Unter dem Hashtag #allesdichtmachen zogen am Wochenende 53 deutsche Schauspieler, darunter Stars wie Jan-Josef Liefers und Volker Bruch, ironisch über Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht und Homeschooling her. "Nicht alle in dieser Gruppe sind Gegner eines wie auch immer gearteten Lockdowns", erklärten die Kampagnenmacher zu der Intention dahinter. "Es geht um den Blick auf die Schäden, die die Corona-Maßnahmen auf vielerlei Art anrichten."
Doch die Aktion der Künstler endete in einem großen Shitstorm: Kollegen und Politiker kritisierten, dass die Darsteller der Querdenker-Bewegung mit ihren Statements Zündstoff liefern würden. Wieder andere ärgerten sich besonders über den zynischen Tonfall angesichts realer Probleme. Darunter auch Carola Holzner.
Die Intensivmedizinerin ist leitende Oberärztin am Universitätsklinikum Essen und im Internet als "Doc Caro" unterwegs. Als Reaktion auf die Kampagne rief sie nun den Hashtag #allemalneschichtmachen ins Leben und fordert die Schauspieler darin auf, einen Tag einen Mediziner oder Pfleger im Arbeitsalltag zu begleiten. Das könne heilsam gegen unangebrachten Spott sein.
Im Gespräch mit watson erklärt die 39-jährige Medizinerin, warum sie sich zu der Kampagne der Schauspieler äußern wollte und ob sie die Idee vom Schnuppertag gegen Ignoranz wirklich ernst meint.
watson: Was haben Sie empfunden, als Sie die #allesdichtmachen-Videos gesehen haben?
Carola Holzner: Ich war ein bisschen irritiert, weil ich erst gar nicht verstanden habe, was der Sinn hinter dieser Kampagne ist. Dann ist mein Postfach übergequollen von Menschen, die ebenfalls im Gesundheitssystem arbeiten und gesagt haben: "Guck' dir das mal an, das ist doch für uns alle ein Schlag ins Gesicht." Die fühlten sich durch diese Ironie verspottet.
Die Menschen fühlten sich verspottet – wie meinen Sie das?
Mit den Videos wurde eine Schmerzgrenze überschritten. Es war einfach sehr unsensibel gegenüber Patienten, Angehörigen und den Kollegen, die im Gesundheitswesen arbeiten und all den anderen Menschen, die sich an die Maßnahmen halten, auch wenn sie das extrem belastet. Es kam so rüber, dass die Schauspieler alle gegen die Corona-Regeln sind, aber so ist es nicht und ich glaube, das haben viele, wissentlich oder unwissentlich, missverstanden.
Das Problem ist also nicht die Message, sondern der Tonfall der Schauspieler?
Genau. Ich verstehe, dass man zum aktuellen Zeitpunkt in vielen Bereichen, auch in der Kultur, ein Sprachrohr braucht, um seinen Unmut loszuwerden und seine Bedenken zu äußern. Und ich finde auch, dass Kritik erlaubt sein muss – ich kritisiere ja selbst, dass die politische Stringenz in der Corona-Krise absolut fehlt.
Aber?
Das Problem ist die Art und Weise, wie diese Kritik dargestellt wird: Ironie und Sarkasmus sind bei dem Ernst der Lage nicht angebracht und auch das Timing ist wirklich schlecht. Im Endspurt der Pandemie Witze zu machen, die von vielen auch noch missverstanden werden, ist einfach nicht gelungen.
War ein Schauspieler dabei, den sie eigentlich immer gerne mochten?
Ich mag viele dieser Schauspieler sehr gerne. Ich bin ein "Tatort"-Fan und da waren ja einige Charakterdarsteller dabei, die im Grunde jeder kennt und mag. Auch deshalb finde ich die Aktion unüberlegt: Diese Menschen haben eine Vorbildfunktion und eine gewisse Reichweite – dass sie diese so fehlgeleitet nutzen, hat mich doch ein wenig überrascht.
Wie waren die Reaktionen auf #allemalneschichtmachen?
Bislang gab es einige Unterstützer und Reposts, was ich schön finde. Ich wollte ja damit einen friedlich-freundlichen Hashtag kreieren, der gar nicht ironisch gemeint ist. Ich wünsche mir einfach gute, ehrliche Debatten und ein solidarisches Miteinander. Wir würden wirklich gerne einen Einblick in unser Arbeitsleben geben, weil man danach die Corona-Krise noch einmal mit anderen Augen sieht.
Würden Sie das ernsthaft umsetzen, wenn sich jetzt zum Beispiel eine Meret Becker melden würde?
Ja, das hat aber gar nichts mit prominenten Schauspielern zu tun. Ich würde mir generell wünschen, dass viel mehr Leute mal einen Tag in unseren Berufsalltag reinschnuppern könnten, sei es im Krankenhaus, im Rettungsdienst oder in der Altenpflege. Unser Arbeitsalltag macht das Ergebnis von Corona-Maßnahmen oder auch fehlenden Maßnahmen greifbar.
Sie glauben, wer einmal Covid-19-Patienten und den Klinikalltag gesehen hat, versteht die Notwendigkeit eher?
I Wenn man selbst stundenlang in Vollmontur verbracht hat oder Menschen vor einem liegen sieht, die nach Luft schnappen, weil sie nicht mehr atmen können, begreift man sofort, warum der ironische Tonfall nicht angebracht ist. Die Patienten, die das Gefühl des Erstickens erleben müssen, finden das sicher nicht witzig. Und die überarbeiteten Kollegen eben auch nicht.