"Das mit dem Beziehungsexperten ist ja Quatsch", sagt er im Interview. Und dennoch ist es so: Für viele ist Autor Michael Nast seit "Generation Beziehungsunfähig" ein Experte in Sachen Liebe. Was schräg ist, weil er in dem Buch nichts anderes macht, als seine Fehler und Unzulänglichkeiten zum Thema aufzuschreiben.
Sein Buch wurde international ein Bestseller, der mit Frederick Lau verfilmt wurde. Jetzt ist mit "Weil da irgendetwas fehlt" (Piper) sein neues Buch erschienen. Und es geht fast gar nicht um Dating.
watson: Hast du manchmal ein schlechtes Gewissen, weil du mit "Generation Beziehungsunfähig" eine Entschuldigung für das beschissene Dating-Verhalten einer ganzen Generation gefunden hast?
Michael Nast: Tatsächlich habe ich dem Ganzen einen Namen gegeben und damit auch ein Argument geliefert. Wenn du Mist baust, dann bist du jetzt kein Arsch mehr. Dann ist das, weil wir halt so sind.
Und jetzt hast du genug von der Liebe? In deinem neuen Buch schreibst du über To-do-Listen, Prokrastination und Corona.
"Generation Beziehungsunfähig" war für mich Fluch und Segen. Es war kommerziell sehr erfolgreich, aber irgendwann war ich nur noch der Autor, der über Liebe und Beziehungen schreibt.
Ist es nicht erstaunlich, dass du zum Beziehungsexperten wurdest – indem du deine eigene Unfähigkeit, Beziehungen zu führen, öffentlich gemacht hast?
Meine längste Beziehung ging drei Jahre. Ich habe noch nie eine Beziehung geführt, die über die Verliebtheitsphase hinausging. Ich bin wirklich kein Beziehungsexperte.
Wäre es fatal für deine Bücher, wenn du keine Probleme mehr hättest?
Wahrscheinlich schon. Wenn ich irgendwann austherapiert wäre, würde ich vielleicht nur noch Rosamunde Pilcher schreiben. Ich glaube, man braucht diese Defizite als Antrieb.
Dann ist es gut, dass eigentlich immer irgendwas fehlt, oder?
Das soll ja so sein. Uns soll etwas fehlen als Bürger:innen in der Gesellschaft. Wir lernen nicht, gute Menschen zu sein, wir lernen, in einer Marktwirtschaft zu funktionieren. Sonst würde eine auf ewiges Wachstum ausgerichtete Gesellschaft nicht funktionieren. Ich habe noch 14 Jahre Ostberlin und damit auch ein ganz anderes wirtschaftliches und gesellschaftliches System kennengelernt. Erfolg hatte in der DDR nichts mit Geld zu tun. Davon hätte man sich sowieso nichts kaufen können. Also waren Familie und Freunde umso wichtiger.
Was fehlt uns heute im Vergleich?
Es geht mir um die Authentizität. Um echte Gefühle. Genau danach sehnen sich viele Influencer:innen heute. Die tun so, als wären sie authentisch. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Sie müssen aufpassen, dass sie nicht zu Gefühlsdarstellern werden. Die sitzen in ihrem Wohnzimmer und weinen in ihre Kameras. Aber das ist oft nur Selbstvermarktung.
Geht es dir nur um Influencer:innen oder uns alle?
Alle wollen immer empathisch sein. Du siehst die Nachrichten oder einen Film über ein Kriegsgebiet, findest alles schrecklich und musst weinen. Aber sobald diese Leute nach Deutschland kommen, ist die Empathie umgehend gelöscht und man redet nur noch über "die Ausländer".
Können wir Mitgefühl lernen?
Den meisten geht es darum gar nicht. Am Ende machen einfach alle ihre Eltern für ihre Defizite verantwortlich. Dabei sind das völlig unreflektierte Schuldzuweisungen. Wenn du Anfang 30 bist, noch nie irgendwas aufgearbeitet hast – dann ist das vor allem dein eigener Fehler.
Eigentlich sind wir mit dem Aufarbeiten heute weiter als die Generation unserer Eltern. Zur Therapie zu gehen ist nicht mehr ungewöhnlich.
Meiner Meinung nach müssten physische und psychische Gesundheit gleichgestellt werden. Aber davon sind wir weit entfernt, die Zahl der Kassensitze ist in Deutschland nach wie vor extrem begrenzt. Es ist ganz offensichtlich, dass es nicht zum Plan gehört, dass sich das ändert. Dass jetzt offener mit dem Thema umgegangen wird, ist schön und gut. Aber was bringt das, wenn trotzdem ein:e Lehrer:in als untragbar gilt, weil man eine Therapie gemacht hat?
Warum würdest du in Therapie gehen?
Ich werde auf jeden Fall, wenn ich das nächste Mal eine Beziehung eingehe, in Therapie gehen und mir Hilfe holen. Es gibt auch immer mehr Paare, die schon vor den ersten Problemen anfangen, in Paartherapie gehen.
Du legst in Büchern deine Defizite offen – und trotzdem bekommst du viele Sex-Angebote.
Ich kriege bei Lesungen viele Nummern zugesteckt. Aber das sind ja nicht alles Sex-Angebote. Das Geheimnis ist vielleicht, dass ich ein Typ bin, der reflektiert wirkt und über emotionale Themen spricht, der aber bisher doch immer an die falschen Frauen geraten ist. Vielleicht hat man da als Frau den Wunsch, dass sie diejenige ist, mit der es anders läuft.
Was machst du mit den Nummern?
Gar nichts. Das ist nichts für mich. Ich will mich auf eine Person konzentrieren.
Gibt es für dich ein No-Go bei Dates?
Ich mache keine Dates in Bars mehr. Mit Alkohol kann sich jeder unterhalten. Da merkt man nicht, ob es wirklich passt. Wenn man sieben Stunden nüchtern redet und die Gesprächsthemen nicht ausgehen, ist wirklich was passiert.
Datet die Gen Z anders andere Generationen?
Was ich mitbekomme, ist, dass junge Menschen gnadenlos ehrlich miteinander sind. Da wird sofort alles ausgepackt und bei Dates auch mal das Verhältnis zum Vater analysiert. Mich hat tatsächlich beim ersten Date schon mal eine Frau mit ihrem Vater verglichen.
Und das ist keine Red Flag für dich?
Wir sind doch alle beschädigte Persönlichkeiten.
Auch Menschen in Beziehungen können beschädigte Persönlichkeiten sein. Ist das wirklich ein Single-Problem?
Ich glaube, die Menschen, die länger auf dem Single-Markt unterwegs sind, haben teilweise so viele schlechte Erfahrungen gemacht, dass sie anderen Menschen kaum noch vertrauen können. Die wurden so oft verletzt, dass sie inzwischen von vornherein denken, das wird sowieso nichts.
Wie funktionieren Dates in der Gen Z sonst noch?
Ich habe den Eindruck, dass viele junge Menschen heute gar keine Lust mehr haben auf viel Sex mit vielen Menschen. Die wollen wirklich eine Langzeit-Beziehung.
Kannst du das erklären?
Bei der Gen Z ist alleine durchs Alter noch nicht so viel versaut. Es gab einfach noch nicht so viele Enttäuschungen. Aber vielleicht liegt es auch daran, dass die Generation sehr früh geprägt wurde von Pornografie, die Leistungsdruck entstehen lässt. Mit einer Beziehung wenden sie sich davon einfach ab. Und wahrscheinlich liegt es auch an all dem Irrsinn, der uns umgibt.
Was meinst du?
Die GenZ ist ja eine Generation, die nur Krisen kennt. Ukraine, Israel, Klimakrise, Flüchtlingskrise. Überall flammen neue Konfliktherde auf. Wenn du so aufwächst, macht das was mit dir. Wenn junge Menschen eine Beziehung eingehen, dann schafft man sich auch eine Art Heimatgefühl mit einer anderen Person.
Wie passen dazu Trends wie Breadcrumbing und Ghosting?
Du hast immer beides. Dieses Verhalten gab es bei uns schon, ohne einen Namen dafür zu haben. Und ich glaube, das kommt vor allem durch Online-Dating und Dating-Apps: Da hast du kein Gefühl mehr dafür, dass es um echte Menschen geht, die verletzt werden können.