"Nur noch eine Minute!", höre ich jetzt schon wieder jemanden durch den Raum schreien. Lediglich vier Wörter, die eine eigentlich ganz gemütliche Runde zu einer kleinen Massenpanik ausarten lassen. Denn es ist Silvester.
War ich eben noch mit Kumpels in Gespräche über die neuestens Entwicklungen der Bundesliga vertieft, werde ich nun womöglich wieder allein dasitzen. Um mich herum knutschende Paare, denn schließlich ist der Silvesterkuss ein absoluter Muss!
Der Vorteil an Silvesterpartys in Zeiten von Corona: Die Location ist nicht unendlich groß und die Gruppe beschränkt sich, wenn überhaupt, auf den engsten Freundeskreis. Ich muss also nicht endlos vielen Menschen dabei zusehen, wie sie sich um Mitternacht gegenseitig die Zunge in den Hals stecken.
"Zehn, neun, acht,…", höre ich es jetzt schon wieder jemanden anzählen. Die Blicke gehen Richtung Himmel. Meine Kumpels haben ihre Freundin im Arm, ich eine Flasche Bier oder ein Glas Sekt. Vielleicht auch beides. Und trotzdem werde ich einen schönen Abend an Silvester haben. Einmal zog mich ein befreundetes Pärchen zu sich an die Seite heran, "damit ich nicht so allein dastehe." War zwar nett gemeint, aber ich hatte damit absolut kein Problem. Ich habe mich vor einigen Jahren ja freiwillig dazu entschieden, eine Silvesterparty mit drei Paaren zu besuchen.
"...sieben, sechs, fünf, vier", werden wir auch dieses Mal weiter hinunter zählen. Und ich werde wohl wieder kurz darüber nachdenken, wie es wäre, mit einer Frau im Arm Silvester zu feiern. Aber auch schnell zu dem Entschluss kommen, dass ich das nicht wirklich vermisse.
Grundsätzlich wird mir um Silvester sowieso ein viel zu großes Ding gemacht. Silvesterpartys sind wie eine stinknormale Hausparty, nur, dass einige der Meinung sind, sich besonders schick anziehen zu müssen und plötzlich Mitternacht besonders entgegenfiebern. Als wäre man das erste Mal so lange wach.
"...drei, zwei, eins,..FROHES NEUES JAHR", und um mich herum wird sich geküsst, es werden vielleicht noch ein, zwei Versprechen für das neue Jahr gemacht und dann wird mit mir angestoßen.
Und schon jetzt weiß ich, dass ich auf die folgenden Gespräche über gemeinsame Neujahrsvorsätze absolut keinen Bock haben werde.
Ich kenne es nur zu gut von mir selbst: Neujahrsvorsätze halte ich allerhöchstens drei Wochen ein. Sollte ich welche mit meiner Partnerin eingehen, würde ich direkt zwei Personen enttäuschen, statt wie sonst nur mich selbst. Und daher interessiert es mich auch nicht, was die anderen sich so als Paar vornehmen – klappt meistens eh nicht.
Ich könnte den 31. Dezember auch gut und gerne einfach allein zu Hause verbringen. Vielleicht tut es auch mal ganz gut, sein Jahr für sich selbst zu reflektieren und über mögliche Ziele für die kommenden 365 Tage nachzudenken.
Doch im Endeffekt werde ich auch dieses Jahr wieder auf irgendeiner kleinen Party sitzen. Mein Plan, die ganze Nummer mit reichlich Alkohol erträglicher zu machen, wird auch meist von irgendeiner Freundin unterbrochen, die einen meiner Kumpel darauf hinweist, dass sie morgen zum Neujahrsfrühstück bei ihren Eltern eingeladen sind.
Doch davon werde ich mich auch dieses Jahr nicht aufhalten lassen. Ich hab das Problem nicht. Ich werde den 1. Januar mit ziemlicher Sicherheit verkatert im Bett verbringen.
Dieser eine Tag im Jahr, an dem absolut jedem klar ist, dass gefeiert wird. Der Druck, etwas Besonderes zu machen. Die Vorstellung, dass ab dem nächsten Tag plötzlich alles besser, alles anders wird, sobald man sich gegen 12 Uhr mittags verkatert aus dem Bett gequält hat. Diese ganzen Silvesterbräuche und Neujahrsvorsätze fand ich schon immer ziemlich schwachsinnig. Obwohl ich relativ abergläubisch bin – als Russland-Deutsche gehört Aberglaube ja quasi zu meiner Kultur. Und trotzdem trage ich keine rote Unterwäsche an Silvester und auch ein Stück Blei sagt mir nicht meine Zukunft voraus.
Wozu soll ich den 31. Dezember abwarten, um mir Gedanken über mein Leben zu machen? Wenn ich doch 365 Tage im Jahr dafür habe? Wenn ich etwas an meinem Leben ändern möchte, dann brauche ich dafür definitiv keinen Jahreswechsel. Und gemeinsam mit dem Freund irgendwelche Neujahrsvorsätze abzuschließen? Auf diese Idee bin ich ehrlich gesagt auch noch nie gekommen. Was will man denn da vereinbaren? Mehr Sex?
Den einzigen Silvesterbrauch, den ich seit Jahren unbewusst pflege, ist, dass ich immer um Punkt Mitternacht eine Zigarette in der einen und einen Sekt in der anderen Hand habe – ob Single oder nicht.
Die letzten Silvesterpartys als Nicht-Single waren auch mäßig spaßig. Denn mein Ex-Freund war eher der gemütliche Typ: Hauptsache nicht betrunken sein, Hauptsache am nächsten Morgen wieder zocken können. Ich war allerdings schon immer gut am Glas. Auch wenn ich von diesem Abend nie etwas Besonderes erwartet habe und es nur schön fand, dass fast alle Freunde frei hatten und man zusammenkam.
Das Einzige, das sich, seit ich Single bin, geändert hat, ist die Gesellschaft: Mein Ex war nicht der besonders gesellige Typ. Viele Freunde einzuladen kam also bei uns nur infrage, wenn es seine eigenen waren. Mit meinen hatte er in der ganzen Beziehung nie sonderlich viel zu tun. Ich konnte mich also glücklich schätzen, wenn seine Kumpels nette Freundinnen hatten, mit denen man dann den Abend verbringen konnte, während die Männer sich gegenseitig lustige YouTube-Videos zeigten. Das ging auch zwei Jahre gut, bis sich die Paare nach und nach trennten und die Typen sich Frauen suchten, mit denen ich einfach keine Gesprächsthemen hatte.
Warum ich nicht einfach Silvester ohne ihn gefeiert habe? Keine Ahnung! Wahrscheinlich war es der romantisierte Gedanke, den Jahreswechsel mit dem Partner verbringen zu müssen, weil "sich das so gehört" – wer auch immer das in meinem Kopf so festgelegt hat. Damals kam mir noch nicht einmal der Gedanke, dass man auch als Paar Silvester getrennt feiern kann.
Mittlerweile habe ich diese schwachsinnige Idee hinter mir gelassen. Ich muss Silvester nicht mit meinem Freund verbringen, wenn wir unterschiedliche Vorstellungen von dem Abend haben.
Natürlich hatte ich auch als Single eher mittelmäßige Silvesterpartys. Allerdings mit dem Unterschied, dass ich mir die Gesellschaft und Location selbst zuzuschreiben hatte.