Wer sich solchen Fragen ehrlich und in aller Ruhe stellt, kann oft schon viel für seine psychische Gesundheit tun, davon ist Roland Golsner überzeugt. Der 23-Jährige engagiert sich für Menschen, die psychische Krisen durchleben. Vor allem online betreibt er Aufklärungsarbeit, hat nun auch ein "Journal" verfasst, dass Betroffenen in dunklen Zeiten helfen soll.
Triggerwarnung: Im folgenden Text werden Suizidgedanken thematisiert, die für Betroffene belastend sein können.
Der Grund, warum "Roli" das Thema so am Herzen liegt? Er litt selbst jahrelang unter Depressionen und einer Essstörung, versuchte mehrfach sich das Leben zu nehmen.
Zum World Mental Health Day sprachen wir mit dem deutschen Blogger über das Prinzip Journaling und warum er heute froh ist, dass keiner seiner Suizid-Versuche erfolgreich war.
Watson: Online klärst du über psychische Gesundheit auf und gibst Tipps zu Mental Health. Wie sind deine eigenen Erfahrungen mit dem Thema?
Roland Golsner: Ich bin als Kind gemobbt worden, war lange magersüchtig und depressiv. Gleich mehrmals versuchte ich, mir das Leben zu nehmen. Auch meine beste Freundin brachte sich in unserer Jugend um. Ich weiß also aus eigener Erfahrung, dass psychische Probleme keine Kleinigkeit sind.
Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Journal zu entwickeln?
Das Journaling hat mir selbst unheimlich geholfen. Ich habe vor Jahren damit angefangen, nachdem ich keinen Therapieplatz gefunden hab und es hat sich für mich bewährt.
Du hattest eine Essstörung. Hätte das nicht "krank genug" für einen Therapieplatz sein müssen?
Ich war ein halbes Kilo unterm Untergewicht und wurde daher abgewiesen, weil es noch nicht besorgniserregend genug war. Das war verheerend. Ich hatte das Gefühl, ich würde mich nur anstellen, ich sollte vielleicht noch kranker werden, damit mich jemand ernst nimmt. Es ging mir wirklich schlecht.
Wann wurde das besser?
Es war wirklich so, dass ich im Internet vom Journaling gelesen hatte und dachte: Wenn mir keiner hilft, kann ich das ja probieren, als letzte Option. Für mich war das der beste Notbehelf überhaupt. Natürlich kann nichts eine Therapie ersetzen! Wer eine ernste Krise hat, braucht eigentlich professionelle Hilfe.
Der Mangel an Therapieplätzen ist derzeit ein großes Problem. Bist du auch deshalb ein Fan des Journaling, weil man es selbstständig zu Hause machen kann?
Das Journaling ist für alle Menschen gut, die mit sich kämpfen und nicht wissen, wohin mit ihren Gefühlen. Das kann vor allem vorbeugend helfen. Es ist auch nützlich, die Gedanken sozusagen "mitnehmen" zu können, wenn man dann endlich vor einem Psychologen sitzt, denn aus eigener Erfahrung weiß ich: Oft landet man nach monatelanger Suche endlich auf der Couch bei einer Erstsitzung und plötzlich fehlen einem die Worte, um zu beschreiben, was die ganze Zeit in einem vorgeht.
Im Grunde sind das einfache Fragen, die man sich selbst stellt. Warum funktioniert das?
Im Alltag hat man manchmal sehr klare Erkenntnisse, doch am nächsten Tag weiß man es schon nicht mehr. Wenn man Probleme und Lösungsansätze aber aufschreibt, ergibt sich ein deutlicheres Bild. Zudem kann man Gedanken sortieren und sie mit anderen teilen, wenn man das will. Das können Eltern oder Freund:innen sein, denen man sich erklären möchte. Es fällt vielen Menschen leichter, ihre Gefühle aufzuschreiben, als sie auszusprechen.
Du hast mehrere Suizid-Versuche hinter dir. Denkst du daran manchmal zurück?
Ich habe teilweise immer noch Albträume davon, durchlebe diese Situationen wieder und wache nachts davon auf. Ich erinnere mich oft zurück und es ist für mich sehr beängstigend, dass ich dieses Leben, dass ich heute in vollen Zügen genieße, nicht mehr weiterführen wollte. Es macht mich betroffen.
Weil es dir heute gut geht?
Definitiv. Ich habe eine Beziehung, ich arbeite in einem Job, den ich liebe. Ich wandere nächstes Jahr nach Schweden aus. Ich hätte nie erfahren, wie viel Gutes mir noch begegnet, wenn es damals mit dem Suizid geklappt hätte. Ich hätte das Schönste verpasst.
Was würdest du dem Roland von damals gern sagen, wenn du in die Vergangenheit reisen könntest?
Dass es auch eine schöne Zukunft für mich geben kann und meine Gedanken und diese bedrückenden Gefühle nicht für immer so sein werden. Dass die Zukunft zwar beängstigend ist, aber ich mich dieser Angst stellen kann und es dann auf jeden Fall besser wird.
Meinst du, du hättest dir das geglaubt?
Vermutlich nicht. Wenn man so tief in Suizidgedanken steckt, dann hört man die positiven Sachen nicht so richtig und kann die auch nicht glauben.
Kommt daher deine Motivation, andere vor dieser Erfahrung zu bewahren?
Natürlich. Keiner soll sich je so fühlen wie ich damals. Aber viele tun es. Jeder vierte Jugendliche zwischen 18 und 25 Jahren hat psychische Krankheitssymptome. Dennoch sprechen wir kaum darüber, das Thema spielt zum Beispiel in der Schule keine Rolle. Ich denke, über psychische Erkrankungen, ihre Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten sollte die Gesellschaft aufgeklärt werden, wie über HIV.
Warum ist das Thema immer noch so ein Tabu?
Es wird besser. Aber jüngere Leute trauen sich oft nicht so richtig, über ihre Sorgen zu sprechen, weil die ältere Generation diese Gefühle oft abtut, so nach dem Motto: "Uns ging es früher schlechter und wir waren auch nicht depressiv. Geh einfach mal ins Kino oder mach ein bisschen Sport." Besonders Männer tun sich immer noch schwer, sich in psychischen Krisen ihrem Umfeld anzuvertrauen, weil sie nicht "schwach" sein wollen. Ich möchte dagegen halten. Betroffene sind nicht allein und was sie fühlen ist auch nicht "komisch". Es gibt Auswege, Hilfe und Lösungen bei psychischen Krisen. Die muss man nur kennen.