Drogen wie LSD können auch therapeutische Wirkung entfalten. Bild: Getty Images / iStockphoto
Interview
Drogen wie Ketamin, MDMA oder LSD werden auch heute noch in die Schmuddelecke verortet. Aber auch die Wissenschaft interessiert sich immer mehr für die Wirkung bestimmter Drogen auf die menschliche Psyche, vor allem in den USA und der Schweiz wird daran geforscht. Obwohl erste Studien Erfolge zeigen, ist die Anwendung umstritten.
Anuschka Roshani wollte selbst herausfinden, wie LSD wirkt. Sie ist eine deutsche Journalistin, die in der Schweiz lebt und arbeitet. Aus der Recherche für einen Artikel zum Thema LSD wurde schließlich ein Selbstversuch, den sie in ihrem Buch "Gleißen. Wie mich LSD fürs Leben kurierte" erzählt.
Watson spricht mit Roshani über die Erlebnisse ihres Trips und darüber, wie LSD ihr Leben verändert hat.
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Watson: Frau Roshani, warum wollten Sie unbedingt LSD nehmen?
Anuschka Roshani: Ich bin über den Wissenschaftsautor Michael Pollan auf das Thema gestoßen. Durch ihn habe ich erfahren, dass es eine große Forschungsrenaissance bei LSD und anderen psychedelischen Substanzen wie Psilocybin gibt. Dann habe ich festgestellt, dass die Schweiz extrem führend in der Erforschung ist. Dort sind schon ungefähr 50 Therapeutinnen und Therapeuten zugelassen, die LSD bei Patienten anwenden dürfen. Es war also eine Mischung aus journalistischer und persönlicher Neugier.
Anuschka Roshani hatte zwar keine Depressionen, war aber neugierig – und probierte LSD für eine Studie aus
Und dann?
Ich zog los mit dem Gefühl: Wäre schön, wenn du im Zusammenhang mit der Recherche auch mal einen Trip erleben könntest. Damals war ich total blauäugig, weil ich gar nicht wusste, wie stark reglementiert das sogar in der Schweiz noch ist. Selbst hier, wo alles sehr viel liberaler gehandhabt wird mit Drogen, braucht man bei der Verabreichung von LSD einen Haufen Genehmigungen von der Gesundheitsbehörde.
Wie haben Sie es schließlich geschafft?
Ich habe ganz naiv dem ersten Psychiater, dem ich im Kontext meiner Recherche begegnet bin, gesagt, ich würde auch gerne mal LSD nehmen für meinen Artikel. Und der gab mir zwischen den Zeilen zu verstehen: "Träum weiter, Dummerchen" Aber dann habe ich den Wunsch beim Interview mit einem LSD-Forscher am Universitätsspital Basel geäußert. Und der sagte: "Ich kann Ihnen nicht einfach so LSD geben, aber wenn Sie Lust haben, können Sie als Probandin bei unserer Studie mitmachen, denn wir machen auch eine LSD-Studie mit gesunden Probandinnen und Probanden. Dann kriegen Sie LSD von uns, aber natürlich unter ärztlichen und kontrollierten Bedingungen." Und dafür habe ich mich dann entschieden.
Warum ist gerade LSD so ein spannendes Mittel zur Behandlung von Depressionen und Sucht?
Es ist eine bewusstseinsverändernde Substanz, wirkt also psychoaktiv. Es transportiert Gefühle aus dem Unterbewussten ins Bewusstsein. Das macht es so besonders. Und damit arbeiten Psychotherapeutinnen und -therapeuten: Sie versuchen, verdrängte Erlebnisse wieder zurück ins Bewusstsein zu holen und sie zusammen mit dem Patienten neu anzuschauen und so zu verarbeiten. Bei einer konventionellen Psychotherapie kann das Jahre dauern, während LSD das Unterbewusste wie auf Knopfdruck aufwirbelt und Erinnerungen und Bilder an die Oberfläche fluten lässt. Das macht es so extrem wirkmächtig.
"Es gab Trips mit sehr schönen Phasen, aber auch welche, wo ich Todesbilder vor meinem inneren Auge gesehen habe."
Das hört sich an wie eine Therapie im Schnelldurchlauf.
Ich kann mir vorstellen, dass man bei einer Therapie einen gewissen inneren Widerstand dagegen verspürt, sich unangenehmen oder sogar traumatischen Erfahrungen noch einmal zu stellen. LSD zwingt einen quasi dazu, weil man unter seinem Einfluss keine andere Wahl hat, als hinzugucken. Das Schöne ist aber, dass einem beim abermaligen Durchleben einer alten Erfahrung schon der Lösungsweg aufgezeigt wird.
LSD wird oft als bunte Pille, Kapsel oder Blättchen konsumiert. Bild: iStockphoto / Diy13
Inwiefern?
Die Bewusstwerdung, würde ich mal behaupten, ist schon die halbe Miete bei der Verarbeitung. So habe ich es zumindest empfunden. Auch bei Suchterkrankungen kann LSD übrigens sehr hilfreich sein. Ich kann mir das insofern vorstellen, weil ich meine Aufmerksamkeit unter LSD nicht mehr fokussieren konnte. Das scheint der Schlüssel zur Heilung von depressiven oder süchtigen Menschen zu sein. Deren Tunnelblick auf einen Suchtstoff, auf eine Angst oder ihre innere Düsterkeit wird durch LSD aufgesprengt. Das klingt verrückt, ist aber in sich schlüssig.
Aber können Suchtkranke nicht stattdessen nach LSD süchtig werden?
Das ist ein weit verbreiteter Irrtum in Zusammenhang mit LSD. Die Forschung beweist, dass LSD nicht abhängig macht. Und subjektiv kann ich das nachvollziehen: Es kann nämlich alles andere als angenehm sein.
Das heißt?
Es gab Trips mit sehr schönen Phasen, aber auch welche, wo ich Todesbilder vor meinem inneren Auge gesehen habe und hinterher enorm erschöpft war. In der Klinik sagte man mir: Wir hatten noch keine Probandin oder Probanden, die gleich wieder auf einen LSD-Trip gehen wollten. Nach bestimmten Trips habe ich sogar gesagt: Nie wieder, das schaffe ich nicht noch mal, viel zu anstrengend. Zumal ich diese Introspektion im Krankenhausbett erlebte, wo all die Bilder auf mich einprasselten. Danach fühlte ich mich zum ersten Mal wirklich mental erschöpft. Wie man einen Trip erlebt, hängt laut Forschung stark von Set and Setting ab: In welchem Gemütszustand man ist und wie sicher man sich zum Beispiel fühlt.
Was haben Sie während Ihrer LSD-Trips erlebt?
Ich habe mich an Sachen aus meiner Kindheit erinnert, aber ich konnte das Mosaik aus Erinnerungsfetzen nicht steuern. LSD bewirkt ein sogenanntes Scheinwerfer-Bewusstsein, wie es auch Kinder haben. Es ist so, als wäre LSD eine Taschenlampe, die wild den dunklen Raum durchleuchtet. Das heißt, ich kann unter LSD die Taschenlampe nicht mehr gezielt auf irgendeinen Punkt richten.
Haben diese Erfahrungen Sie auch dauerhaft verändert?
Ich glaube wirklich, die Verengung meines Blicks ist dadurch aufgebrochen worden. Ich hatte plötzlich wieder ein großes Grundvertrauen in das Leben – im Allgemeinen, ins große Ganze, aber auch im Einzelnen, in mein Leben. Dass irgendwie schon alles gut gehen wird. Viele Menschen haben heute offenbar das Gefühl, bald könnte die Welt untergehen: Es wird immer noch ein wenig düsterer.
Aber?
Trotzdem darf man, finde ich, vor all diesem Elend in der Welt nicht die Augen schließen. Zugleich weiß ich jetzt, dass ich mir früher viel zu viele Gedanken gemacht habe über Sachen, die es eigentlich nicht wert waren, etwa: Schaffst du es, den Artikel rechtzeitig abzugeben? Kriegst du die nächste Bahn? Meinen Alltag habe ich zu oft mit Sorgen beschwert, von denen ich im Nachhinein sagen würde, es waren Nichtigkeiten.
LSD (Lysergsäurediethylamid) ist ein starkes Halluzinogen, das bereits in sehr geringen Dosen stark wirken kann.Bild: iStockphoto / KatarzynaBialasiewicz
Und das war dann einfach so weg?
Schon nach dem allerersten Trip dachte ich: Ist doch gar nicht wichtig. Es war gar nichts Rationales, also dass ich gedacht habe, ich muss meine Alltagssorgen gegenrechnen gegen das schwere Leid der Welt, es relativieren. Sondern das klare Gefühl: Du musst dir keine Sorgen machen, alles wird gut. Schon okay, wie es ist. Das hat mein Lebensgefühl für mich im Kleinen wie im Großen enorm verändert. Ich habe viele Dinge akzeptiert und dadurch wurde es sogleich lichter und heiterer. Auch meinen großen Erledigungszwang, immer alles gut und sofort machen zu wollen und zur Zufriedenheit aller, bin ich ziemlich losgeworden. Natürlich will ich meine Sache immer noch möglichst gut machen und mit den Leuten auskommen. Aber da habe ich erst gemerkt, wie sehr es mich vorher stresste, immer und ständig funktionieren zu wollen.
Würden Sie LSD weiterempfehlen?
Nein, ich will es nicht anpreisen. Und trotzdem glaube ich, unter kontrollierten Bedingungen könnte es vielen Menschen guttun. Jeder Mensch hat wahrscheinlich irgendwelche Glaubenssätze. Und dadurch, dass das Bewusstsein so plötzlich und gewaltig verändert ist und man alles zumindest für 16 Stunden mal mit anderen Augen sieht, tritt man nach dieser Reise mit einer völlig neuen Perspektive auf sich und die Dinge wieder in die Welt.