem Mann um sein Handy gerungen habe und dachte: "Wenn ich ihm das jetzt zurückgebe, fährt er einfach weg." Also hab ich mich ihm in den Weg gestellt. Alles davor war einfach eine Adrenalinreaktion – kein klarer Gedanke, sondern einfach: handeln.

"Ich möchte erreichen, dass voyeuristische Aufnahmen – wie in meinem Fall – strafbar werden."

Und trotzdem hast du in dem Moment sehr klar und bestimmt gesprochen. Es wirkte fast, als hättest du genau so eine Situation schonmal erlebt.

Das hat mich im Nachhinein auch überrascht. Ich schaue mir das Video nicht oft an – der Originalton ist einfach belastend. Aber ich glaube, es war so ein Ventil-Moment. Alles, was ich über die Jahre zu solchen Situationen gehört, erlebt und gedacht habe, kam auf einmal raus. Und ja, man kann in so einem Moment nur Worte finden, wenn man sich vorher schon mit dem Thema beschäftigt hat.

Gab es im Nachhinein etwas, das du ihm gerne noch gesagt hättest?

Tatsächlich nicht. Ich hatte das Gefühl, dass alles seinen Platz gefunden hat. Aber ich kenne auch die anderen neun von zehn Situationen, in denen einem erst später einfällt, was man sagen wollte. Glück im Unglück also. Als er dann mit diesem "selbst Schuld wegen der Hose"-Kommentar kam, wusste ich: hier gibt’s nichts mehr zu sagen, er wird meinen Standpunkt nicht verstehen. Da war für mich Schluss mit "Erziehungsarbeit".

Nimmst du auch irgendetwas "Positives" aus der Situation für dich – oder für andere FLINTA-Personen – mit?

Ja. Dass es sich lohnt, auf sein Bauchgefühl zu hören. Wenn man das Gefühl hat, dass eine Grenze überschritten wurde, dann wurde sie das auch. Man braucht keine Beweise dafür – obwohl ich sie in diesem Fall hatte. Und: Die Schuld liegt nie bei einem selbst. Das darf man sich nicht einreden lassen.

Ich habe das Video auch deshalb als so stark empfunden, weil du deine Wut gezeigt hast. Weibliche Wut ist im öffentlichen Raum ja immer noch selten sichtbar.

Absolut. Und ich finde es fast schön, wenn Männer davon überrumpelt sind – dann merkt man, dass es etwas bewegt. Wissen zu Sexismus und Feminismus ist wichtig, damit man noch wütender werden kann. Weil man dann versteht, was für ein System dahinter steckt. Und diese Wut hilft, nicht zu verstummen.

Du hast ihn dazu gebracht, das Video zu löschen – und wolltest ihn anzeigen. Das hat aber nicht geklappt, oder?

Leider nicht. Ich bin ziemlich selbstbewusst zur Polizei gegangen – nicht mit der Erwartung, dass es auf jeden Fall klappt, aber mit dem Gefühl: Das hier gehört dokumentiert. Doch mir wurde gesagt, dass es keine strafbare Handlung sei, weil das Video nicht veröffentlicht wurde. Nur wenn er es weitergeleitet hätte – und das auch an mehrere Personen – wäre es relevant gewesen. Statt einer Anzeige habe ich dann einen sogenannten "Beobachtungs- und Feststellungsbericht" gemacht. So ist es zumindest irgendwo erfasst.

Weil du ihn nicht anzeigen konntest, hast du eine Petition gegründet. Was willst du mit dieser erreichen?

Ich möchte erreichen, dass voyeuristische Aufnahmen – wie in meinem Fall – strafbar werden. Es gibt zwar seit 2021 den Upskirting-Paragraphen §184k, aber der greift nur bei bestimmten Situationen, etwa wenn jemand unter den Rock fotografiert wird. Wenn wie bei mir aber keine nackte Haut zu sehen ist, fällt es durchs Raster. Und das kann ich einfach nicht akzeptieren.

Was würdest du sagen, zeigt dein Fall über die Gesetzeslage und gesellschaftliche Wahrnehmung?

Es ist krass, wie viele Leute denken, das sei doch längst strafbar. Ist es aber nicht. Und gleichzeitig gibt es Menschen – wie dieser Mann – die überzeugt davon sind, nichts falsch gemacht zu haben. Es zeigt einfach, wie weit Wahrnehmung und Realität auseinanderklaffen. Und es zeigt, wie selbstverständlich sich viele Männer im öffentlichen Raum verhalten – auf Kosten anderer.

Du hast im Video auch gefragt, ob er Kinder hat. War das ein Versuch, ihn zur Empathie zu bringen?

Ja, vielleicht. Auch wenn ich das eigentlich nicht mehr machen will. Es nervt mich, dass man manchen Männern erst sagen muss: "Stell dir vor, das wäre deine Tochter", damit sie begreifen, dass das ein Mensch mit Rechten ist. Das sollte nicht nötig sein.

"Es ist kein 'ich erzähle meine Geschichte', sondern ein Aufruf: Das hier passiert jeden Tag. Und es muss sich was ändern."

Seine eigenen Rechte waren ihm jedoch wichtig: Er wollte, dass du dein Video löscht.

Ja – das ist auch so typisch. Erst jemanden heimlich filmen und dann auf den eigenen Schutz pochen, wenn die Kamera auf einen selbst gerichtet ist. Ich hatte nie vor, das Video zu veröffentlichen – in dem Moment jedenfalls nicht. Aber ich dachte: Nein, ich lösche das jetzt nicht, nur weil du Beweise loswerden willst.

Ich glaube, das war ein wichtiger Moment. Viele hätten wahrscheinlich gedacht: "Okay, dann sind wir jetzt quitt." Aber du hast klar gesagt: Nein.

Weil wir eben nicht quitt sind. Und weil so ein Video in dem Moment auch Beweis ist. Für mich, für andere. Das ist leider nötig – weil man Frauen oft nicht glaubt. Und das ist ein größeres Thema als mein Fall. Es geht um Strukturen, um Alltagsgewalt, um Gesetzeslücken – und darum, dass endlich etwas passiert.

Er behauptet im Video auch, sowas noch nie gemacht zu haben.

Was ich nicht glaube. Er muss mich schon mit einiger Entfernung gesehen haben, sich dazu entschlossen haben, das Handy rauszunehmen und ist eine ganze Weile super langsam hinter mir hergefahren. Das wirkte sehr routiniert. Und er hätte viel Zeit gehabt, sich dagegen zu entscheiden. Hat er aber nicht und ich frage mich, wie lange er mich wohl gefilmt hätte, wenn ich ihn nicht zur Rede gestellt hätte. Was er mit dem Material gemacht hätte, will ich mir gar nicht vorstellen.

Abschließend: Was wünschst du dir, dass aus deiner Geschichte und der Petition noch entsteht?

Gespräche. Diskurs. Gesetzesänderung. Und dass das Thema nicht wieder verschwindet. Es ist kein "ich erzähle meine Geschichte", sondern ein Aufruf: Das hier passiert jeden Tag. Und es muss sich was ändern. Und zwar nicht nur durch Wut von Betroffenen – sondern durch klare Worte von denen, die es sonst ignorieren.

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