
Aufklärungsarbeit und Protest gehören für viele Feministinnen zum Alltag.Bild: getty images / Youngoldman
Interview
Wenn Frauen feministische Aufklärungsarbeit leisten, stoßen sie oft auf taube Männerohren. Aber wie sieht es aus, wenn Männer sich dieser Aufgaben annehmen?
05.04.2025, 10:2805.04.2025, 10:28
Vincent Herr und Martin Speer geben Kurse und beraten zum Thema Geschlechtergerechtigkeit. Darüber, was sie in ihrer Arbeit mit Männern zum Thema Feminismus gelernt haben, haben die beiden ein Buch geschrieben.
"Wenn die letzte Frau den Raum verlässt" ist inspiriert davon, was die beiden erleben, wenn Männer unter sich sind und ungestört über Feminismus sprechen können. Watson hat Vincent Herr zum Gespräch getroffen. Wir wollen wissen: Wie bringt man Männern Feminismus bei?

Vincent-Immanuel Herr (l.) und Martin Speer (r.) haben feministische Aufklärungsarbeit zu ihrem Beruf gemacht.Bild: ullstein verlag / Sapna Richter
Watson: Vincent, wie bist du zum Feministen geworden?
Vincent Herr: Bei mir kommt das aus der Familie. Meine Mutter ist Kulturwissenschaftlerin und Universitätsprofessorin und gerade in ihren Anfangsjahren musste sie sich viele Sprüche von ihren männlichen Kollegen anhören. Gleichzeitig war mein Vater ein sehr feministischer Mann, der viel Sorgearbeit gemacht hat. Dadurch habe ich zwei Männlichkeitsbilder mitbekommen: Männer, die Frauen das Leben schwer machen, und Männer, die sich von Frauen nicht bedroht fühlen.
Also bist du zum Feministen erzogen worden.
Ich will jetzt auch nicht so rüberkommen, als hätte ich von klein auf alles verstanden. Aber das Grundverständnis dafür, dass Frauen es auf verschiedenen Ebenen schwerer haben, habe ich aus der Familie mitgenommen. Von Frauen zu lernen, wie sich Sexismus anfühlt, ist eine der Grundthesen für unser Buch. Und das ist auch ein entscheidender Punkt von Male Allyship.
Kannst du Male Allyship in deinen Worten erklären?
Wir wollen Männer für Gleichberechtigung sensibilisieren. Dahingehend ist uns aufgefallen, dass Male Allyship oder auch "Männer als Verbündete" effektiver ist als das Wort Feminismus. Der Begriff lenkt viele Männer so vom Thema ab, dass man gar keinen Fortschritt machen kann. Ich sehe den Fokus auf Male Allyship zum Teil als taktische Entscheidung, um an Männer ranzukommen. Gleichzeitig ist es die Aufgabe von Männern, Feminismus schrittweise wieder positiv zu konnotieren. Ich glaube, Männer haben den Begriff auf eine Weise ruiniert – und Männer dürfen jetzt klarstellen, dass Feminismus nichts Radikales ist, sondern eine zutiefst berechtigte Forderung.
Während Frauen um Chancengleichheit kämpfen, echauffieren sich Männer wegen des Begriffs – und dann wird Frauen vorgeworfen, sie seien das emotionale Geschlecht?
Wir haben in unserer Arbeit eine hohe Emotionalität von Männern festgestellt, das hat uns am Anfang überrascht. Männer wollen das nicht zugeben, aber sie haben große Sorge davor, was Feminismus für sie persönlich, ihre Karriere und das Männlichkeitsbild bedeutet. Das Problem ist, dass die Gesellschaft die Emotionalität von Männern zu Feminismus oft nicht anerkennt. Männer haben viele Fragen dazu. Die mögen nicht alle berechtigt sein, aber sie sind da. Und wir müssen Wege finden, diese Fragen zu adressieren und sozusagen Dampf aus dem Kessel zu nehmen.
"Für uns ist ein diskriminierungsfreies Leben die Norm. Deswegen tun viele Männer Sexismus auch als Einzelfälle ab."
Und wie kriegen wir Dampf aus dem Kessel?
Unser Lösungsansatz sind sogenannte Safe Spaces, also Runden, in denen Männer sich dazu austauschen können. Ich will die Emotionalität von Männern nicht in Schutz nehmen. Aber wir müssen anerkennen, dass es sie gibt. Denn, wenn wir sie nicht adressieren, führen diese Emotionen zu Gegenwehr bei diesem Thema.

Bild: ullstein verlag
Ihr schreibt, dass sich für viele Männer die Gleichberechtigung von Frauen wie ein Verlust ihrer eigenen Privilegien anfühlt. Warum?
Das Problem mit Männern – das weiß ich, weil ich selber ein weißer deutscher Kerl bin, der nie diskriminiert wird – ist, dass wir uns sehr schwer damit tun zu verstehen, wie sich Diskriminierung anfühlt oder was Privileg ist. Für uns ist ein diskriminierungsfreies Leben die Norm. Deswegen tun Männer Sexismus häufig auch als Einzelfälle ab. Sie müssen lernen, dass Sexismus fast alle Frauen betrifft, auch die in der eigenen Familie. Bisher ist das unser bester Schlüssel, das Thema für Männer persönlich zu machen. Wir haben selten gute Erfahrungen damit gemacht, Männer ohne diese persönliche Ebene, also über Töchter, Schwestern oder Kolleginnen, zu aktivieren.
Ihr habt in eurem Buch verschiedene Männertypen definiert. Wer lässt sich am schwersten zum Feministen machen?
Der Männerrechtler. Der ist sexistisch eingestellt und will mit einer eigenen Agenda Gleichstellungsmaßnahmen torpedieren. Ein ähnlicher Typus ist der Sexist. Er unterscheidet sich eigentlich nur dadurch, dass er keine ausgeprägte aktivistische Agenda hat. Aber er hat wie der Männerrechtler ein sexistisches Weltbild, sieht Frauen als Menschen zweiter Klasse. Mit diesen beiden Typen kann man nur schwer arbeiten und man muss damit rechnen, dass rund ein Drittel der Deutschen Männer dieses Weltbild vertreten. Die meisten Männer sind jedoch das, was wir unbewusste Sexisten nennen. Also Männer, die das Problem nicht verstehen und es deswegen teilweise unbewusst unterstützen, aber die sich mit Aufklärungsarbeit für den Feminismus aktivieren lassen.
In eurem Buch erwähnt ihr den Gender Joke Gap. Was hat es damit auf sich?
In formellen Situationen werden Frauen für Witze negativer bewertet als Männer. Männer, die Witze machen, gelten als führungsstark und interessant. Frauen, die Witze machen, werden als weniger geeignet für Führungspositionen wahrgenommen. Männer sagen oft, dass Frauen Führung fordern müssten, wenn sie aufsteigen wollen. Dabei übersehen sie, dass Frauen ihr Verhalten anpassen müssen, um überhaupt als akzeptable Führungsperson wahrgenommen zu werden. Der Gender Joke Gap ist ein Beispiel dafür, wie unterschiedlich Männer und Frauen in der Gesellschaft bewertet werden.
Ihr vertretet die These, dass jeder Mann schon mal einen sexistischen Witz gemacht oder zumindest darüber gelacht hat. Warum sind die so salonfähig?
Das geht bei Jungs schon früh los. Auf dem Schulhof macht man Witze über die Kleider von Mädchen, ältere Jungs werden dann schon gröber und so geht das weiter. Im Nachhinein spielen Männer die Witze dann oft runter, mit einem "war doch nicht so gemeint". Das passiert meist, weil Männer nicht verstehen, warum der sexistische Witz so problematisch ist.
Gewalt fängt ja auch schon im Sprachgebrauch an.
Ja, uns sagen Männer auch Dinge wie "Ich hätte ja nichts dagegen, wenn mir mal eine Frau hinterherpfeift." Dabei verschätzen sie völlig Gewalterfahrungen im öffentlichen Raum. Sie erkennen nicht, dass auch Sprüche, Unterbrechen und Einschüchterungen Sexismus sind. Wir müssen als Männer verstehen, dass wir Teil des Problems sind, wenn wir sexistische Witze machen. Eine Gesellschaft, die Frauen durch Witze entmenschlicht und degradiert, trägt dazu bei, dass auch physische Gewalt an Frauen akzeptiert wird.
Ihr schreibt auch, dass Männer sich besser mit Männern über Feminismus austauschen können. Wie erfolgreich wären eure Kurse, wenn eine Frau sie leiten würde?
Wir sehen ja leider, dass Frauen seit Jahrzehnten über genau die Themen sprechen, über die wir auch sprechen. Teilweise haben sie viel mehr Kompetenz, Erfahrung und Fachwissen, bekommen aber weniger Aufmerksamkeit, Anerkennung und Respekt dafür. Wir merken es auch an unserem Buch: Es verkauft sich echt gut. Liegt das nur an dem Inhalt? Wahrscheinlich nicht. Es liegt auch daran, dass es von zwei Männern geschrieben wurde.
Ein Beweis für männliches Privileg.
Ja, und das ist nicht gerecht. Frauen leisten diese Arbeit seit Jahrzehnten und es tut sich wenig. Und auch wenn wir Männer uns einbringen, geht es nur langsam voran. Aber wir merken schon, dass wir von Männern Respekt bekommen. Das ist auch das Paradoxe an Male Allyship. Denn eigentlich werben Männer, die sich für Feminismus engagieren, für eine Welt, in der dieses Privileg abgeschafft wird. Und gleichzeitig nutzen wir dieses Privileg, um dafür zu werben.