Einfach war der Weg für Katherine nicht, aber er war es wert, sagt sie.Bild: privat
Die Stimme
08.06.2024, 14:0120.06.2024, 12:25
Triggerwarnung: Dieser Text thematisiert Gewalterfahrungen und kann dadurch retraumatisierend wirken oder negative Gefühle auslösen.
Ihr Vater schnitt ihre langen Haare ab und beim Sex trug sie immer Slip: Katherine Leyla Wascher ist 26 Jahre alt, Pflegefachkraft-Azubi – und trans*.
Zum Pride Month berichtet die Influencerin aus NRW, wie hart ihr Weg ins Frauenleben war und warum er sich dennoch gelohnt hat.
Für mich war immer klar: Ich bin mehr Mädchen als Junge. Nur mein Spiegelbild zeigte etwas anderes.
Ich wurde im Körper eines Jungen geboren, verhielt mich aber nicht genderkonform. Im Kindergarten spielte ich mit Puppen, lackierte mir die Nägel und hatte vor allem Mädchen-Freundinnen. Aus Luftballons bastelte ich mir Brüste.
"'Ich bin trans*!' Ich war zehn Jahre alt, als ich das begriff."
Coming-Out vor den Eltern
Mit zunehmendem Alter wurde deutlicher, dass etwas "nicht stimmte", denn ich verliebte mich nur in Jungs. In der Schule hieß es, ich sei schwul. Ich habe mich aber nie als homosexuell gesehen. Schon die Vorstellung, dass jemand mein männliches Genital angefasst hätte, war für mich komisch. Ich wollte nicht als Mann geliebt werden, sondern als Frau.
Erst als ich online eine Freundin kennenlernte, die trans* war, hat es 'Klick' gemacht. Es war, als hätte mir dieses eine Puzzleteil die ganze Zeit gefehlt. "Ich bin trans*!" Ich war zehn Jahre alt, als ich das begriff.
Nun wusste ich zwar, was los war. Es meiner Familie zu beichten, war allerdings mehr als schwierig und ihre Reaktionen katastrophal.
Meine Mama ist in Kasachstan geboren, mein Papa Türke. Beide haben konservative Ansichten. Meine Mutter sagte, das sei alles nur ein Hirngespinst. Es gab Schläge. Mein Vater hat mir – das war das Schlimmste – gegen meinen Willen meine langen Haare abgeschnitten.
Die körperliche und seelische Gewalt, insbesondere aber die kurzen Haare, wurden zum Riesentrauma. Ich ging nicht mehr zur Schule. Suizidgedanken verfolgten mich. Irgendwann sagte ich zu meiner Mutter: "Mama, entweder du akzeptierst es oder ich möchte nicht mehr leben." Notgedrungen ließ sie mich gewähren. Zu meinem Vater brach der Kontakt ab.
"In einem Streit sagte meine Mutter, dass sie wünschte, sie hätte abgetrieben."
Zwei Jahre lang musste ich vor psychologischen Gutachtern "beweisen", dass ich mich wirklich weiblich fühlte, mit 13 Jahren startete meine Hormonbehandlung.
Nun nannte ich mich Katherine. Ich ließ meine Haare wieder wachsen und mir Ohrlöcher stechen, trug Absatzschuhe. Schritt für Schritt fand ich in meine feminine Rolle hinein.
Mit der Familie blieb es schwierig. Stieg ich in denselben Bus wie meine Oma, tat sie, als würde sie mich nicht kennen. Ich durfte auch nicht zur Beerdigung meiner Uroma. Viele Leute haben sich von mir abgewandt, wenige sind bei mir geblieben.
Ich wurde auf dem Schulhof mit Schneebällen beschmissen, bespuckt und geschlagen und auch zu Hause war weiterhin Stress. In einem Streit sagte meine Mutter, dass sie wünschte, sie hätte abgetrieben, sodass ich "nie geboren worden" sei.
Das saß. An diesem Tag versuchte ich mich umzubringen.
Ich wachte auf der Intensivstation auf, mit gerade einmal 14 Jahren. Ich hatte zwar überlebt, aber zog mich weiter zurück. Mein Zimmer wurde mein safe space.
Fühlst du dich verzweifelt?
Telefonseelsorge: Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichst du rund um die Uhr Mitarbeiter:innen, mit denen du sprechen kannst. Auch ein Gespräch via Chat oder E-Mail ist möglich.
Kinder- und Jugendtelefon: Der Verein "Nummer gegen Kummer" kümmert sich vor allem um Kinder und Jugendliche. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter der Rufnummer 116 111.
Krisenchat: Bei Krisenchat kannst du dich per Whatsapp rund um die Uhr an ehrenamtliche Berater:innen wenden. Das Angebot richtet sich an Menschen bis 25 Jahre.
Die fehlende Zuneigung holte ich mir bei Männern. Ich habe sehr früh angefangen, zu daten. Zu früh.
Sex und Liebe als Transfrau
Mit nur 16 Jahren zog ich aus. Ich hatte über Youtube einen 23-Jährigen kennengelernt, der die Streitereien und Schläge in meiner Familie mitbekam und sagte: "Katherine, ich kann das nicht mehr mitansehen." Drei Jahre lebte ich zusammen mit ihm in Remscheid.
Ich sprach in dieser Zeit nicht über meine Transsexualität. Denn mein Ex war – wie alle meine Partner – hetero und wollte nicht, dass jemand von meinem trans*-sein erfuhr. Für ihn war ich einfach Katherine, was schön war, aber ich hätte mich neben ihm nie ganz entfalten können.
"Ich habe mich nie nackt ausgezogen, auch beim Sex eine Unterhose anbehalten."
Meine zweite Beziehung war völlig toxisch. Er hat mich betrogen, geschlagen, mich wie seine persönliche Bank benutzt. Es war eine harte Zeit, in der ich mir anhören musste, dass mich "kein anderer je nehmen" würde, weil ich trans* bin. Dass ich "ohne ihn nichts" wäre. Die Trennung von diesem Mann lehrte mich viel.
Ich weiß jetzt, dass ich einen selbstbewussten Partner brauche. Keinen, der Männlichkeit über seinen Schwanz definiert.
Ich war einmal nah dran, auch wenn es eine verbotene Liebe war. Ich lernte diesen Mann vor zwei Jahren kennen und habe erst durch ihn verstanden, dass ich mich beim Sex nicht schämen muss. Dass es okay ist, dass ich noch einen Penis hatte. Okay ist, wenn ich durch Analverkehr zum Orgasmus komme – was für mich ein extrem schambehaftetes Thema war.
Bis dato habe ich mich immer sehr für mein Geschlechtsteil geschämt. Ich habe mich nie nackt ausgezogen. Doch bei ihm hatte ich nie das Gefühl, nicht "fertig" zu sein. Bei diesem Menschen habe ich mich mehr als Frau gefühlt als bei jedem anderen.
Im Sommer 2023 durchlief ich dann meine geschlechtsangleichende Operation. Das hat mir einen 10.000-fachen Selbstwert-Schub gegeben. Ich bin in dem Körper angekommen, den ich immer fühlte.
Nach der Geschlechts-OP konvertierte ich zum Islam
Nach meiner Operation bin ich zum Islam konvertiert und erhielt meinen zweiten Namen Leyla. Ich habe mich zwar immer der Religion verbunden gefühlt, aber ich dachte, als Transperson hätte ich dort keinen Platz.
Bis sich der Hodscha, unser Religionsgelehrter, meine Geschichte anhörte und sagte: "Du hast deine Vergangenheit, aber du hast deinen Weg gefunden. In deiner Zukunft bist du eine Frau und in deiner Seele warst du nie etwas anderes." Noch vor Ort habe ich den Glaubensruf ausgesprochen und wurde Muslima.
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Wenn man hört, was in anderen Ländern abgeht, dass Personen wie ich gesteinigt und inhaftiert werden, entsetzt mich das. Aber es sind fehlgeleitete Menschen, die sich hier schuldig machen, nicht Gott.
Dass ich trans* bin, muss ich mit Allah ausmachen, mit niemandem anderen! Gott hat uns alle erschaffen. Wenn er keine homosexuellen oder trans*-Menschen gewollt hätte, würde es uns nicht geben. So sehe ich das. Was ich auch vom Islam gelernt habe? Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind. Selbst die, die mich hassen.
Über Hass und Selbstliebe
Inzwischen liebe ich jeden einzelnen meiner Hater. Sie sind die beste Mundpropaganda, die es gibt. An diesen Punkt zu kommen, war aber anstrengend. Ich war mit meinem Körper und meinem Umfeld im Krieg.
Ich weiß, wie hart es ist, sich im Spiegel anzuschauen und sich hässlich zu finden. Zu männlich. Nicht gut genug. Krass, dass man sich mit so viel Selbsthass befasst, bevor die Selbstliebe einsetzt. Bei mir kam sie mit jedem Schritt meiner Transition: die Haare, die Hormone, die Geschlechts-OP. Es dauerte, aber nun bin ich da.
"Heute möchte ich nur wie ein x-beliebiger Mensch behandelt werden."
Jeder trans*-Mensch muss verstehen, dass es ein schwerer Weg wird. Du wirst neugierige Blicke und spöttische Reaktionen erleben und ständig zum Arzt rennen. Aber du wirst lernen, damit klarzukommen. Es lohnt sich.
Heute möchte ich nur wie ein x-beliebiger Mensch behandelt werden. Wie eine normale Frau, die den Alltag hinter sich bringt und froh ist, wenn sie zu Hause ihre Ruhe hat.
Ich berichte zwar auf Social Media aus meinem Leben, aber ich will niemandem etwas aufzwingen. Ich finde es okay, wenn jemand sagt: "Auf das Thema Transsexualität komme ich nicht klar." Ich habe Arbeitskollegen, denen es so geht. Wir müssen uns nicht lieben, aber wir können den Weg des anderen respektieren.
Für die Zukunft wünsche ich mir, dass ich beruflich vorankomme. Dann möchte ich reisen und mich neu verlieben, wer weiß, irgendwann sogar ein Kind adoptieren.
In erster Linie aber, – egal wie, wo und mit wem – will ich in Zukunft aber vor allem eins sein: eine glückliche Frau.