Sie trägt einen BH aus weißer Spitze. Ihr langes Haar umschmeichelt ihr Gesicht. Ihre Lippen sind voll, ihre Haut makellos. Emilia Ivanova ist Model. Aber vor allem ist Emilia Ivanova nicht echt.
Sie ist eines von vielen Models auf Instagram, die nur in der virtuellen Welt existieren. Denn sie wurde kreiert – von einem Menschen mithilfe einer künstlichen Intelligenz. Der Name ist ein Pseudonym. Wer dahinter steckt, kann ich zunächst nur vermuten. Die Person möchte anonym bleiben. Damit ist sie nicht allein.
Fotos von KI-generierten Models fluten Instagram seit Monaten. Die Frauen auf den fotorealistischen Darstellungen sehen umwerfend aus – und ziehen Hunderttausende in ihren Bann. Oftmals sind es Männer, die mit den virtuellen Frauen chatten wollen. Darunter auch ein prominenter deutscher Fußballer, der das KI-Model Emily Pellegrini für real hielt und mit Komplimenten überhäufte.
Künstliche Intelligenz revolutioniert aktuell die Influencer-Branche. Was als Smalltalk der Models mit Follower:inen auf Instagram anfängt, entwickelt sich auf der Plattform Fanvue, die ganz ähnlich wie Onlyfans funktioniert, zum Sexting. Dort landet man über Links im Profil durch nur wenige Klicks. Und da können Content Creator:innen dann auch Geld verdienen: Denn Follower:innen bzw. Fans müssen eine Gebühr zahlen, um die erotischen und teils pornografischen Inhalte sehen zu können.
Doch im Gegensatz zu Onlyfans hat Fanvue seine Plattform für KI-Content geöffnet. Es ermöglicht allen – unabhängig von Alter, Geschlecht oder Äußerlichkeiten – Teil der Creator Economy zu werden, wie Fanvue-Gründer Will Monage im Gespräch mit "OMR" sagt.
Der Vorteil: Creator:innen müssen ihre Körper nicht auf der Plattform ablichten und können ihre Identität schützen. Darunter ist auch ein 25-Jähriger aus Baden-Württemberg. Er hat das KI-Model Lara Hof erschaffen.
Auch im Gespräch mit watson möchte er lieber anonym bleiben. Wir haben seine Identität überprüft. Doch dem Wunsch nach Anonymität kommen wir nach. Er erzählt, wie es zu seinem KI-Model kam. Anfang 2023 hat er die Bildsoftware Stable Diffusion entdeckt. Das Tool arbeitet, ähnlich wie ChatGPT, mit einem riesigen Datensatz an Text- und Bildinformationen. Mithilfe von Textbefehlen, sogenannten Prompts, können Creator:innen ihren Avatar zum Leben erwecken.
"Der Prozess ist mittlerweile schnell, in Minuten kann man hunderte Bilder produzieren, eine Fülle an Material", beschreibt der Schöpfer von Lara Hof. Anstatt eines aufwändig inszenierten Fotoshootings, braucht es einzig und allein einen Menschen und nur noch wenige Handgriffe.
"Natürlich muss einiges nachgebessert werden", ergänzt er. Oft handele es sich um Kleinigkeiten, ein sechster Finger oder verschwommene Augen müssen korrigiert werden. Dafür nutzt er diverse Tools, auch Face Swap Apps, mit denen man problemlos Gesichter oder auch nur einzelne Partien austauschen und ersetzen kann. Doch die Nutzung des Tools ist umstritten, der Missbrauch nur einen Klick entfernt.
Durch den raketenartigen Aufstieg von KI-Models sind auch Youtube-Videos in Umlauf geraten, die mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen verheißungsvollen Reichtum versprechen. Doch das bringt auch Gefahren mit sich.
Denn hinter manchen dieser vermeintlichen KI-Models verstecken sich auch Scammer:innen, die Videos realer Frauen nutzen und ein KI-generiertes Gesicht auf den Körper montieren – eine kinderleichte Aufgabe für Face Swap Apps.
Popsängerin Taylor Swift wurde bereits Opfer solcher Face-Swap-Delikte, sogenannter Deepfakes, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzen.
Weil Creator:innen nicht mit Scammer:innen in Verbindung gebracht werden möchten, gibt es inzwischen einen ethischen Kodex, "Not Fake Ai", der in der Szene Beachtung findet. Verfasst hat ihn die Schöpferin des KI-Models Lexi Schmidt, die ebenfalls nicht namentlich genannt werden möchte. "Wir vermeiden es, die Öffentlichkeit über unseren fiktiven Charakter irrezuführen, indem wir in unserer Biografie auf Instagram oder einer anderen von uns genutzten Plattform auf den KI-Teil verweisen", heißt es darin.
Lexi existiert seit vergangenem Sommer auf Instagram. Auf den meisten Bildern sieht man sie eher spärlich bekleidet. Denn: Nackte Haut kurbelt den Algorithmus an, sodass Bilder von freizügigen KI-Models im Newsfeed weit oben erscheinen. Das sei auch der Grund, warum "erotische Fotos aktuell die einzige Möglichkeit sind, das Ganze zu Geld zu machen", betont Lexis Schöpferin.
Und dennoch eröffnet die KI-Technologie neue Möglichkeiten – nicht nur für Creator:innen. Ein Brauhaus im bayrischen Wallerstein bewirbt neuerdings sein Bier mit dem makellosen Gesicht von Lexi. "Prost, danke für den Besuch", kommentiert Prinz Carl-Eugen Oettingen-Wallerstein den gemeinsamen Beitrag auf Instagram.
Er ist Unternehmensinhaber der Brauerei Wallerstein und leitet die Geschäftsfelder des Hauses Fürst Wallerstein – einer mehr als 900 Jahre alten Dynastie. Für Lexi ist es die erste seriöse Kooperation auf Instagram. Als wir mit ihr chatten, sagt sie (oder ihre anonyme Creatorin): "Ein Ziel, auf das ich immer hingearbeitet habe."
Ob auf dem Laufsteg oder im Porno – auf den Schultern von realen Models lastet der Druck, gesellschaftlichen Schönheitsidealen entsprechen zu müssen. Und obwohl auch Lexi Schönheitsideale reproduziert, sieht sie klare Vorteile in der Existenz von KI-Models:
"Kein KI-Model muss sich für ihre Bilder krank hungern, [Botox] (Anm. d. Red.) spritzen oder unters Messer legen". Die perfekten Körper sind nur Illusion, trotzdem möchten Männer ihre sexuellen Fantasien mit den KI-Models ausleben.
Das ist auch bei der KI-Influencerin Sophia Sommerfeld nicht anders. "Selbst wenn ich darauf hinweise, dass ich nur ein KI-Model bin, werde ich gefragt, ob man sich näher kennenlernen könnte", heißt es im Chat mit ihr. Manchmal bekomme sie sogar Dickpics von fremden Männern,
Sophia ist 24 Jahre alt. Doch hinter Sophia verbirgt sich ein 38-jähriger Mann aus Mittelfranken. Mehr will er öffentlich nicht verraten über sich selbst. Seit einem halben Jahr investiert er 20 bis 40 Stunden pro Woche in seinen weiblichen Avatar, ein "Zweitjob" behauptet er. Doch dermaßen lukrativ, wie es im Internet angepriesen wird, ist es nicht. "Aktuell bin ich bei einem niedrigen dreistelligen Betrag pro Monat, also nichts, wovon ich jetzt schon leben könnte", offenbart er.
Aber es geht nicht immer nur um Erotik. Isabella Rodriguez ist ein KI-Model, das weniger für Dirtytalk bezahlt wird: Vielmehr wird sie von ihren Kund:innen als Freundin geschätzt. Sie berichtet von einem Abonnenten, der seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt und mit dem sie fast täglich im Kontakt stehe, von Männern aus der Ukraine, denen sie "ganz viel Kraft" wünsche und von einem Soldaten aus Israel, der sein Gespräch mit Isabella unterbrechen musste, als das Land in genau dieser Situation vom Iran angegriffen wurde
"Ein anderer schrieb mir, dass er noch nie in seinem Leben eine Beziehung hatte", so die Schöpferin von Isabella. "Obwohl er wisse, dass ich nicht real sei, würde ich diese Lücke füllen und er würde unsere Gespräche genießen."
Es sind diese Chatverläufe, die Isabella nachdenklich machen. Aber auch die, mit denen sie ihr Geld verdient.