Wer in Berlin Feiern geht, stößt zwangsläufig auf Mitmenschen, die auf Drogen sind oder gerade welche nehmen. Schockiert ist man in der Hauptstadt darüber schon lange nicht mehr. Statt nur auf Verbote zu setzen, versucht sich der Berliner Senat nun an präventiven Maßnahmen: Wenn schon Drogen konsumiert werden, dann doch lieber möglichst sicher.
Anfang Juni startete Drugchecking-Berlin, ein Modellprojekt für kostenlose Analysen von Drogen – und es ist ein voller Erfolg. Die drei Projektträger Vista-Misfit, Fixpunkt-Druckausgleich und Schwulen-Beratung untersuchten in den vergangenen drei Monaten insgesamt 428 Proben (Stand 14. August) und mussten aus Kapazitätsgründen etwa 380 Einreichungen ablehnen.
Lars Behrends von der Drogenberatungsstelle Vista bestätigt im Gespräch mit watson die hohe Nachfrage: "Die Leute sagen: 'Super, darauf haben wir gewartet'. Einige wären sogar bereit, für das Drug-Checking Geld zu bezahlen." Das Angebot wird jedoch vom Senat finanziert und ist damit komplett kostenfrei. Es sei schade, dass immer wieder Leute abgewiesen werden müssten, doch Behrends zeigt sich optimistisch:
Viel Nachfrage komme schon aus dem Partybereich, doch die Nachfrage zeige "einen Schnitt durch die ganze Gesellschaft", sagt Behrends. Das liege allein schon daran, dass die drei Träger des Drug-Checking verschiedene Schwerpunkte haben.
Vista und Misfit in Kreuzberg sind klassische Drogenberatungsstellen, Fixpunkt in Neukölln legt den Fokus auf Menschen, die heroin- und kokainabhängig sind. Hier werden Drogen-Checks für den Konsum ebenso gut angenommen. "Auch drogenabhängige Menschen mit einem wirklich problematischen Konsum versuchen, ihre Abhängigkeit in einer Art und Weise zu organisieren, dass Schäden minimiert werden."
Der dritte Träger ist die Schwulen-Beratung, die ebenfalls Drogenanalysen anbietet. Hier erreiche man viele Menschen aus der Sexszene, wo der Drogengebrauch auch eine große Rolle spiele. Denn neben Festivals würden vor allem auf Sex-Partys viele Drogen konsumiert. Das zeigten die Auswertungen der anonymen Fragebögen der Drug-Checking Behörde.
Darin wird unter anderem anonym erfasst, wie der oder die Konsument:in an die Drogen gelangt ist und unter welchem Label sie verkauft wurden. Die Befragung soll auch dazu anregen, dass die Menschen ihren Konsum reflektieren.
"Was die Leute verbindet, die zu uns kommen, ist, dass sie ein aufrichtiges Interesse daran haben, was sie sich da 'antun'", erklärt Behrends. "Und die Risiken ausschließen oder minimieren wollen. Wir haben es mit reflektierten Menschen zu tun."
Häufig konsumierte und daher auch zum Testen abgegebene Drogen sind daher die klassischen Partydrogen: MDMA, Ecstasy, Ketamin, Kokain und Speed. "Eine Überraschung war, dass wir erhebliche Menge an Cathinonen haben", sagt Behrends.
Dazu gehören Drogen wie 4MMC (Mephedron) oder 3MMC (Metaphedron). Ihre Wirkungsweise könne man als Mischung aus Kokain, MDMA und Speed beschreiben. Es sind also Stimulanzien, die teilweise empathisch machen, ähnlich wie MDMA, aber vor allem stimulierend und aufputschend wirken.
Wie die Analyse-Daten aus dem Labor zeigen, sind es vor allem die beliebten Party- oder Designerdrogen, die besonders häufig gefälscht oder falsch dosiert werden:
Also ist es dann doch egal, was genau in der Pille ist – solange sie so wirkt, wie ich will? Davon kann Behrends, auch aufgrund der neueren Vorfälle mit der Ecstasy-Pille "Blue Punisher", nur warnen.
Sehr viele Pillen seien extrem hoch dosiert. Um eine Überdosis zu vermeiden, sollten Konsument:innen deshalb immer erst einmal bei neuen, ungetesteten Pillen, nur ein Viertel oder Achtel davon einnehmen und prüfen, wie stark die Wirkung ist. Warnungen vor neuen oder häufig verunreinigten Pillen werden auch regelmäßig auf der Drug-Checking Website veröffentlicht.
Das Prinzip der "Harm Reduction", der Schadensbegrenzung, das das Modellprojekt anstrebt, scheint aufzugehen. Zwar gebe es keine Zwangsberatung für die Konsument:innen. Doch oft konsumierten die Menschen die Drogen dann doch nicht, wenn sie die genauen Inhaltsstoffe sahen. "Wir konnten viele Rückmeldungen geben bezüglich hochdosierter Pillen, falschdeklarierter Substanzen, oder Beimischungen, die nicht erwünscht waren. In einigen Fällen haben Konsumenten aufgrund unserer Rückmeldung die Entscheidung getroffen, eine Substanz nicht zu konsumieren."
Einen kleinen Nachteil gibt es aber: Ungefähr drei bis vier Tage müssten die Konsument:innen derzeit auf die Analyse-Ergebnisse ihrer Drogen warten. Eine Beraterin teilt den Befund telefonisch mit. Ein spontaner und sicherer Trip auf der Party ist damit nicht möglich, sondern nur mit genug Vorlauf.
Doch Behrends ist sich sicher: Die Menschen müssten ein Bewusstsein bezüglich der Risiken der verschiedenen Substanzen erlangen, um dann Entscheidungen zu treffen, die mit weniger Risiken verbunden sind.
Diese Aufklärung wirke auch langfristig. Wenn eine Person einen wirklich problematischen Konsum habe, werde das auch thematisiert. In dem Fall seien auch weitere Beratungen möglich.
Der Erfolg des Projekts hat sich bereits bundesweit herumgesprochen: Eine ganze Menge Nachfrage von Trägern aus anderen Bundesländern, die auch überlegen, ein Drug Checking anzubieten, seien beim Berliner Modellprojekt bereits eingetrudelt – beispielsweise aus Hessen, Thüringen und Baden-Württemberg.
Diese wollten "verständlicherweise auf unsere Erfahrungen zurückgreifen", so Behrends. Man selbst habe von den jahrzehntelangen Erfahrungswerten in der Schweiz profitiert, wo es das Drug-Checking bereits seit den 90ern gibt. Dortige Erhebungen des Bundesamts für Gesundheit zeigen: 65 Prozent sagen, aufgrund der Drug Checkings weniger riskant zu konsumieren. Bei einer Warnung aufgrund der chemischen Analyse konsumieren 90 Prozent der Personen weniger als geplant oder gar nichts von der betroffenen Substanz.
(Mit Material der dpa)