Nachdem es bei der Bund-Länder-Konferenz vergangenen Montag zu keinen neuen Beschlüssen gekommen ist, trifft sich Bundeskanzlerin Angela Merkel diesen Mittwoch erneut mit den Länderchefs, um über die Corona-Lage zu beraten. Neben der Eindämmung der Pandemie haben die Regierenden eine weitere Mission: Weihnachten retten.
Ein Beschlussentwurf, auf den sich die Länder am Wochenende einigten, sieht nun vor, dass der "Lockdown light" bis zum 20. Dezember verlängert wird, Kontaktbeschränkungen über das Weihnachtsfest allerdings gelockert werden sollen. Auch rufen die Ministerpräsidenten dazu auf, vor Weihnachten in eine Selbstquarantäne zu gehen.
Wie sinnvoll die vorgeschlagenen Maßnahmen sind und ob sie eine sichere Weihnachtsfeier ermöglichen – darüber hat watson mit dem Epidemiologen Markus Scholz gesprochen. Er ist Professor an der Uni Leipzig, betreibt mit seiner Arbeitsgruppe seit 15 Jahren Infektionsforschung und untersucht derzeit die Corona-Pandemie.
watson: Die Länder schlagen vor, die derzeitigen Maßnahmen – also geschlossene Restaurants, Bars, Hotels, Kontakte möglichst beschränken – bis zum 20. Dezember aufrechtzuerhalten. Glauben Sie, diese Maßnahmen reichen angesichts des aktuellen Infektionsgeschehens aus? Immerhin hat der Lockdown im November noch keine starke Wirkung gezeigt.
Markus Scholz: Bislang sehen wir nur einen geringen Rückgang der Neuinfektionen, das ist richtig. Auch unsere Modellsimulationen ließen dies befürchten. Unter den aktuellen Maßnahmen ist deshalb nicht zu erwarten, dass bis zum 20. Dezember die Pandemie weitgehend unter Kontrolle ist. Dazu müssten die Maßnahmen erheblich intensiviert werden.
Sollten die Infektionszahlen heruntergehen: Für wie sinnvoll halten Sie es, die Maßnahmen über Weihnachten zu lockern? Müssen wir dann mit einem steigenden Infektionsgeschehen nach den Feiertagen rechnen?
Eine zeitweise Lockerung der Maßnahmen in Verbindung mit vielen Familienfesten kann schon zu einem Wiederanstieg der Neuinfektionen führen. Andererseits ist natürlich klar, dass das Weihnachtsfest nicht ausfallen wird. Ich rate hier einfach zur besonderen Vorsicht, vor allem vor und nach den Familientreffen. Hierzu gehört die konsequente Einhaltung der AHA+L-Regeln (Anm. d. Red: Abstand halten, Hygiene, Alltagsmaske und Lüften) sowie eine weitgehende Reduktion von Kontakten vor und nach dem Fest.
Können wir in Anbetracht der Lage ruhigen Gewissens mit den Verwandten Weihnachten feiern oder empfehlen Sie, dieses Jahr im kleinen Kreis zu Hause zu bleiben?
Wenn man darauf vertrauen kann, dass alle an einer Feier Beteiligten die oben genannten Regeln einhalten, wäre eine Familienfeier relativ sicher. Zumindest für Kinder kann dies aber aktuell nicht sichergestellt werden. Meines Erachtens wäre es deshalb sinnvoll, zirka eine Woche vor Weihnachten auf Präsenzunterricht zu verzichten, damit Infektionen aus der Schule nicht in die Familienfeiern getragen werden. Außerdem wäre es generell angeraten, in kleinem Kreise zu feiern. Zudem sollte klar sein, dass auch bei unspezifischen Symptomen besser auf einen Besuch verzichtet werden sollte.
Ist es sinnvoll, vor einem Verwandtschaftsbesuch in Quarantäne zu gehen und wenn ja, wie lange?
Quarantäne ist sicherlich übertrieben. Wenn man die AHA+L-Regeln einhält und dichte Menschenansammlungen sowie direkte Kontakte meidet, kann man relativ sicher sein, sich nicht zu infizieren. Dies müsste dann aber auf alle Haushaltsmitglieder zutreffen. Aufgrund der Inkubationszeit würde zirka eine Woche Kontaktvermeidung ausreichen, um weitgehend sicherzustellen, dass man am Tag der Feier nicht infektiös ist. Bei Symptomen sollte der Besuch auf jeden Fall abgesagt werden.
Wie riskant ist es, auch nach einer Quarantäne mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu Verwandten zu fahren, beziehungsweise mehrere Stunden im Zug mit anderen Menschen zu sitzen? Riskiere ich dann nicht, meine Familie trotzdem anzustecken?
Man kann sich zwar durch die Fahrt selbst anstecken, wenn die Feier aber kurz danach stattfindet und kein längerer Aufenthalt besteht, steckt man seine Verwandten nicht an, da die Inkubationszeit einige Tage beträgt.
Über Weihnachten dürfen in einem Haushalt maximal fünf bis zehn Personen aus zwei weiteren Haushalten zusammenkommen. Wie bewerten Sie diese Regel? Ist es nachvollziehbar, dass unter 14-Jährige davon ausgenommen sind?
Inzwischen sehen wir einen deutlichen Eintrag der Infektion in die Gruppe der Kinder inklusive der Gruppe unter zehn Jahre. Das war bei der ersten Welle so nicht zu beobachten. Auch gibt es inzwischen sehr viele Berichte zu Ausbrüchen an Schulen. Es kann deshalb meines Erachtens nicht davon ausgegangen werden, dass Kinder deutlich weniger infektiös sind als Erwachsene. Wenn, dann gilt dies höchstens für kleine Kinder. Zumindest aus epidemiologischer Sicht ist diese Regel deshalb nicht sinnvoll.