Der Krieg in der Ukraine, über zwei Jahre Pandemie und der allgegenwärtige Klimawandel: Eine Krise kommt in unserer Zeit nicht nach, sondern schon während der anderen. Kein Wunder, dass dies besonders an jungen Menschen nicht spurlos vorübergeht. Das zeigt eine von den Jugendforschern Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann durchgeführte repräsentative Befragung von 14- bis 29-Jährigen, die am heutigen Dienstag vorgestellt wurde.
"Junge Menschen wollen Spaß, Sinn und Sicherheit. Der Dreiklang war in den letzten Jahren wirklich stabil. Spaß stand an der Spitze", sagte Simon Schnetzer, Autor der Studie "Jugend in Deutschland" gegenüber dem Spiegel. Der Spaß ist nun wohl vorbei: Der mit dem Angriff Russlands gegen die Ukraine am 24. Februar nach Europa gekommene Krieg ist demnach aktuell die größte Sorge junger Menschen.
Insgesamt wurden für die Studie "Jugend in Deutschland" im März dieses Jahres 1021 junge Menschen befragt. Das Ergebnis: Die Kriegsangst ist nicht das Einzige, das der Jugend aufs Gemüt schlägt. Bedenken wegen des Klimawandels, der Inflation und der Spaltung der Gesellschaft sowie das durch Corona nach wie vor beeinträchtigte Lebensgefühl sind prägend für die Befragten.
"Wir haben eine Überlagerung von Krisen und diese Last für junge Menschen, die ist doch sehr groß geworden", ist Simon Schnetzers Fazit dazu. Denn es bleibt leider nicht nur bei den Sorgen: Der andauernde Krisenmodus strapaziert auch zunehmend die psychische Gesundheit der Jugend, wie die Studie herausfand.
Das Thema Krieg in Europa bereitet demnach 68 Prozent der Generation Z und Y die größten Sorgen. 46 Prozent der jungen Menschen haben aktuell große Angst, dass der Krieg in der Ukraine sich auf ganz Europa ausweiten könnte. Die bislang dominierende Angst vor dem Klimawandel wurde mit 55 Prozent durch den Ukraine-Krieg an die zweite Stelle verdrängt.
Die Sorgen vor den Preissteigerungen und den damit verbundenen gestiegenen Lebenserhaltungskosten beunruhigen 46 Prozent der Befragten. Angst vor einer sozialen Spaltung der Gesellschaft haben 40 Prozent und 39 Prozent befürchten eine Wirtschaftskrise aufgrund der derzeitigen Lage.
Die spürbaren Einschränkungen durch die Pandemie lösten bei den Befragten ein Gefühl des Kontrollverlustes bei der Gestaltung des Alltags aus. Dies betreffe auch die persönlichen Beziehungen und die Ausgestaltung ihrer Bildungs- und Berufslaufbahn. Verständlich, so waren doch gerade Schüler und Abiturienten durch die Auswirkungen der Pandemie besonders betroffen. Austauschprogramme und Auslandsjahre wurden verschoben oder gleich abgesagt.
Mit der "Generation Corona" ist wohl auch eine "Generation Verantwortung" entstanden: Der Jugendforscher Hurrelmann bescheinigt einem Großteil der jungen Generation, trotz allem Überdruss auch weiterhin nicht leichtfertig mit der Pandemie umzugehen, sondern sich eher zurückzuhalten.
Doch was diese dauerhafte Abwarte- und und Zurückhalte-Stellung mit Menschen macht, zeigte eine, ebenfalls kürzlich veröffentlichte, Studie des Kölner rheingold-Instituts, wie watson berichtete. "Spontanität wird durch ständige Selbstkontrolle ersetzt, Schuldgefühle sind zum Alltagsbegleiter geworden – die Deutschen leiden an Melancovid", attestierte Psychologe Stephan Grünewald, Mitbegründer des rheingold-Instituts, im Gespräch mit watson.
Die Forscher der Jugendstudie sehen die jungen Menschen in Deutschland bereits seit Jahren im "Dauerkrisen-Modus". Ältere haben bereits die Wirtschaftskrise von 2008, den großen Unfall des Atomkraftwerks Fukushima 2011 und die Flüchtlingskrise von 2015 als prägend erlebt.
Hinzu kamen in den letzten Jahren die Sorgen vor den Folgen des Klimawandels sowie mit dem Frühjahr 2020 die Umbrüche und Unsicherheiten wegen der Corona-Pandemie – und nun auch noch der Krieg. Der drückt als weitere große emotionale Last auf die ohnehin angespannte Stimmung. Fast die Hälfte (45 Prozent) der Befragten gab an, Stress zu erleben.
Auf der Liste der häufigsten psychischen Belastungen folgen mit 35 Prozent Antriebslosigkeit, Erschöpfung und Langeweile (je 32 Prozent) sowie Depression und Niedergeschlagenheit (27 Prozent). 13 Prozent fühlen sich hilflos, ganze sieben Prozent haben sogar Suizidgedanken. Diese Zahlen, so die Experten, seien erschreckend. Eine entsprechende Reaktion, etwa durch mehr psychologische Unterstützung an Schulen, sei wichtig.
Doch dazu hält eine andere Studie aus dem Februar 2022 gleich den nächsten Dämpfer bereit: Forscher:innen der Universitäten Leipzig und Koblenz fanden heraus, dass sich seit Pandemiebeginn die Wartezeiten von Kindern und Jugendlichen für eine Psychotherapie nahezu verdoppelt haben.
Trotz des deprimierenden Grundtonus, hält die neue "Jugend in Deutschland"-Studie zumindest ein zurückhaltend-optimistisches Signal bereit: Den Autoren zufolge ist die Grundstimmung in der jungen Generation trotz aller Krisensorgen erstaunlich positiv. Denn die meisten Befragten erwarten für sich persönlich, trotz aller Belastungen, eine gute Zukunft. Jugendforscher Hurrelmann sieht eine "jugendtypische, robuste, optimistische Grundhaltung", darunter "bröckelt es aber".
(mit Material von dpa-afxp)