Solltest du dich in einem dieser Sätze wiedergefunden haben, dann steckt dir die Pandemie vielleicht noch in den Knochen. Denn obwohl der Frühling im Anmarsch ist und die Corona-Maßnahmen weitreichend gelockert wurden, ist die Stimmung in Deutschland immer noch weit entfernt vom Energielevel vor der Pandemie – das legt eine aktuelle Studie nahe, in deren Rahmen ebenjene Sätze fielen.
Die Deutschen leiden unter "Melancovid", wie ein Forschungsteam des Kölner rheingold-Instituts herausfand. Für die Studie wurde eine tiefenpsychologische Untersuchung bei 40 Teilnehmenden gemacht und zusätzlich eine Befragung von 1000 weiteren Menschen in Deutschland. Demnach haben viele Deutsche trotz Lockerungen den Wunsch verloren, zu ihrem früheren Leben zurückzukehren. Um nicht wieder enttäuscht zu werden, dampfen demnach viele ihre Sehnsüchte ein und verharren in Abwarte-Stellung. Statt Optimismus hat sich in Teilen der Bevölkerung eine Egal-Haltung entwickelt.
"Die Menschen vermissen die frühere Unbeschwertheit und Selbstverständlichkeit, mit denen man dem Leben und seinen Verlockungen oder Herausforderungen begegnete", sagt Psychologe Stephan Grünewald, Mitbegründer des rheingold-Instituts. "Spontanität wird durch ständige Selbstkontrolle ersetzt, Schuldgefühle sind zum Alltagsbegleiter geworden – die Deutschen leiden an Melancovid".
Besonders erstaunlich: Während es in der Pandemie oft hieß, man würde ja gerne, man dürfe nur nicht, scheinen viele Deutsche inzwischen freiwillig auf Spaß verzichten zu wollen. Auch nach dem Ende der Einschränkungen wollen nur 9,1 Prozent der Bürger "versuchen, alles nachzuholen und besonders ausgelassen feiern oder shoppen". Diese Haltung beeinträchtigt auch den Konsum, wie der Jogginghosen-Kommentar zeigt, der im Rahmen der Studie fiel.
Lediglich 22,6 Prozent der Menschen wollen wieder zur Lebensfülle und Risikobereitschaft der Vorcorona-Zeit zurückkehren. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung wollen hingegen einige Vorsichtsmaßnahmen beibehalten und 27 Prozent bekunden sogar, dass sie in Zukunft zudem im Umgang mit Menschen zurückhaltender sein werden.
Diese Müdigkeit in Bezug auf das Leben geht einher mit einer gewissen Medien-Erschöpfung, von der Annemarie Wiedicke im Gespräch mit watson berichtet. Die Kommunikationsforscherin untersuchte im Team um Prof. Constanze Rossmann (LMU München) das Medienverhalten der Deutschen im Laufe der Pandemie und stellt fest: "Tatsächlich scheinen sich die Menschen prinzipiell schon noch zu informieren, aber eben deutlich weniger. Was wir aber auch sehen, dass die Themenverdrossenheit im Februar 2021 im Vergleich zum April 2020 signifikant stärker ausgeprägt war. Dies ist vor allem auf eine insgesamt ziemlich hohe Ablehnung der ganzen Thematik zurückzuführen, die Menschen scheinen zunehmend genervt und gelangweilt von Covid-19."
Ein typischer Satz, der im Rahmen ihrer bevölkerungsrepräsentativen Befragungen fiel: "Ich will nichts mehr von diesem Thema sehen oder hören."
Viele Bürger fühlen sich nach zwei Jahren Corona in einem resignativen Zustand, entdeckten auch die Forscher vom rheingold-Institut. Die Endlos-Schleife von immer neuen Corona-Varianten, neuen Maßnahmen und enttäuschten Hoffnungen haben ein Gefühl der Auswegs- und Perspektivlosigkeit erzeugt, was ein Satz aus den Befragungen verdeutlicht: "Wir haben doch alles gemacht, was man machen kann, aber es hört einfach nicht auf."
Viele haben es sich angesichts der Unvorhersehbarkeit der Entwicklung schlicht abgewöhnt, große Pläne zu machen und beschreiben zudem, dass sie sich die Exaltiertheit früherer Zeiten auch gar nicht mehr vorstellen können. Zitat eines Teilnehmers: "Wenn ich Bilder oder Filme von Konzerten oder tanzenden Menschen sehe, habe ich direkt ein Störgefühl, könnte ich mir für mich so nicht mehr vorstellen."
30,5 Prozent der Befragten beobachten zudem eine gewisse Antriebslosigkeit. 29 Prozent haben an einigen Dingen die Lust verloren, die ihnen früher Freude bereitet haben. Und 23,4 Prozent fürchten gar, bequem geworden zu sein und das alte Aktivitätslevel nicht mehr erreichen zu können: "Jeder lebt ein bisschen in den Tag hinein – mal gucken, was kommt" und "Ich bin faul geworden die letzte Zeit" gaben die Befragten an.
Diese emotionale Abgestumpftheit zeigte sich auch bei den Kommunikationsforschern, wenn es um das Thema Corona ging. Wiedicke erklärt gegenüber watson, dass ein Vergleich ihrer Erhebungen in den beiden Coronajahren zeigte, "dass die Menschen angaben, im Durchschnitt signifikant wütender", aber auch "niedergeschlagener, entmutigter sowie weniger erstaunt und überrascht zu sein, wenn sie an das Virus denken." Diese Entwicklung sei "alles andere als erfreulich."
Das Coronavirus schockiert also inzwischen nicht mehr – dennoch bremst es den Einzelnen weiterhin aus. Viele Befragte des rheingold-Instituts hoffen zwar auf den Sommer und geben sich ihren Urlaubs-Träumereien hin. Der erfolgreiche Abschluss einer Reiserücktritts-Versicherung erfreut dabei mitunter aber mehr als die Urlaubsaussicht, fassen die Forscher um Grünewald zusammen. Der melancholische Zustand resignativ-zurückgezogener Selbstbezüglichkeit habe sich in Teilen der Bevölkerung verfestigt.
Das Fazit der Forscher: "Melancovid" ist zu tiefgreifend, als dass sie sich von alleine wieder auflöst, nur weil die Corona-Maßnahmen fallen. Verlebendigung und Lebensfreude werden sich nach dem Ende der Pandemie nicht automatisch wieder einstellen.
Sie hoffen darauf, dass Politik, Medien und Kunst die Bevölkerung beim Wiederaufwachen unterstützen, in dem sie ein Aufbruchsklima schaffen, mahnen aber auch den Einzelnen, dass zur Rückkehr ins pralle Leben eine Art Neujustierung nötig werden könnte. "Wenn das Alltagsleben nicht mehr durch Einschränkungen und verordnete Vorsichtsmaßnahmen reglementiert wird, sind die Bürger wieder gefordert selbst Verantwortung zu übernehmen und zu entscheiden, wie sie leben wollen", so ihr Fazit. "Diese Freiheit ist jedoch anstrengender als die kindliche Haltung, die entweder auf unkritischen Trotz oder auf brave Anpassung setzt."
Doch nicht nur in Sachen Entscheidungen hätten wir alle nach zwei Jahren Pandemie wieder etwas Nachhilfe nötig. Auch im zwischenmenschlichen Miteinander hakt es offenbar. Viele Menschen hätten in der Pandemie geradezu verlernt, wie man aufeinander zugeht, wie man jemanden begrüßt oder wie man kultiviert streitet, so die Wissenschaftler.
Es sei daher im Grunde umso wichtiger, dass die Bars, Arbeitsplätze und Stadien wieder mit Leben gefüllt werden. Vielleicht können sie uns als Begegnungsstätten wieder Stück für Stück daran erinnern, wie das eigentlich nochmal geht, mit der Toleranz, den Mitmenschen und dem Spaß. Und vielleicht wären solche Anlässe auch ein guter Grund, die Jogginghose mal wieder gegen ein anderes Kleidungsstück einzutauschen...