
Ob im Bett oder bei der Flagge: Manchmal ist halt einfach die Luft raus. Bild: pexels / Felix Mittermeier
Interview
18.02.2025, 19:2218.02.2025, 19:22
In Newsfeeds scheint es kaum ein anderes Thema zu geben, als Wahlkampf, Wahlkampf, Wahlkampf. Schon das Wort wirkt erschöpfend und beängstigend. Die Bilder dazu – griesgrämige Politiker:innen in schlecht sitzenden Anzügen – machen es auch nicht besser.
Da kriegt man als Wähler:in richtig Lust, den Kopf verzweifelt gegen die Wand zu knallen abzuschalten. Eher selten wird jedoch die Lust auf Sex aktiviert. Drückt uns die trübe Stimmung also auf die Libido? Wir haben darüber mit einer Paartherapeutin gesprochen.
Nicole Kienzl studierte Psychologie an der Universität Wien. Die Österreicherin berät seit 2006 als Sexualtherapeutin in ihrer Praxis.
"Ständige Sorgen um die Zukunft können Leistungsangst auslösen, die zu Erektionsstörungen führen kann."
watson: Wie wirken sich politische Wahlen auf unser Sexualleben aus?
Nicole Kienzl: Das kommt darauf an. Ich arbeite sehr viel mit Menschen mit Transidentitäten in meiner Praxis, habe sehr viel mit LGBTQ-Gruppen zu tun und denen geht es allen nicht gut mit der politischen Lage. Die haben Ängste, die trifft es sehr stark, dass es vielerorts so einen Rechtsruck gibt.
Deine Praxis ist in Wien. In Deutschland zeichnet sich ja ein ähnliches Bild ab wie in Österreich.
Genau. Die FPÖ erstarkt und viele Menschen glauben, dass diese Partei, gemeinsam mit der ÖVP, als Erstes auf die Schwachen losgehen wird – die Minderheiten, Migrant:innen, aber auch Transgender-Personen. Für Österreich habe ich dazu keine Zahlen gefunden, aber in Deutschland nehmen die Straftaten gegen queere Menschen bereits zu. Politik ist der Spiegel dieser gesellschaftlichen Entwicklung.
Mit diesem Wissen wird es schwieriger, die eigene Sexualität frei auszuleben. Trauen sich queere Menschen noch offen auf der Straße zu knutschen?
Weniger als vor der Wahl tatsächlich. Es fällt schwer, sich in aller Öffentlichkeit zu outen, wenn man im Hinterkopf weiß, wie viele Mitmenschen queerfeindliche Parteien wählen.
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In Deutschland herrscht noch Wahlkampf. So richtig sexy ist das nicht. Haben da auch Heteropaare entsprechend weniger Lust?
Da tue ich mich schwer mit Mutmaßungen. In der Praxis erlebe ich keinen Unterschied der sexuellen Lust bei Hetero-Paaren während Wahlkampfzeiten.
Aber eine Studie aus den USA hat gezeigt, dass Wahlkampf die Bevölkerung stark stresst und Stress...
... wirkt sich oft negativ auf die Libido aus. Das stimmt allerdings. Stress macht müde und unmotiviert und das sind keine optimalen Voraussetzungen für sexuelle Aktivitäten. Ständige Sorgen um die Zukunft können Leistungsangst auslösen, die zu Erektionsstörungen führen kann. Auch schlechter Schlaf, zum Beispiel durch langes Scrollen bis tief in die Nacht, kann zu Funktionsstörungen führen, da der Testosteronspiegel sinkt. Stress kann aber nicht nur als Lustkiller, sondern auch als eine Art Motivator wirken.
"Geilheit und Angst liegen manchmal nahe beieinander."
Wie meinst du das?
Eine Person denkt überhaupt nicht an Sex, wenn sie gestresst ist, aber eine andere braucht Sex gerade, um Stress zu verarbeiten. Sexualität ist für viele Menschen einfach wichtig, um sich abzulenken, abzuschalten von dem, was belastet. Masturbation hat übrigens auch eine stabilisierende Wirkung.
Das heißt, die aufgeheizte politische Stimmung kann sogar zu mehr Sex führen?
Generell gilt: Starke Emotionen können mit sexueller Anziehung einhergehen. So kann man sich auch erklären, dass es Menschen gibt, die Sex nach einem Streit als besten Sex beschreiben, weil die übrig gebliebene Erregung die sexuelle Erregung anheizt. Die Libido eines Menschen braucht gerade "genug" Angst, Spannung und Unsicherheit, um aktiviert zu werden, aber nicht zu viel davon, sonst sinkt die Libido wieder. Geilheit und Angst liegen manchmal nahe beieinander.
Kann das Liebesleben leiden, wenn ein Paar politisch völlig unterschiedlicher Meinung ist?
Das habe ich in der Praxis noch nicht erlebt. Es ist eher so, dass Unterschiede in Liebesbeziehungen wichtig sind, um die Spannung, auch die erotische, zu wahren. Paare, die genau gleich denken und fühlen, sich immer einig sind, verlieren schneller die Lust. Konflikte sind okay in einer Beziehung. Da sehe ich eher kein Problem.
Sex hebt ja zumeist die Laune. Können wir unsere politischen Sorgen kurzfristig "wegvögeln"?
Sex kann tatsächlich eine Anti-Stress-Maßnahme sein. Er eignet sich auch gut, um Kraft zu tanken. Gerade in Krisenzeiten kann es schon sein, dass sich die Sexualität verändert – allerdings in beide Richtungen, wie ich eben schon erwähnte.
Was würdest du Lustlosen raten, wie sie wieder etwas in Stimmung kommen, auch wenn die Atmosphäre politisch ätzend ist?
Ich würde betroffenen Menschen raten, sich mal ganz bewusst Dingen zu widmen, die sie entspannen und ihre Stimmung heben. Das kann ein langer Spaziergang sein, der Lieblingssport oder ein gutes Buch. Hauptsache, die Politik hat mal Pause.
Du hast ein ungutes Gefühl, weil der Partner irgendwie abweisend ist? Das kann passieren. Wir schauen uns die Alarmzeichen genauer an.
Wer kennt’s nicht? Man sitzt gemütlich nebeneinander, die Stimmung ist eigentlich entspannt – und plötzlich wirkt er irgendwie anders. Kürzere Antworten, ein genervter Blick, vielleicht ein betontes Schweigen. Und obwohl du ganz sicher weißt, dass da was ist, kommt auf die Frage "Alles okay bei dir?" nur ein betont gleichgültiges "Ja, alles gut". Aha. Klar.