Bild: RTL / Getty Images / watson Montage
Meinung
Melanie und Michael Traut sind 28 Jahre alt, vierfache Eltern, nur drei ihrer Kinder leben bei ihnen. Beide haben in ihrem Leben noch nicht richtig gearbeitet und leben schon seit dem 16. und 17. Lebensjahr von Hartz IV.
Klingt doch wie der Anfang einer Erfolgsgeschichte, müssen sich die Macher der RTL-Sendung "Zahltag – Ein Koffer voller Chancen" gedacht haben. Wohl deshalb luden sie Melanie und Michael ein, an der Sendung teilzunehmen.
Die Experten wirken unsicher, ob die Teilnehmer den Weg aus Hartz IV heraus finden
Das Prinzip kurz zusammengefasst: Die Protagonisten von "Zahltag" erhalten den gesamten Hartz-IV-Satz eines Jahres auf einmal geschenkt und sollen damit ein eigenes Gewerbe aufziehen. Zur Verfügung stehen ihnen dafür bis zu 30.000 Euro, von denen sie gleichzeitig ihre Lebenskosten decken sollen.
Drei Experten kommentieren das Geschehen: der ehemalige Bezirksbürgermeister von Neukölln, Heinz Buschkowsky, Ex-Hartz-IV-Bezieherin und "Cindy aus Marzahn"-Darstellerin Ilka Bessin sowie der Gründerberater Felix Thönnessen.
Ist es möglich, dass völlig unerfahrene Langzeitarbeitslose mit einer verhältnismäßig kleinen Summe Geld den Weg in die Selbstständigkeit finden? Die drei Experten Bessin, Buschkowsky und Thönnessen vermitteln in der Sendung: Nein.
Die Experten scheinen die Familie Traut aufzugeben
Der Fall der Familie Traut zeigt das besonders deutlich: Melanie und Michael wollen einen Imbiss eröffnen. Sie haben jedoch anscheinend keine Ahnung, wie sie das anstellen sollen. Die Experten scheinen die jungen Eltern von Anfang an aufzugeben. Thönnessen sagt:
"Lebenslang Hartz IV. Also ich gehe mal davon aus, beide haben keine Ausbildung gemacht, kein Job und noch nie gearbeitet."
Weiterhin kritisiert er: Obwohl die beiden generell keine Arbeitserfahrung haben, wollen sie nun ein Restaurant führen, mit dem man gerne mal zwölf Stunden pro Tag beschäftigt ist. Den Leuten scheint nicht klar zu sein, wie viel Stress die Arbeit in der Gastronomie eigentlich bedeutet:
"Irgendwie hab ich das Gefühl, dass jeder Bock hat, 'ne Bar, 'nen Restaurant oder 'nen Imbisswagen aufzumachen. Wahnsinn. (…) Aber ich glaube, vielen Leuten ist es nicht klar, wie viel Arbeit Gastronomie bedeutet.”
Das Komische daran ist: Die Protagonisten bewerben sich doch schon mit ihren Geschäftsideen bei "Zahltag". Wenn Gastro generell eine schlechte Idee ist – warum laden sie ausgerechnet diese Teilnehmer ein?
Als Ilka Bessin die Hartz-IV-Empfänger trifft, wird es bizarr
Nun könnten die Experten die Protagonisten natürlich vor dem Scheitern bewahren und ihnen mit ihrem Rat zur Seite stehen. Allerdings nur auf Anfrage – und ehrlicherweise fragen die meisten Teilnehmer auch nicht nach.
Dennoch kommt Bessin bei den Trauts vorbei, um mal nach dem Rechten zu sehen. Nach einem Gespräch mit der überfordert wirkenden Melanie in deren unordentlichen Wohnung ist Bessin Urteil klar:
"Melanie ist in so einer Situation, die weiß gar nicht, wo sie anfangen soll. Ich würde mir wünschen für Melanie, dass hier jemand herkommt, der sie unterstützt bei der Planung. Wie führt man so? Wie macht man das so? Wie organisiert man sich? Ich find', die ist so alleine."
Das mag ja alles stimmen. Aber wie bizarr ist das bitte? Als Zuschauer muss man sich schon fragen: Ähm, liebe Ilka, ist das jetzt nicht irgendwie dein Job, die Protagonisten bei der Planung zu unterstützen? Solltest du nicht dafür sorgen, dass jemand wie Melanie nicht allein ist?
Es wirkt, als nähmen sich die Experten selbst nicht als Experten wahr. Und wieder fragt man sich: Warum ist Melanie Traut überhaupt Teil der Sendung, in der doch alles so hoffnungslos scheint?
Lieber in Festanstellung arbeiten gehen, als gründen
Auch bei den anderen teilnehmenden Familien scheinen die Experten nicht zu glauben, dass der "Koffer voller Chancen" echte Chancen bringt. Nehmen wir als Beispiel die Familie Schubhardt: Die Hartz-IV-Empfänger Maik und Sarina wollen sich ebenfalls mit einem Imbiss selbstständig machen. Zunächst aber will das Ehepaar mit dem Koffer-Geld seine Schulden abbezahlen – und zack, sind 6000 Euro weg. Fast ein Viertel des Gesamtbetrags.
Gründerberater Thönnessen rät deswegen erst einmal vom Gründen ab:
"Ich hab mich ehrlich gesagt schwergetan, mit der Familie über das Thema Existenzgründung zu sprechen. Ich hab mich aber darauf konzentriert, der Familie zu sagen: Okay, vielleicht sollten wir uns eher mit dem Thema Job auseinandersetzen, als jetzt mit 'Wir schaffen 'nen Imbisswagen an.'”
Laut Thönnessen sollten Maik und Sarina also lieber in Anstellung arbeiten. Aber die Voraussetzung, den Koffer überhaupt erst zu kriegen, ist doch der Wunsch, sich selbstständig zu machen? Hätten die Schubardts jetzt das Koffer-Geld genommen und dann einen Arbeitsvertrag unterschrieben, wäre das Konzept der Sendung dahin.
Als Zuschauer mutmaßt man schließlich, ob es in der Sendung wirklich darum geht, bei einer Geschäftsgründung zuzusehen. Darum, wie Hartz-IV-Empfängern schließlich aus der finanziellen Abhängigkeit geholfen wird. Dafür wirkt das Scheitern der Teilnehmer jedoch zu wahrscheinlich – und die Experten zu wenig überzeugt von ihrem eigenen Vorgehen.
In der kommenden Folge wird übrigens der fünfte und damit letzte Geldkoffer der aktuellen Staffel von "Zahltag" vergeben. Mal schauen, ob auch die nächste Familie einen Imbiss eröffnen will – und ob die Experten ihnen dieses Mal mehr Chancen zutrauen.
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