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Internationaler Frauentag: Alexandra Zykunov über Lücken des Feminismus

Die Autorin Alexandra Zykunov stellt sich dem Patriarchat gerne mit Zahlen und Fakten.
Die Autorin Alexandra Zykunov stellt sich dem Patriarchat gerne mit Zahlen und Fakten. Bild: hans scherhaufer / hans scherhaufer
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Alexandra Zykunov zum Frauentag: Wie Männer wirklich zu Feministen werden

08.03.2025, 11:4608.03.2025, 11:46
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Alexandra Zykunov hat den Begriff "Bullshit-Sätze" geprägt. Gemeint sind damit jene antifeministischen Phrasen, die jede weibliche Person schon mehr als einmal gehört hat. Ein Klassiker: "Frauen wollen doch gar keine Karriere machen."

Verstaubte Rollenbilder begleiten Frauen allerdings 2025 auch noch in der Popkultur, im Supermarkt und natürlich in der Erziehung. In ihrem zweiten Buch "Was wollt ihr denn noch alles?" stellt Zykunov dem Patriarchat eine Rechnung aus – samt Zahlen und Fakten, warum wir eben noch immer nicht gleichberechtigt sind.

Im Gespräch mit watson erklärt die Autorin, welche Hürden das Patriarchat ihr auch in der eigenen Erziehung stellt und warum die Buchserie "Die Drei !!!" antifeministisch ist.

"Was wollt ihr denn noch alles?!" erschien 2023.
"Was wollt ihr denn noch alles?!" erschien 2023. bild: ullstein verlag

watson: In vielen Schulen wird mittlerweile auch feministische Literatur besprochen. Geht es also doch langsam in die richtige Richtung?

Alexandra Zykunov: Ich finde das erstmal gut, dass Texte von feministischen Autorinnen mittlerweile Eingang finden in die Lehrpläne. Dass solche Texte überhaupt die Bubble verlassen, ist so wichtig, um der nächsten Generation zu sagen: Ihr denkt zwar, ihr wachst heran in dieser Welt, wo alle alles machen dürfen, aber das ist nur auf dem Papier. Setzt euch damit schon sehr, sehr früh auseinander.

Kannst du diese positive Veränderung auch bei deinen eigenen Kindern beobachten?

Was ich tatsächlich bemerke, ist, dass Mädchen mittlerweile durchgehend gesagt wird, dass sie alles können. Ihr könnt die Prinzessin sein, ihr könnt aber auch die Handwerkerin sein. Ihr könnt die Balletttänzerin sein, ihr könnt aber auch die Boxerin sein. Zumindest meiner siebenjährigen Tochter in der Hamburger Großstadt werden da im Jahr 2025 schon viele Möglichkeiten aufgezeigt.

Werden Frauen, wenn sie Boxerin werden wollen, gar nicht benachteiligt?

Ja und nein. Ich stelle schon einerseits fest, dass Mädchen und junge Frauen theoretisch alles machen dürfen. Aber nur bis zu einem bestimmten Punkt: Bist du so eine gute Boxerin, dass du es mit den Männern aufnehmen könntest, wird dir plötzlich vorgeworfen, dass du keine "echte" Frau bist. Willst du plötzlich auch mit Ende 30 keine Kinder, bist du eine "unnatürliche" Frau. Also, ja, theoretisch wird Mädchen und jungen Frauen zwar einerseits beigebracht, dass sie alles werden können – machen dann Mädchen aber genau das, wird das in der Praxis immer noch nicht akzeptiert.

Ist das bei deinem Sohn in der Schule anders?

Ich will nicht ganz schwarzmalen. Viele seiner Lehrkräfte in der fünften Klasse motivieren auch die Jungs, über Gefühle zu sprechen und geben ihnen Strategien an die Hand, wie man mit Aggressionen umgeht. Aber dieses toxische Männlichkeitsbild ist immer noch so verankert in unserer Popkultur. Und das haben wir als Gesellschaft in den letzten Jahren versäumt. Meinen Sohn von diesen patriarchalen Denkmustern fernzuhalten, das ist wirklich ein Kampf gegen Windmühlen, bei dem ich als Mutter feststelle, dass es deutlich schwerer ist als meine Tochter von diesen patriarchalen Einflüssen fernzuhalten.

Welche Kinderserien fallen dir da ein, wo man die patriarchalen Strukturen noch total reproduziert?

Mein Sohn liest gerade extrem viele Mangas: Wie da die Frauen gezeichnet werden! Gigantische Brüste, anatomisch unmögliche Körper. Und die männlichen Helden dafür übermuskulös, anatomisch auch völlig unmöglich, die dann immer alle retten müssen. Dann alle Disney-Klassiker des 20. Jahrhunderts: Arielle, die ihre Stimme abgibt, um bei einem Typen zu sein, den sie kaum kennt; wildfremde Prinzen, die herumlaufen und bewusstlose Frauen küssen. Mit den Hörspielen geht es weiter: Die "Drei ???" erleben ganz normale Detektivfälle, das weibliche Pendant – die "Drei !!!"– erleben Detektivfälle, wo es um Abnehmpillen, Kusswettbewerbe und Castingshows geht.

Oft verschaffen Männern die Strukturen ja eher Vorteile. Wie lässt sich ihnen ein Wandel schmackhaft machen?

Indem man Sätze formuliert wie: Ja, ich weiß, wenn wir das Patriarchat gemeinsam abschaffen, wirst du als junger Mann weniger verdienen, du wirst weniger Macht haben, aber es wird auch von Vorteil für dich sein. Du wirst deine Gefühle nicht verstecken müssen, die dann später in Gewalt münden; Ärzt:innen werden dir nicht immer nur Schmerztabletten verschreiben, sondern auch mal eine Therapie; du wirst weniger suizidgefährdet sein, musst nicht den Ernährer der Familie spielen, darfst einfach die Männerrolle für dich finden, die zu dir passt und nicht die, die dir aufgezwungen wird. Man kann sagen: Du willst doch auch eine Welt, in der es allen gleich gut geht und nicht nur denen, die genetisch das Glück hatten, einen Penis zu haben und keine Vulva.

Wenn man feministische Texte liest, kann man manchmal wahnsinnig werden. Lohnt es sich überhaupt noch, für Feminismus zu kämpfen?

Klar wird man irgendwann müde, ich glaube, das ist normal. Der Kampf für Gleichberechtigung für alle marginalisierten Gruppen ist ein Marathon und kein Sprint. Aber so frustrierend Gender-Gaps auch sind, so sehr entlasten sie auch, weil man als Individuum versteht, es war nicht meine Schuld und es ist nicht meine Verantwortung, das zu drehen. Es bedarf Gesetze und struktureller Veränderungen. Und dann kann aus Wut und Frustration auch ein aktives Gefühl werden, dass man dafür sorgen will, dass auch andere von diesen Ungerechtigkeiten erfahren.

"Dann mach doch einfach" ist ein beliebter Satz von Männern im Feminismus. Was können die selbst für Gleichberechtigung tun?

Also erstmal: Diesen Satz lassen. (lacht) Und dann sollte man vielleicht auch hinterfragen, wer denn für die ganzen Gender-Gaps verantwortlich war? Das alles sind doch Dinge gewesen, die von Männern in der Politik und in der Justiz aktiv festgelegt wurden. Da reicht es, als Mann nicht zu sagen, ich bin nicht dagegen, dass Frauen die gleichen Rechte haben. Wo kämpfst du denn aber dafür? Die Autorin Mareice Kaiser schrieb neulich "Solidarität muss wehtun": Solidarität ist erst dann Solidarität, wenn du dafür ein bisschen angefeindet wirst, wenn es dir auch ein Stückchen unangenehm ist. Wenn du dich vielleicht in einer Gruppe von Männern einem Alt-Herren-Witz entgegenstellst. Das ist unangenehm, dann bist du der Uncoole, der Spaßverderber, der Party-Pooper – aber da beginnt die Solidarität, da reicht es eben nicht, nur nicht mitzulachen.

Am Schluss müssen wir aber nochmal auf die Politik schauen: Wie gut steht da der Feminismus in Deutschland da?

Ich erwarte in der nächsten Legislatur leider so gut wie gar keine Fortschritte. Und wenn werden es frauenpolitische Fortschritte sein, die nur für einer bestimmten privilegierten Frauengruppe von Vorteil sein werden, wie wir es gerade beim Gewalthilfegesetz gesehen haben. Trans-Frauen sind davon ausgeschlossen worden und migrantische Frauen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus ebenfalls. Dann sind wir in einem ganz komischen "Verschiedene-Klassen-Feminismus" oder "White-Girl-Boss -Feminismus". Das ist kein Feminismus! Wenn wir nicht alle frei sind, ist keine von uns frei.

Also stecken wir gewissermaßen fest?

Auch eine konservative, rechte Regierung zieht irgendwann vorüber. Daher hoffe ich, dass wir innerhalb unserer Lebenszeiten noch einen konkreten feministischen und antirassistischen Linksruck erleben werden. Das Erstarken der Rechten ist im Grunde ja auch ein Symptom dessen, dass sie merken, die feministische, queere und antirassistische Welle rollt. Viele alte, weiße, hetero cis-Männer verlieren ihre Deutungshoheit und ihre Macht, also begehren viele von ihnen auf. Das ist das letzte Aufbäumen des Patriarchats, wie die Autorin Margarete Stokowski schon vor zehn Jahren schrieb. Es ist nur schade, dass das letzte Aufbäumen wahrscheinlich noch ein paar Jahrzehnte dauern wird. Aber die Welle rollt und sie ist unaufhaltsam.

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