
Pornografie wird oft stigmatisiert. Emre Busse möchte das ändern.bild: Firat Gurgen
Die Stimme
22.03.2025, 11:4522.03.2025, 11:45
Emre ist Wissenschaftler mit einem ungewöhnlichen Ziel – er will Pornografie als anerkanntes Forschungsfeld an Universitäten etablieren. Mit erstem Erfolg: seit 2023 lehrt er an der Uni Bremen unter anderem Post-Pornografie, wird von Studierenden "Dr. Porno" genannt. Bei watson erklärt er, warum auch Sexfilme es verdient haben, ernst genommen zu werden und wie seine Biografie ihn zu dieser Erkenntnis gebracht hat.
Mein Name ist Emre Busse. Ich bin 34 Jahre alt, Filmemacher und habe gerade meine Promotion an der Freien Universität Berlin abgeschlossen. Meine Dissertation beschäftigt sich mit Ethnizität, Identität und postkolonialen Perspektiven im Kontext schwuler Pornografie. Das ist an der Universität eher ein ungewöhnliches Thema – selbst in der Filmwissenschaft.
"Als junger, queerer Mann suchte ich Zuflucht in Pornofilmen."
Pornografie wird oft stigmatisiert, aber ich bin überzeugt, dass sie als kulturelles und filmisches Phänomen eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielt und daher auch als wissenschaftliches Thema anerkannt werden sollte.
Deutsch-türkische, schwule Pornos prägten meine Jugend in Istanbul
Ich wurde in Istanbul geboren und wuchs dort auch auf. Meine Vorfahren zogen in den 1960er Jahren nach Köln, kehrten aber in die Türkei zurück, als mein Vater 12 Jahre alt war. Es gab also eine familiäre Verbindung zu Deutschland.

Emre Busse ist Filmemacher und Akademiker.bild: Rafal Gaweda
Als junger, queerer Mann suchte ich Zuflucht in Pornofilmen. In der Türkei war der Zugang zu erotischen Materialien stark eingeschränkt. Ich suchte nach Begriffen wie "Türkisch" oder "Kurdisch", in der Hoffnung, etwas Vertrautes zu sehen und dabei tauchten vor allem deutsch-türkische, schwule Pornos auf.
Diese Filme faszinierten mich. Sie vermittelten mir ein Gefühl der Ermächtigung und die Gewissheit, dass Menschen wie ich ihre Sexualität selbstbewusst leben konnten. Ihre Darstellungen hinterließen einen bleibenden Eindruck. Aber erst in meinen frühen Zwanzigern erkannte ich die Bedeutung dieser Werke – auch ihre Verbindung zur Arbeitsmigration – vollumfänglich.
Während meines Bachelorstudiums in Istanbul wurde die politische Lage in der Türkei immer schwieriger für queere Menschen wie mich. Die Pride-Parade, die ich damals noch mitorganisiert habe, wurde inzwischen verboten.
All das war für mich Motivation, mich für ein Masterstudium im Ausland zu bewerben. Meine Familie riet mir, nach Deutschland zu gehen, so zog ich 2013 um – und machte Berlin zu meinem Zuhause.
Pornografie-Forschung verrät viel über unsere Gesellschaft
2017 kuratierte ich die Ausstellung "Soft G – Queer Forms Migrate" im Schwulen Museum* mit. Im Rahmen dessen übergab mir Filmemacher Ben Tamam von Zip Production sein gesamtes Archiv. Trimax GmbH, ein weiterer bedeutender Akteur in der deutsch-türkischen schwulen Pornografie, stellte mir Materialien der Produzenten Şevket Şahin und Sinan Şahin zur Verfügung.
Für mich war das ein wichtiger Moment: Ich wollte dieses Material nicht mehr nur archivieren, sondern akademisch untersuchen. Mein Interesse für Pornografie als Forschungsfeld war geweckt.
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Während es, besonders in Frankreich, Studien zu postkolonialer und ethnischer schwuler Pornografie gibt, fehlt eine vergleichbare Analyse hierzulande. Diese akademische Lücke wollte ich schließen. Mein Ansatz umfasst unter anderem die Überschneidungen von Arbeitsmigration und erotischen Darstellungen in der deutsch-türkischen, schwulen Pornografie.
"'Du forschst zu Pornografie?', wird oft begleitet von Gelächter."
Ich untersuchte aber auch die Repräsentation osteuropäischer Männer, analysierte Themen des Sextourismus und die "Flüchtlings"-Kategorie in der schwulen Pornografie, die sich nach 2015 entwickelte. Für mich ist es faszinierend, zu erkennen, dass gesellschaftliche Ängste und Entwicklungen Einfluss auf erotische Produktionen haben.
Meine Forschung ist entsprechend interdisziplinär angelegt, denn Pornografie überschneidet sich mit Sozialanthropologie, Geschichte, Psychologie und Soziologie.
Mein Schwerpunkt: Ethnizität als Fetisch in Pornofilmen
Für mich ist das Thema Ethnizität als Fetisch besonders faszinierend, weil es gleichzeitig rassistisch, aber auch Mittel sein kann, um Verlangen zu erkunden. Ich selbst weiß das aus meiner Biografie: Obwohl ich heute eine kritische Perspektive einnehme, habe ich diese Filme früher angesehen, genau, weil ich mich darin auf eine Weise repräsentiert fühlte.
Repräsentation in Pornos ist wichtig. Es ist wichtig, vielfältige Identitäten in einer Branche zu sehen, die hauptsächlich für den hegemonialen, heterosexuellen männlichen Blick gestaltet ist. Aus diesem Grund habe ich auch angefangen, meine eigenen Filme zu machen.
Emres letzter Kurzfilm wurde beim Porn Film Berlin und Film Kunst Festival Zürich ausgezeichnet.
Ich möchte eine Quelle der Repräsentation für zukünftige Generationen sein, die traditionelle Pornografie hinterfragen. Es ist ermutigend zu sehen, dass ähnliche Ansätze queerer oder feministischer Filmemacher:innen immer häufiger werden. Die Demokratisierung pornografischer Medien und Plattformen haben dazu beigetragen.
Obwohl hinter der Erstellung und Erforschung von Pornografie also ernste Themen stecken, ist die erste Reaktion auf meinen Beruf meist Überraschung.
An den Unis werden Pornografie-Studien oft noch belächelt
"Du forschst zu Pornografie?", wird oft begleitet von Gelächter. Das zeigt, wie tief verwurzelt kulturelle Unbehaglichkeiten in Bezug auf Sexualität sind. Sex ist in vielen Köpfen immer noch oft mit Moralvorstellungen verbunden. Pornografie triggert bei vielen Menschen etwas, sie reagieren emotional. Doch sobald ich meine Forschung erkläre, ändert sich der Ton und es entsteht ein engagierter Dialog.
"Männliche Studierende scheinen eingeschüchtert, wenn es darum geht, über Pornografie zu sprechen."
Auch in akademischen Kreisen herrschen tief verwurzelte Vorurteile gegenüber den Pornografie-Studien. Während einige Wissenschaftler:innen das Feld mit Respekt betrachten, reagieren viele immer noch ablehnend – beeinflusst von konservativen Ideologien. Wer sich ausschließlich diesem Feld widmet, bleibt meist auf unsichere Lehrbeauftragtenstellen angewiesen.
Mein Ziel bleibt es, diese Vorurteile abzubauen und den künstlerischen, sozialen und akademischen Wert der Auseinandersetzung mit diesem oft missverstandenen Medium aufzuzeigen. Institutionen sollten von binären Urteilen über Pornografie als bloß obszön abrücken.
Besonders Studentinnen interessieren sich für Pornografie als Fach
Das fällt einigen Menschen leichter als anderen. Es ist für mich etwas amüsant, dass die Mehrheit meiner Studierenden – etwa 90 Prozent – Frauen sind. Männliche Studierende scheinen eingeschüchtert, wenn es darum geht, über Pornografie zu sprechen, obwohl sie die Hauptkonsumenten der Pornoindustrie sind.
Das Interesse an meinen Seminaren ist insgesamt hoch. Nach meinem ersten Semester wurden sie bei den Studierenden immer beliebter. Ich habe erfahren, dass einige Studierende mich sogar "Dr. Porno" nennen, was ich als schmeichelhaft empfinde.
Das Feedback meiner Studierenden ist ermutigend und bestätigt, dass mein Ansatz funktioniert. Ich zeige natürlich nicht nur Pornofilme, sondern gebe eine Einführung in die Geschichte der visuellen und populären Kultur, Kunstgeschichte und sozialwissenschaftliche Themen wie LGBTQ+, feministische, queere und Crip-Theorien.
Kürzlich erlebte ich einen Moment, der sich für mich unglaublich anfühlte – ich habe den Bewerbungsprozess für ein Masterprogramm einer meiner Studierenden betreut. Sie hatte sich, durch meine Seminare inspiriert, entschlossen, ein Studium mit Schwerpunkt auf Pornografie zu verfolgen. Solche Erlebnisse zeigen mir eines deutlich: dass es sich lohnt, das Stigma rund um die Erforschung von Pornografie zu durchbrechen.