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Ob NASA oder Roskosmos: Wie die ISS-Besatzung trotz Krieg den Frieden im All wahrt

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Während auf der Erde Krieg herrscht, sind Astronauten aus Russland, den USA und Deutschland weiterhin zusammen im Weltall unterwegs. Bild: nasa.gov
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Trotz Krieg ein Team: Weltraumpsychologin erklärt, wie Astronauten mit Krisen auf der Erde umgehen

17.03.2022, 11:1517.03.2022, 14:56
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Stell dir vor, du befindest dich gerade mit einem internationalen Team auf einer wirklich langen Dienstreise – sagen wir, im Weltall – und plötzlich bricht unter euren Heimatländern Krieg aus. So ist es der Crew von Astronauten ergangen, die sich derzeit auf der Internationalen Raumstation (ISS) auf "Expedition 66" befinden. Unter ihnen sind Russen, US-Amerikaner und ein Deutscher.

Abbrechen ist kaum eine Option. Aber wie geht es nun weiter mit der internationalen Raumfahrt? Die US-Raumfahrtbehörde Nasa betonte am Montag, dass die Spannungen zwischen Washington und Moskau keine Auswirkungen auf den Betrieb der ISS haben sollen. Der zuständige Nasa-Manager Joel Montalbano erklärte, dass die Zusammenarbeit mit den Russen "seit 20 Jahren läuft, und in den letzten drei Wochen hat sich nichts geändert".

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Pyotr Dubrov (li., Roscosmo) und Tom Marshburn (NASA) bei der Arbeit auf der Raumstation am 4. März 2022 – der Ukraine-Krieg war schon in vollem Gange. Bild: nasa.gov

Der Chef der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos, Dmitri Rogosin, hatte hingegen kurz zuvor den Westen vor einem möglichen Absturz der ISS gewarnt. Seine Erklärung: Die Sanktionen beeinträchtigten den Betrieb der russischen Raumschiffe, die die ISS versorgen. Der russische Teil der Raumstation, der für Kurskorrekturen zuständig ist, sei ebenfalls durch die Sanktionen beeinträchtigt.

Zuletzt hatte es sogar Befürchtungen gegeben, dass die Russen den US-Astronauten Mark Vande Hei zum Ende seiner Mission am 30. März nicht an Bord der Sojus-Kapsel lassen, mit der seine russische Kollegen Pjotr Dubrow und Anton Schkaplerow nach 355 Tagen im All zum Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan zurückfliegen. Montalbano sagte nun jedoch: "Ich kann Ihnen mit Sicherheit sagen, dass Mark mit der Sojus nach Hause kommen wird." Es habe "einige Diskussionen mit den Kollegen von Roskosmos" gegeben. Diese hätten jedoch "bestätigt, dass sie bereit sind, die gesamte Besatzung nach Hause zu bringen, alle drei".

Die USA und Russland sind beim Betrieb der ISS voneinander abhängig. Während US-Module für die Energieversorgung und Lebenserhaltung an Bord zuständig sind, sorgen die russischen Teile für den Antrieb. Der Weltraum ist im Moment einer der letzten Bereiche, in denen Russland und die USA noch zusammenarbeiten.

Doch wie gehen die Astronauten selbst mit den politischen Konflikten ihrer Heimatländer um, während sie auf engstem Raum auf Zusammenarbeit angewiesen sind? Wir fragten bei der Weltraumpsychologin Alexandra de Carvalho nach.

Alexandra de Carvalho, Weltraumpsychologin
Alexandra de Carvalho von der Uni Witten/Herdecke.Bild: privat

Die Psychologin befasste sich schon im Studium mit dem Thema Psyche in der Raumfahrt und arbeitete für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Im Rahmen von Simulationen trainiert sie sowohl sogenannte Analog-Astronautinnen mit Einsätzen auf der Erde, als auch Menschen, die tatsächlich längere Zeit im Weltraum sein sollen.

Analog-Astronauten simulieren Missionen im Weltall auf der Erde
Diese Missionen finden unter "Realbedingungen" statt, in abgeschlossenen Raumstationen zum Beispiel.

Im Gespräch mit watson berichtet die Therapeutin über Wut im Weltall, räumliche Trennung auf einer Raumstation und was wir alle von Astronauten im Umgang mit politischen Konflikten lernen können.

Sie berichtet:

"Sehr viele Astronauten sagen bei ihrer Rückkehr, dass sich ihre Perspektive auf unsere Welt unwiderruflich verändert hat, dass es Schwachsinn ist, dass wir Grenzen über den Planeten ziehen und über den Verlauf dieser Grenzen auch noch Konflikte austragen."

watson: Astronauten sitzen zusammen auf einer Raumstation und plötzlich bricht ein Krieg ihrer Heimatländer auf der Erde aus. Was passiert jetzt in der Crew?

Alexandra de Carvalho: Menschliche Konflikte gibt es bei Astronauten und Astronautinnen im All oder auf Analogmissionen genauso wie bei jedem anderen Arbeitsteam. Und auch politische Konflikte können unterschiedliche Meinungen hervorrufen. Die entscheidende Frage ist nur: Wie wird damit umgegangen? Welche Gewichtung geben Astronauten diesen Differenzen innerhalb ihrer Beziehung? Wir haben einen kleinen Erfahrungswert von 2014: Schon damals haben die Crews viel miteinander über die Annexion der Krim diskutiert, doch es hat ihre Freundschaft nicht belastet. Die Zusammenarbeit hatte für alle den höheren Stellenwert.

Das heißt, Sie glauben nicht, dass dort oben gerade gestritten wird?

Ich weiß natürlich nicht, welche individuellen Meinungen die Astronauten der ISS derzeit haben. Vielleicht sind sie sich in der Bewertung der politischen Lage aber gar nicht so unähnlich, das muss man in Betracht ziehen. Auch russische Staatsbürger haben ja ganz unterschiedliche Standpunkte in Bezug auf ihre Landespolitik, wie Amerikaner auch.

iss066-s-002 (May 20, 2021) --- The official portrait of the seven-member Expedition 66 crew. From left are, NASA astronauts Raja Chari and Thomas Marshburn; ESA (European Space Agency) astronaut Matt ...
Das internationale Team der ISS-"Expedition 66" setzt sich aus vier US-Amerikanern, zwei Russen und einem Deutschen zusammen. Bild: nasa.gov

Dürfen Astronauten ihren Gefühlen überhaupt freien Lauf lassen?

Häufig meinen Menschen, dass jemand, der sich professionell verhält, keine Emotionen zu einem Thema zulassen darf. Das ist aber ein Irrglaube. Natürlich sind auch Astronauten persönlich betroffen, wenn es zum Beispiel einem Familienmitglied auf der Erde schlecht geht. Diese Gefühle zu akzeptieren ist wichtig, um sich dann im zweiten Schritt die Frage zu stellen: Wie gehe ich damit um? Wie beeinflusst das meine aktuelle Tätigkeit? Die Leute, die dort arbeiten, sind psychologisch geschult, um auch in Stresssituationen kluge Entscheidungen zu fällen und dabei seelisch stabil zu bleiben. Die Teams werden schon im Vorfeld dahingehend ausgewählt, belastbarer zu sein, um ruhig mit solchen Situationen umgehen zu können. Dass jemand Gefühle und auch Ängste entwickelt, muss ihnen aber zugestanden werden. Das sind auch nur Menschen.

"Wir haben einen kleinen Erfahrungswert von 2014: Schon damals haben die Crews viel miteinander über die Annexion der Krim diskutiert, doch es hat ihre Freundschaft nicht belastet."

Wirken sich solche negative Gefühle nicht auf den Arbeitsalltag im All aus?

Astronauten haben sehr klar strukturierte Arbeitsabläufe, denen sie folgen müssen. Aber bei schwerwiegenden Gründen haben sie die Möglichkeit vorübergehend die Arbeit eines Kollegen aufzufangen, wenn es dem gerade nicht gut geht – das muss allerdings in Rücksprache mit den Kollegen da "unten" passieren. Es gibt ein paar Tätigkeiten an Bord eines Raumschiffs, die ein wenig Rückzug ermöglichen. Ist jemand aktuell sehr aufgewühlt, kann das helfen.

Sollte es doch zu einem großen Streit kommen, kann man sich allerdings nicht aus dem Weg gehen. Türknallen im All – unmöglich.

Räumliche Trennung ist schwierig, weil die Crews in den Raumstationen oder Habitaten nur kleine Kojen haben, aber wir wissen, dass viele zum Beispiel Sport sehr entspannt. Beim Training haben die Astronauten sowohl die Möglichkeit, mal ein oder zwei Stunden auf dem Laufband etwas für sich zu sein, als auch sich auszupowern. Vielen hilft aber nicht nur der Rückzug, sondern auch der Austausch untereinander. Menschen können ihre Emotionen oft besser regulieren, wenn sie sie mit anderen Leuten teilen. Für die Crews gibt es schon auf der Erde Übungen, wie in Gruppen Emotionen mitgeteilt werden können, wie man sich tröstend austauscht und das machen die Astronauten sowohl in Analogmissionen, als auch im All. Die Teams auf Raumstationen bekommen zudem psychologischen Support von der Erde, an den können sie sich wenden, wenn sie mit einem Trauerfall in der Familie umgehen müssen oder sie sonst etwas belastet. Es gibt also immer geschultes Personal, mit dem Astronauten sprechen können.

"Astronauten, die ausgewählt werden, um ins All zu fliegen, sind nicht gerade diejenigen, die von ihrem Naturell her schnell hochgehen."

Sie sprechen von Übungen auf der Erde. Wie werden Astronauten denn auf solche emotionalen Ausnahmesituationen vorbereitet?

Die ESA, die NASA, eigentlich alle Raumfahrtagenturen, lassen Astronauten-Teams, die gemeinsam ins Weltall geschickt werden, schon auf der Erde an abgeschiedenen Orten miteinander trainieren, damit sie sich als Gruppe kennenlernen. Die gehen dann zusammen in Höhlen oder Unterwasser, sie werden stressigen, komplexen Situationen ausgesetzt, die sie als Gruppe bewältigen müssen. So lernt sich das Team kennen und sieht: Wie reagiert mein Kollege, wenn er unter Stress gerät? Menschen sind ja unterschiedlich. Einer muss sich Luft machen, ein anderer zieht sich zurück – in diesem Prozess lernt die Gruppe sich als Menschen und auch einander besser kennen und es werden Bewältigungsstrategien geübt. Wie sprechen wir am besten miteinander? Wie gelangen wir gemeinsam ans Ziel? Durch solche Trainings wird die Zusammenarbeit im Weltall vorbereitet. Das Team kennt sich dann schon sehr gut, wenn es ernst wird und weiß bei einem aufgewühlten Kollegen: Der braucht jetzt eine Umarmung. Oder eben auch drei Stunden auf dem Laufband, wo ihn keiner anspricht.

iss066e083027 (Nov. 25, 2021) --- Expedition 66 crew members gather for a Thanksgiving meal inside the International Space Station's Unity module. From left, are Roscosmos cosmonauts Anton Shkapl ...
Die beiden russischen Crew-Mitglieder Anton Shkaplerov and Pyotr Dubrov werden Ende März zurückkehren. Hier essen sie mit dem deutschen ESA-Astronaut Matthias Maurer (re.) an Bord der ISS (Aufnahme vom November 2021).Bild: nasa.gov

Aber angenommen, der Bruder eines Astronauten fällt im Krieg. Dann ist akute und vielleicht auch irrationale Trauer oder Wut doch kaum mehr aufzuhalten.

Es ist auch Astronauten erlaubt, wütend zu sein. Aber es geht um den Umgang mit der Wut. Sich zu schlagen ist keine gute Option auf einer Raumstation. Deshalb lernen Astronauten schon auf der Erde Techniken, um andere Ventile für ihren Ärger zu nutzen, wie zum Beispiel Gespräche oder Sport. Man darf aber nicht vergessen: Astronauten, die ausgewählt werden, um ins All zu fliegen, sind nicht gerade diejenigen, die von ihrem Naturell her schnell hochgehen. Es gibt eben Menschen, die von ihrer Persönlichkeitsstruktur her wenig neurotisch sind, anpassungsfähig, emotional ruhig – das sind genau die, die auf solche Missionen geschickt werden.

"Die Astronauten der ISS sprechen alle auch russisch, sie haben zudem alle ein Jahr in Russland trainiert und daher vermutlich auch positive Assoziationen zu dem Land."

Schon in der Ausbildung der Astronauten begegnen sich viele Nationen. Ist das für die spätere Zusammenarbeit hilfreich?

Absolut. Die Astronauten der ISS sprechen zum Beispiel alle auch russisch, sie haben zudem alle ein Jahr in Russland trainiert und daher vermutlich auch positive Assoziationen zu dem Land. Das macht es ihnen sicher sehr viel leichter, bei einem solchen Konflikt – wie jetzt gerade – nicht die ganze Bevölkerung über einen Kamm zu scheren.

Dennoch sind sie Amerikaner, Russen, Deutsche.

Wir erleben schon in den Analog-Situationen, dass sich viele Astronauten gar nicht mehr so stark als Staatsbürger ihres Landes identifizieren. Die sagen vielleicht noch, sie seien Italiener, doch sie haben auch in dreißig anderen Ländern gewohnt und sprechen alle möglichen Sprachen. Viele Astronauten, die ich kennengelernt habe, sind so international, dass sie sich wohl eher als Erdenbürger empfinden.

ISS orbiting over the end of the Amazon River. Top down view.

Planet map and ISS model from NASA: https://eoimages.gsfc.nasa.gov/images/imagerecords/74000/74192/world.200411.3x21600x21600.D2.png
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Gewaltiger Anblick: Die ISS über dem Amazonas.Bild: iStockphoto / Darryl Fonseka

Welche Chancen ergeben sich aus diesem Erdenbürger-Gedanken?

Die ISS ist seit zwanzig Jahren ein Friedensprojekt, an dem alle möglichen Länder beteiligt sind. Das ist seit Jahren ein Symbol der internationalen Zusammenarbeit, das auch in Krisenzeiten immer wieder bewiesen hat, dass große Projekte gelingen können, sofern alle an einem Strang ziehen. Gerade das ist auch für mich einer der schönsten Aspekte der Raumfahrt. Zu erfahren, dass Grenzen Menschen nicht zwangsläufig trennen müssen, sofern sie eine gemeinsame Vision haben und den Willen, zu kooperieren. Es ist machbar. Es ist absolut möglich, mit mehreren Kulturen so ein großes Projekt zu stemmen.

"Astronauten kommen oft als große Idealisten zurück auf unsere Erde. Sie haben mit eigenen Augen gesehen, dass wir alle miteinander verbunden sind auf diesem einen, einzigen Planeten, der unsere Existenz bewahrt."

Kann so ein Konflikt auch dazu führen, dass sich Astronauten "jetzt erst recht" die Hand reichen?

Ein schönes Schlagwort dazu ist der "Overview-Effekt". Das beschreibt den Effekt, wenn Astronauten von der Raumstation auf die Erde herunterschauen und ein gewaltiges Gefühl von Ehrfurcht und Demut erleben. Sie erkennen mit bloßem Auge, wie verbunden und fragil das Leben auf unserem Planeten ist und dass es geschützt werden muss. Sehr viele Astronauten sagen bei ihrer Rückkehr, dass sich ihre Perspektive auf unsere Welt unwiderruflich verändert hat, dass es Schwachsinn ist, dass wir Grenzen über den Planeten ziehen und über den Verlauf dieser Grenzen auch noch Konflikte austragen.

epa05145387 An undated handout photo provided by the National Aeronautics and Space Administration (NASA) on 05 February 2016 of 'Apollo 14' astronaut Edgar Mitchell posing in front of the m ...
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Erleichtert die räumliche Distanz zur Erde diese universale Sichtweise?

Das würde ich schon sagen. Disconnected sind die Astronauten natürlich nie, weil sie weiterhin mit ihren Freunden und Familien auf der Erde in Kontakt bleiben. Aber sie gewinnen – wörtlich und im übertragenden Sinn – eine andere Sicht auf den Planeten. Viele kommen herunter und sagen danach: "Ich empfinde jetzt eine noch stärkere Notwendigkeit, das Klima und unsere Umwelt zu schützen." Auch der Weltfrieden und die internationale Zusammenarbeit der Menschen gewinnen an Gewicht. Astronauten kommen oft als große Idealisten zurück auf unsere Erde. Sie haben mit eigenen Augen gesehen, dass wir alle miteinander verbunden sind auf diesem einen, einzigen Planeten, der unsere Existenz bewahrt. Und das ist ein Gedanke, den wir uns vielleicht auch ab und an vergegenwärtigen sollten.

(mit Material der afp)

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